St. Gallen – Nein. Der Titel meiner heutigen Ausführungen ist weder die Bezeichnung für eine Papageienart noch für einen geschrumpften Taschenbuchverlag, sondern eine dieser unsäglichen Abkürzungen, von denen es an den Finanzmärkten ja Unmengen gibt. RoRo steht für «Risk-on Risk-off» und ist so etwas wie das Risikothermometer an den Börsen.
Im Risk-on-Modus beurteilen die Investoren das Umfeld für Anlagen positiv und der Renditehunger dominiert etwelche Bedenken. Das ist der Fall, wenn Risiken aus dem konjunkturellen, monetären oder geopolitischen Umfeld als überschaubar gelten oder sich verflüchtigen. Im Risk-off-Modus hingegen suchen die Anleger die Flucht in sichere Häfen, weil es zu unvorhergesehenen Vorfällen kommen könnte oder kam, welche den Investoren aufs Gemüt schlugen oder schlagen. Dann ist Sicherheit gefragt und Risiken werden so gut wie keine mehr eingehen.
Im laufenden Jahr haben wir gleich zweimal innert kürzester Zeit von on auf off um- und wieder zurückgeschaltet, «dank» Covid-19 und auch ein bisschen wegen Donald Trump. Als im März des Jahres endgültig klar wurde, dass Corona keine Eintagsfliege ist, brach der Risikoappetit faktisch über Nacht weg und die Börsen setzten zu einem steilen Sinkflug an. Aktionen und Statements der Fiskal- und Geldpolitik stoppten diesen Sinkflug an den Börsen sogar soweit, dass gar Euphorie aufkeimte, derweil die Realwirtschaft erst richtig zu leiden begann. Im Herbst nun verlief es ähnlich. Plötzlich wurden sich die Börsianer wieder Risiken (US-Wahlen, zweite Welle) bewusst, welche sie davor ausgeblendet hatten. Die Konsequenz: erneut ein zwar nur kurzer, aber heftiger Tauchgang der Börsen. Und nur kurz darauf vor drei Wochen die grosse Erlösung in Form eines Impfstoffs gegen Corona mit anschliessender Kursrallye. Was für ein Wechselbad.
Gehören Risiken nicht (mehr) zum Leben?
Gemäss World Economic Forum (WEF) beurteilten wir anfangs 2020 die Risikolage wie folgt: Extreme Wetterereignisse, Versagen im Kampf gegen den Klimawandel, Naturkatastrophen, Verlust der Biodiversität, vom Menschen verursachte Umweltkatastrophen standen ganz zuoberst auf der Skala. Gefolgt von Datenbetrug oder –Diebstahl, Cyberattacken, Wasserkrisen, Versagen von Global Governance und Spekulationsblasen in einer grossen Volkswirtschaft. Die genannten Probleme sind nicht wegzudiskutieren, aber Hand aufs Herz: Verglichen mit dem «armen Steinzeitmenschen», der am Morgen aus seiner Höhle kroch und nicht wusste, ob ihn da nicht ein Säbelzahntiger erwartete, ist unser Leben ein Zuckerschlecken. Corona hat in unserer so sicheren Gesellschaft vielleicht ein neues Bewusstsein für Risiken geweckt. Doch nachhaltig dürfte dies nicht sein. Das Vertrauen in Technologie und Medizin ist grösser, als dass der vorübergehende Marschhalt es erschüttern könnte. Und zudem gehen wir tagein, tagaus Risiken ein: wenn wir heiraten, Kinder machen, umziehen, den Job wechseln, ins Auto oder den Bus steigen, zu Hause oder auf dem Weg wohin auch immer, aber die blenden wir aus, weil wir gewohnt sind damit zu leben. Der Mensch lebt mit Risiken. Es gibt solche unter uns, die bewusst mehr Risiken in Kauf nehmen als andere, aber es ist empirisch schwer zu bestimmen, wer am Ende der Glücklichere ist. Risiken zu nehmen ist heute weniger wichtig als früher, als noch im Krieg oder gar Revolution herrschte. In unserer heutigen präzis planbaren Gesellschaft werden uns Menschen möglichst alle Risiken genommen. Wir können bestimmen, welches Geschlecht unser Wunschkind hat und dass es gesund ist. Das führt auch zu einer gewissen Trägheit der Masse, die sich mehr und mehr dem Gedanken hingibt, es könne nichts passieren und alles so weitergehen. Diese Masse ist indes empört ob ganz anderer Dinge. Für sein sauer Verdientes gibt es auch nach Corona keine Zinsen.
Risiken gehören zum Leben
Wer heute sein Erspartes vermehren möchte – und sei es nur ein bisschen – kann sich nicht mehr zurücklehnen wie früher und warten, bis sich sein Vermögen dank Zins- und Zinseszins vermehrt. Heute gibt es keine Zinsen mehr und der Staat verlangt sogar noch Geld dafür, wenn man ihm Geld leiht. Da sich die Geldpolitik bis auf weiteres kaum ändern wird, wird unabsehbar lange noch für Null Risiko auch Null Zins rausschauen. Wer also etwas verdienen will mit seinem Geld, der muss sich zweifellos umsehen. Dabei wird er zwangsläufig im Aktienmarkt fündig. Der Dow Jones, wichtigster Aktienmarktindex der Welt, hat eben neue Rekordstände markiert und erstmals die Marke von 30’000 Punkten durchbrochen. Das entspricht einer Versechsfachung innert dreissig Jahren. Dazwischen gab es zwar bittere Momente für die Börsianer, die geplatzte Dotcom-Blase oder die US-Subprime-Krise bescherten jeweils heftige Kurseinbrüche, doch am Ende bestätigt sich das alte Börsenlatein: auf die lange Sicht kommt kein Anleger an Aktien vorbei. Bei langem Anlagehorizont spielt der Zeitpunkt des Einstiegs letztlich auch keine Rolle. Trotz überzeugender Performance von Aktien und absehbar unveränderter Zinslandschaft halten Schweizer noch immer viel mehr Bargeld oder Einlagen als Aktien, konkret gut zweieinhalb Mal mehr. Geld das «brach» liegt, aus lauter Angst vor Risiken. Dabei haben die Risiken längst andere übernommen, die Zentralbanken und die Staaten. Wenn sich ein kleiner Haushalt Gedanken macht, wieso er von dem ganzen Geld, das ins System gepumpt wird, nichts sieht, dann ist er nicht in Aktien investiert. Wär er es, würde er ganz sicher was sehen davon. (Raiffeisen/mc/ps)