Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Sündenbabel des Wettbewerbs
Vorletztes Wochenende wurde der Schweizer Finanzplatz, bzw. was von dem noch übrig war, endgültig geschreddert. Mit der Zwangsübernahme der Credit Suisse durch die UBS endet nicht nur die 166-jährige Geschichte einer einst höchst angesehenen Schweizer Traditionsbank, sondern es wurde gleichzeitig auch der Mythos des hochgelobten Swiss Bankings beerdigt.
Dadurch erlitt das ganze Land wohl auch einen irreversiblen Schaden. Wenn der griechische Notenbankchef Giannis Stournaras nach der Übernahme der CS durch die UBS das eigene Volk beruhigt, ist das nicht etwa ein Paradoxon, sondern die neue Realität. Ein Land, das vor einer guten Dekade die Finanzmärkte in Aufruhr und Panik versetzte, ist heute froh darüber, dass seine Banken nicht eng mit der Credit Suisse verbandelt waren. Wie krass ist das?
Für einmal ging von einem vermeintlichen Hort der Stabilität ein Beben durch die globalen Finanzmärkte. Ich überlasse die ordnungspolitische Debatte, ob diese Übernahme nun rechtens war, anderen, die mehr davon verstehen, aber ganz koscher war die Angelegenheit ganz sicher nicht. Auch sehr speziell ist die Tatsache, dass Finanzmarktaufsicht (FINMA) und Nationalbank (SNB) uns alle am 15. März beruhigten, dass die Credit Suisse sozusagen «safe» sei und nur wenige Tage danach verkündeten, es hätte keine Alternative zur Rettung der Credit Suisse gegeben als diese unsägliche Fusion. Auch dass die Schweiz, in der alles immer etwas bedächtiger zu- und hergeht als anderswo, im Hauruckverfahren einen so folgenschweren Entscheid herbeiführte, ist schon ziemlich aussergewöhnlich, mein Jüngster würde sagen «spooky».
Wenn man berücksichtigt, dass es gut 15 Jahre brauchte, bis FINMA und SNB endlich das Regulierungskorsett ein kleines bisschen fester zurrten (Stichwort: «Too big to fail» (TBTF)) wird es wirklich gespenstisch. Hätten sich die sonst so akribischen Oberaufseher bei der Verschärfung der Eigenmittelvorschriften nicht so viel Zeit und von den Banken hinhalten lassen, wäre uns das alles erspart geblieben. Dafür braucht es sicher keinen Konjunktiv, das steht fest.
Ich kann mir beim besten Willen auch nicht vorstellen, dass diese Blitzzwangsfusion ein Schweizer Werk ist. Es ist bezeichnend, dass der Bundesrat einen Teil der Pressekonferenz in Englisch abhielt. Die USA dürften kräftig gedrückt haben, um bloss nicht auch noch mitgerissen zu werden. Dort hat man 2008 schon Erfahrung gesammelt, was es heisst, einen Lehman allen zu lassen. Eine zweite «Lehman-Pleite» wollte man auf keinen Fall riskieren. Der Kollateralschaden war damals bekanntlich gewaltig. Immerhin gelang es den USA, den Rest der Welt mitbluten zu lassen. Etwa die Hälfte der faulen Subprime-Papiere detonierten in den Bilanzen nicht US-amerikanischer Finanzinstitute. Im Fall der Übernahme der Credit Suisse durch die UBS haftet einzig und allein die Schweiz dafür, die Welt gerettet zu haben.
Apropos Welt retten. Die Welt ist bekanntlich weder nach der Subprime- noch nach der Eurokrise untergegangen. So schnell geht das ja auch nicht, ein Untergang vollzieht sich in Raten, wie uns die Geschichte lehrt oder die immer dramatischere Formen annehmende Umweltkrise. Trotzdem hiess es stets, dass das Allerschlimmste passiert wäre, hätten Politik und Notenbanken nicht beherzt eingegriffen. Gerade die Notenbanken neigen dazu, ihr immer unkonventionelleres Einschreiten damit zu begründen, Schlimm(er)es zu vermeiden. Dabei bedienen sie sich stets des Konjunktivs: «Hätten wir nicht, wäre was auch immer passiert.» Auch was passiert wäre, bleibt stets unbestimmt.
Was wäre tatsächlich noch Schlimmeres passiert, hätte man damals Lehman Brothers gerettet? Die Krise war schon längst ausgebrochen und die über 2 Billionen USD, die in den Markt gepumpt wurden, beruhigten zwar die Finanzmärkte, dafür schlitterte die ganze Welt in die Rezession und in den USA wurden abertausende Haushalte obdachlos. Eine wahrlich obskure Rettungsaktion.
Auch unsere Nationalbank bedient sich noch so gern des Konjunktivs. Da war zunächst das Deflationsgespenst, das an die Wand gemalt wurde und Raum bieten sollte für ein kleines «whatever it takes made in Switzerland». Die unsäglichen Devisenmarktinterventionen hätten eine Aufwertung des Frankens verhindern sollen und Negativzinsen erst recht. Doch der Franken strotzte unverändert vor Stärke. Dafür sitzen unsere obersten Geldhüter nun auf einer Riesenbilanz, gehören zu den grössten (öffentlichen) Investoren weltweit und verbuchten mal grade eben einen Verlust von sage und schreibe 135 Milliarden Franken. Das wird das Aktionariat nicht erfreuen, wie wir wissen. Apropos Aktionariat: Die Credit Suisse ist gemäss Bloomberg die sechstgrösste Aktionärin der SNB.
Genauso gespenstisch ist jetzt die politische Aufarbeitung von links nach rechts. Diese Übernahme ist der Stoff, aus dem die Träume sind. Für den anstehenden Wahlkampf versteht sich. Für jeden fällt da ein grösseres Scheibchen ab und es kursieren ja schon jetzt strube Gedanken, wie das Debakel ein wenig abgeschwächt werden könnte. Und natürlich wird der angeschlagene Finanzplatz nun zum Spielball der politischen Parteien. Doch darüber lohnt es sich nicht, weiter zu sinnieren, es tut so schon weh genug. Die sogenannte Marktwirtschaft, weil überreguliert oder viel zu sehr gehätschelt, wird mehr und mehr zum Sündenbabel. Gerade die, welche den Wettbewerb predigen, schützen damit nur ihre Pfründe. Das war schon in der Energiebranche immer so, in der Pharmabranche, im Banking oder in der Automobilbranche. Die Lobby ist das wichtigste Wettbewerbsinstrument im Sündenbabel des Wettbewerbs. Das wissen auch die deutschen Autobauer, die erfolgreich den kompletten Ausstieg aus den Verbrennungsmotoren torpedierten und auch über 2035 hinaus E-Fuel-Fahrzeuge bauen dürfen.
Wetten, die drücken auch noch steuerliche Entlastungen durch und natürlich die gute alte Abwrackprämie? Abgewrackt wird tatsächlich aber nur der Wettbewerb.