Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Steuerstreit nicht Wettbewerb

Martin Neff

von Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)

St. Gallen – Im Frühjahr war der Aufschrei gross, als die sogenannten Panama-Papers publik wurden. Wie bei allen Skandalen, verlief sich bald danach ziemlich viel wieder im Sand. Aber immerhin kostete das Ganze Islands Regierungschef Gunnlaugsson den Kopf und einige Prominente, nicht nur der damalige britische Premier Cameron, gerieten in Erklärungsnotstand.

Doch eigentlich ist Panama (fast) überall. Denn sobald eine Steueroase trocken gelegt ist, keimt woanders auch bereits die nächste. Wir wissen das aus eigener Erfahrung. Die Schweiz gehört längst nicht mehr zu den attraktiven Steuerdestinationen, ähnlich wie Liechtenstein, Monaco oder Andorra, die den automatischen Informationsaustausch wohl im kommenden Jahr einführen dürften. Die dortigen Steuersätze bleiben indes nach wie vor sehr attraktiv, Steuerhinterziehung wird aber kaum mehr wie im bisherigen Ausmass möglich sein. In dieser Hinsicht erfreuen sich die Bahamas ungebremster Beliebtheit und auch in Osteuropa lässt sich offenbar mehr als nur Steuern „sparen“. Bulgarien z.B. hat bis jetzt die OECD-Konvention zum gegenseitigen Informationsaustausch nicht unterschrieben.

Weil dies so ist und die meisten Staaten unverändert über ihre Verhältnisse leben, wird immer mehr gegen „Steueroptimierer“ aufgerüstet. Deutschland etwa, das finanziell eigentlich sehr gut dasteht, vor allem im internationalen Vergleich, plant, die Banken stärker in die Verantwortung zu nehmen. Die sollen dem Fiskus Sammel-Abfragen ermöglichen, wenn ein konkretes Verdachtsmoment besteht. Banken müssten demnach die Namen derjenigen Kunden preisgeben, welchen sie Kontakte zu Offshore-Firmen vermittelt haben. Auch die Gründung einer Briefkastenfirma im Ausland oder der Erwerb von Anteilen an einer solchen soll meldepflichtig und Verstösse mit bis zu 20’000 Euro gebüsst werden. Das klingt nach was, vernebelt aber, dass gerade Deutschland selbst recht zurückhaltend ist, wenn es darum geht, anderen Staaten Steuerdaten zu liefern, hingegen munter solche sogar auf dem Schwarzmarkt kauft, wenn sie feilgeboten werden. Glaubwürdig ist das nicht wirklich.

Kreative Praxis
Sodann meldete eben erst die NZZ, dass die USA mehr oder weniger ungeniert mit Steuergeschenken werben. Das bestätigen auch mit der Materie vertraute Juristen. Längst nicht nur die Steuerpraxis in Delaware, wo mehr Firmen als Einwohner gezählt werden, sondern auch diejenige in anderen Gliedstaaten der USA steht in krassem Widerspruch zur kompromisslosen Jagd des Department of Justice nach Steuersündern weltweit. Denen haben die Amerikaner bekanntlich schon einige Milliarden abgeknöpft. Davon können auch die Banken hierzulande ein Lied singen, inklusive des Abgesangs für das Bankgeheimnis. Das eine tun, doch das andere nicht lassen, scheint einmal mehr die Devise der Amerikaner.

Sonderbar ist dafür noch ein netter Ausdruck, glaubwürdig ist das jedenfalls nicht wirklich. Nun kommen die US-Firmen mit Sitz in Europa ins Visier der Steuerjäger aus Amerika. Auf der anderen Seite würde die EU ganz gern mehr Steuern von diesen Firmen kassieren. Da ist schon absehbar, dass das nicht streitfrei über die Bühne gehen wird. Lange schon ist den US Behörden ein Dorn im Auge, dass Apple, Google und andere Konzerne Lücken in den nationalen Gesetzgebungen Europas dafür nutzen, Gewinne mittels Lizenzgebühren in Länder wie Irland oder die Niederlande zu verschieben, um sie nicht in den USA versteuern zu müssen. Das ist zwar auch nicht vertrauensbildend, aber zumindest kreativ.

Symptombekämpfung
Die Jagd nach Steuergeldern ist nicht neu. Doch dürfte sie sich angesichts immer prekärer werdender Staatsfinanzen tendenziell verstärken. In den USA, wo die Infrastruktur zusehends verlottert, ist der Geldbedarf mindestens so hoch wie in den meisten europäischen Ländern, die schon lange über ihre Verhältnisse leben. Leider muss man feststellen, dass die Länder, die vieles richtig machen, am Ende die Gelackmeierten sind. Die Schweiz beispielsweise lebt nicht über ihre Verhältnisse, der Bund erzielt sogar Überschüsse, die zwar auch Begehrlichkeiten auslösen, aber nicht in dem Ausmass, wie das andernorts der Fall sein würde.

Steuern zahlt auch hierzulande niemand gern, aber immer noch lieber als in den meisten anderen Industrieländern, wo nicht etwa öffentlicher Dienst für die Allgemeinheit sondern nur noch Wachstum auf Pump generiert wird. Dies, um einen riesigen Umverteilungsapparat am Leben zu erhalten, welcher der Politik die Wiederwahl sichern soll. Das ist keine Basis für die Zukunft, umso mehr als die Geldpolitik nun auch noch vor diesen Karren gespannt wird. Die Bekämpfer der Steuerflucht sollten sich eines vor Augen führen. Flüchtlinge sind in der Regel Menschen, die in ihrem chaotischen Land keine Zukunft mehr sehen, weil sie dort der Willkür oder gar Gewalt ausgesetzt sind. Vermeiden lässt sich dies nur, indem man die Ursachen bekämpft. Steuerflucht ist lediglich Symptom.

Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen

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