St. Gallen – Die Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH Zürich hat nach Erscheinen der BIP-Quartalsschätzungen (Q2/20- 17) durch das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) ihre Wachstumsprognose für die Schweiz im laufenden Jahr gesenkt. Sie erwartet neu für 2017 ein BIP-Wachstum von nur noch 0.8% nach 1.3% vor wenigen Monaten. Mit dieser ziemlich rustikalen Korrektur nach unten steht die KOF nicht mal allein da. Fast alle, die die Schweizer Wirtschaft beobachten und analysieren, haben auch nachgezogen. Und das obwohl viele Vorlaufindikatoren eigentlich besser aussehen als im Sommer und der Franken immerhin ein bisschen nachgegeben hat. Steht es aktuell wirklich wieder so viel schlechter um die Schweizer Konjunktur?
Wir glauben das nicht, doch dazu gleich etwas mehr. Wir belassen jedenfalls unsere Prognosen auf dem Stand des Jahresbeginns. Schliesslich haben wir ja unlängst erst in dieser Kolumne darauf aufmerksam gemacht, wie fragil die Datenlage ist, auf deren Basis man prognostiziert (Quartalspuzzle vom 6.9.2017). Sie können fast sicher sein, dass wir in drei Monaten von vielen Instituten eine Korrektur nach oben sehen werden. Manches Institut wird dann wieder in etwa da liegen, wo es vor der Korrektur bereits angesiedelt war. Rauf und runter, ein Nullsummenspiel mit Prognosen, aber doch immer eine Meldung in den Medien wert.
Unserer Meinung nach hat sich die Stimmung in der Schweiz nicht weiter verschlechtert. Es schimmert sogar zusehends Licht am Horizont. Die Schweiz dürfte davon profitieren, dass 1. die Weltwirtschaft und vor allem Europa so stark expandieren wie seit langem nicht mehr und sich 2. der Eurokurs wieder ein wenig erholt hat. Die Unternehmen sehen das ganz ähnlich. Der Einkaufsmanagerindex ist im September nochmals rasant angestiegen, auf ausserordentlich hohe 61.7 Zähler: Er liegt damit auf dem höchsten Stand seit Februar 2011. Wieso dann die Prognoserevision? Viele Auguren schauen leider zu viel in den Rückspiegel. Das erste Halbjahr war statistisch gesehen – für viele uner-wartet – schwach, weswegen ein BIP-Wachstum von 1.5% oder mehr rein rechnerisch eigentlich kaum mehr zu erreichen scheint. Deshalb aber mit grossem Tamtam die Prognosen herunter zu fahren, dürfte eher zu Verunsicherung denn Klarstellung beitragen.
Gastgewerbe vor der Wende?
Die aktuellen Daten aus der Wirtschaft sind klar besser als vor Jahresfrist und die Erholung nimmt langsam an Konturen an. Das zeigt sich u.a. an den Touristikdaten der letzten Monate, die bereits vor der Frankenabschwächung im Juli wieder nach oben tendierten und im Folgenden genauer unter die Lupe genommen werden. Von Januar bis August 2017 wurden 4.5% mehr Logiernächte verzeichnet als im selben Zeitraum im Vorjahr. Das bedeutet ein Plus von über 1.1 Millionen Logiernächten. Bei Schweizern betrug das Wachstum 3.3% (+377‘000) und bei Ausländern beachtlich hohe 5.4% (+738‘000). Damit haben Schweizer Hotels und Kurbetriebe die quantitative Talsohle nach dem Frankenschock wohl hinter sich gelassen, auch wenn damit noch keine breite Ertragsverbesserung verbun-den ist, aber wenigstens wieder Hoffnungen darauf.
Es geht zusehend auch mit weniger Europa
Ein Blick auf die Details der Übernachtungszahlen offenbart ein recht differenziertes Bild mit einigen Besonderheiten. Wie bereits in den letzten Monaten weisen die USA im Vorjahresvergleich die deutlichste absolute Zunahme aller ausländischen Herkunftsländer auf (+144‘000). In den USA herrscht nun auch schon eine Weile Hochkonjunktur. Danach folgen Indien (+114‘000) und andere asiatische Staaten, natürlich auch Festland-China (+84‘000), die allein schon ihre Masse in die Waagschale legen. Nicht überraschend kommt der starke Rückgang der Gäste aus Grossbritannien (-3.2%) und Katar (-28%). Britische Touristen werden durch die anhaltende Brexit-Unsicherheit und das schwache Pfund zurückgehalten. Im Wüstenstaat Katar wiederum sorgen die Sanktionen der Nachbarländer für ein sattes Minus.
Überraschend sind jedoch die Gästezahlen aus Kontinentaleuropa. Insgesamt waren diese trotz guter Konjunkturlage in Europa schwach. Belgische Touristen verzeichneten mit einem Plus von 66‘000 Logiernächten den mit Abstand grössten absoluten Anstieg, möglicherweise als Folge da-von, dass nach einige Anschlägen in Belgien die Terrorangst nicht mehr so stark präsent ist. Danach folgen Russland (+21‘000), Spanien (+16‘000) und die Niederlande (+14‘000). Bei den meisten anderen europäischen Herkunftsländern resultierte ein Minus. Europa ist längst nicht mehr der Pulsgeber für den Schweizer Tourismus. Vor der Finanzkrise machten die Übernachtungszahlen europäischer Touristen noch beinahe die Hälfte aus (46%), heute nicht einmal mehr ein Drittel (32%). Dafür legten andere zu, namentlich Asiaten und Angehörige der Golf-Staaten, bei denen die Schweiz hoch im Kurs steht.
Und sowieso auch ohne Deutschland
Das wichtigste Herkunftsland ausländischer Gäste, Deutschland, verzeichnete nur ein winziges Plus von 3‘200 Logiernächten (+0.1%). Während sich bei anderen europäischen Herkunftsländern zum Teil deutliche Erholungstendenzen zeigen, bleibt die Nachfrage aus unserem nördlichen Nachbarland weiter schwach. Damit sinkt der Anteil der deutschen Gäste an den gesamten Logiernächten aus dem Ausland weiter. Betrug dieser vor der Finanzkrise 2008 noch fast ein Drittel aller ausländischen Übernachtungen, liegt er aktuell nur noch bei rund 20%. Deutsche machen demnach gerade noch knapp zehn Prozent aller Übernachtungen (Schweizer und Ausländer) in der Schweiz aus. Zeit, den Fokus anders zu legen, denn das grosse Geschäft mit den Deutschen ist vorbei.
Nicht nur, weil Deutschlands Gewicht an den Übernachtungszahlen laufend zurückgeht, sondern auch deshalb, weil Touristen aus anderen Ländern hierzulande und auch sonst wo noch mehr Geld liegen lassen. Manche pro Tag – vor allem Asiaten – mehr als doppelt so viel als der Durchschnittsdeutsche. Davon profitieren dann nicht nur Hotels oder Bergbahnen, sondern auch der Detailhandel, Kulturangebote und persönliche Dienstleistungen. Bereiche also, wo die Masse der Deutschen besonders knausert und sehr aufs Portemonnaie achtet. Diese Prognose ist demnach kaum revisionsanfällig: im Osten liegt die Zukunft der Schweiz. (Raiffeisen/mc/ps)