Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Stabilität ist kein Selbstläufer

Fredy Hasenmaile, Chefökonom von Raiffeisen Schweiz. (Bild: Raiffeisen)

Neulich meinte ein Unternehmer, der den Grossteil seines Berufslebens im Ausland verbracht hatte, die Schweiz sei eine Insel der Glückseligen. Die Schweizerinnen und Schweizer seien sich oft nicht bewusst, welches unglaublich hohe Niveau in Sachen Wohlstand, Lebensqualität und Funktionstüchtigkeit der Infrastruktur sie erreicht haben. Probleme, über die wir uns hierzulande aufregen, würden im Ausland nur ungläubiges Lachen hervorrufen. Solche Äusserungen höre ich in letzter Zeit häufiger.

von Fredy Hasenmaile, Raiffeisen Chefökonom

Sozialpartnerschaft bedingt Verständnis
Die herausragende Ausgangslage der Schweiz ist jedoch nicht gottgegeben. Ein Blick nach Deutschland zeigt, wie schnell der Abstieg droht, wenn die entscheidenden Erfolgsfaktoren nicht gepflegt werden. Wie im nördlichen Nachbarland ist die Wirtschaft auch hierzulande eine zentrale Quelle des Wohlstands. Sie sichert der Bevölkerung Beschäftigung und Einkommen und erhält im Gegenzug Arbeitseinsatz, Leistungsbereitschaft und Kreativität. Für die Funktionsweise dieser Sozialpartnerschaft ist das wechselseitige Verständnis von Unternehmenswelt und Gesellschaft essenziell. An dieser Schnittstelle entstehen jedoch zunehmend Spannungen. Das Verständnis für die Wirtschaft ist in der Bevölkerung nicht mehr im gleichen Ausmass gegeben wie früher.

Wachsende Entfremdung
Ein Grund dafür könnte in der veränderten Medienlandschaft liegen. Wirtschaftsthemen nehmen in den bevorzugten Informationskanälen vieler Menschen eine immer geringere Rolle ein. Hinzu kommt, dass Initiativen, wie etwa die Konzernverantwortungsinitiative, die Unternehmen generell unter einen Pauschalverdacht stellen. Die Wirtschaft wird bisweilen als ein Übel dargestellt, das seine Gewinne auf dem Buckel der Gesellschaft und der Umwelt erzielt. Meine Erfahrungen aus unzähligen Begegnungen mit Unternehmern jeglicher Grösse und Branchenzugehörigkeit ist eine völlig andere. Persönlichkeiten mit grossen Macherqualitäten und klaren Vorstellungen, wo investiert werden muss, wollen Chancen nutzen, gestalten und wirtschaftliche Erfolge erzielen.

Mit dieser unternehmerischen Grundeinstellung sind sie auch bereit, Risiken einzugehen. Sie nehmen sich mit Verve der aktuellen Probleme an, seien es CO2-Emissionen oder die Energiewende. Und sie sehen viel eher die Chancen als die Risiken. Solche Begegnungen voller Dynamik und Optimismus erfüllen mich jedes Mal mit Zuversicht. Dank solchem Unternehmertum prosperiert die Schweiz. Wir sollten den Unternehmen nach Möglichkeit keine Steine in den Weg legen, sondern uns eher fragen, was sie benötigen, um erfolgreich zu bleiben. Genau das haben wir mit einer Umfrage bei mittelgrossen und grossen Unternehmen im September dieses Jahres in Erfahrung gebracht. Über 200 Geschäftsleitungsmitglieder, Verwaltungsräte und Unternehmer haben uns klare Antworten geliefert, die wir im Chancenreport Schweiz 2025 zusammengefasst haben.

Regulierungsflut behindert die Firmen
Wer erwartet hat, die Unternehmen würden sich Steuersenkungen oder mehr Förderung von staatlicher Seite wünschen, liegt falsch. Was sich die Unternehmen am meisten wünschen, ist schlicht Ruhe. In einem herausfordernden Umfeld – geprägt von technologischen Umbrüchen, dem starken Franken, Fachkräftemangel sowie Cyberrisiken und geopolitischen Unsicherheiten – möchten sich die Unternehmen auf ihre Kernaufgaben konzentrieren. Genau das aber wird ihnen durch eine ständig wachsende Regulierungsflut und die damit einhergehende Bürokratie erschwert. Initiativen und neue Vorschriften zwingen Unternehmen zu kostspieligen Anpassungen, schränken ihre Flexibilität ein und erreichen obendrauf nur selten die angestrebten Ziele. Die Unternehmen erteilen grossmehrheitlich auch Subventionen und Fördermassnahmen eine Absage und votieren insgesamt für weniger Einflussnahme seitens staatlicher Stellen. Einzig in der Bildungspolitik wünschen sich die Unternehmen mehr Unterstützung. Dass sich die Unternehmen hier für eine aktivere Rolle der Politik aussprechen, passt zur Wahrnehmung des Fachkräftemangels als Wachstumshemmnis.

Stabilität schafft Dynamik
Die Ergebnisse unserer Umfrage verdeutlichen, wie wichtig Stabilität ist. Auf die Frage nach dem grössten Standortvorteil der Schweiz nannten die Unternehmen mit grossem Abstand die wirtschaftliche und politische Stabilität – viermal häufiger als den liberalen Arbeitsmarkt, der an zweiter Stelle folgt. Diese Wahrnehmung deckt sich mit anderen Forschungsarbeiten, welche die Bedeutung der Berechenbarkeit der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen betonen. Verlässlichkeit und daraus resultierendes Vertrauen sind Voraussetzung für Investitionen und Wirtschaftsdynamik. Genau diese Stabilität der Rahmenbedingungen sieht die Wirtschaft durch die vielen Änderungsbegehren und den Aktivismus eines ungebremst wachsenden Heers von Beamten bedroht. In den letzten Jahren hat sich die Zahl der Regulierungen in vielen Bereichen – Umwelt, Soziales, Menschenrechte – stark erhöht. Die Schweiz folgt dabei zumeist vorher in der EU in Kraft gesetzten Regulierungen. Deutschland lässt grüssen. Unsere Umfrage ist ein deutliches Warnsignal für die Politik, sorgsam mit dem Standortvorteil «Stabilität» umzugehen und bei der Weiterentwicklung von Regulierungen umsichtig zu sein. Es ist die Stabilität, die es unserer Wirtschaft erlaubt, dynamisch zu sein. (Raiffeisen/mc)

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