Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Take the profit and run?

Martin Neff

von Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)

St. Gallen – Letzte Woche an einer Podiumsdiskussion mit Investmentspezialisten musste ich wieder Mal staunen, wie ambivalent die Stimmung bei den hochdotierten Börsenbeobachtern ist. Keinem war es eigentlich so richtig wohl, denn die Länge der Aktienhausse, die hohen Bewertungen und die Tatsache, dass vieles davon der Geldpolitik geschuldet ist, lösen auch bei mir seit längerem schon ein mulmiges Gefühl aus.

In den USA jagt der Aktienmarkt unverändert von einem Rekord zum nächsten und auch die Börsen in Europa haben zu einer Aufholjagd angesetzt. Von einem Crash oder nur schon von einer schmerzhaften Korrektur war auf der Bühne nicht die Rede. Aktien blieben alternativlos, die globale Konjunktur unterstütze den Aufschwung auch weiterhin und die geldpolitische Normalisierung, was immer das auch sein mag, werde so vorsichtig herbeigeführt, dass davon kaum Gefahr für die Märkte ausgehen würde.

Diese Argumente klingen allesamt plausibel, man hört sie nun aber auch schon etliche Zeit. Die Obligationenrenditen sind in den letzten zwei Jahren zwar leicht angestiegen, Aktiendividenden sind aber nach wie vor attraktiver. Mit der Konjunktur ist es etwas komplizierter, doch dazu später. Was mich stutzig macht, ist die Tatsache, dass eine Aktienhausse im ersten und im letzten Jahr des Zyklus meist besonders kräftig ist. Sehr gut möglich, dass wir momentan eine Wiederholung dieses Schemas sehen, denn der globale Aktienmarkt hat nach bereits sehr guten Jahren 2017 nochmals extrem stark zugelegt. Die Risiken, vor allem die Überschuldungsfrage und viele offene Fragen zu den globalen geldpolitischen Experimenten sind aber doch substantiell genug, dass man eine Korrektur, und damit meine ich eine schmerzhafte, nicht a priori verwerfen sollte.

Himmelhoch jauchzend
Die Bewertungen sind historisch gesehen so hoch, dass die Konjunktur nicht nur auf Kurs bleiben, sondern auch nachlegen muss, um die gute Marktstimmung zu rechtfertigen. Das wird äusserst schwierig. Die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind derzeit so günstig wie lange nicht mehr. Die globale Konjunktur ist breit abgestützt und der Aufschwung verläuft mehr oder weniger synchron. Die meisten Schwellenländer haben sich wieder gefangen und die Weltwirtschaft wirkt insgesamt robust. Woher sollen nun noch zusätzliche Impulse kommen? In China stehen die Zeichen nächstes Jahr wieder auf Verlangsamung. Die kommunistische Regierung kann das Wachstum dort nicht ewig mit Schulden vorantreiben.

In den USA wiederum beunruhigt die Tatsache, dass der Konjunkturzyklus bereits sehr weit fortgeschritten ist, die Zinsen aber auf einem Niveau liegen, wie sonst zu Beginn einer konjunkturellen Erholung. Das ist sicher kein Vorbote einer Rezession, aber bereits eine deutliche Abkühlung kann die Märkte ins Wanken bringen. Vielleicht kann die von den Republikanern gerade heiss debattierte Steuersenkung für ein Strohfeuer sorgen, solange sie denn tatsächlich zustande kommt. Aber wer fragt danach, wie sie finanziert wird?

Was viele zudem nicht realisieren: Auch in der Eurozone macht die Konjunktur schon seit längerem eine gute Figur. Seit nun schon drei Jahren wächst die Wirtschaft mit etwa 2%, nicht spektakulär aber doch leicht über Potential. Punkto Wachstum gibt es auch hier nicht mehr viel Luft nach oben und schon 2018 dürfte das Expansionstempo wieder nachlassen. Aktuell liegen die Prognosen für das globale Wachstum 2018 tiefer als 2017. Die Bäume können so gar nicht weiter Richtung Himmel wachsen.

Übertriebene Erwartungen
Damit es an den Märkten nicht zu bitteren Enttäuschungen kommt, müssen zudem die Unternehmensgewinne positiv überraschen. Auch hier zeigt sich ein ähnliches Bild, denn es wird immer schwieriger die hochtrabenden Erwartungen zu schlagen. Auch im abgelaufenen dritten Quartal war die Gewinnsaison wieder grundsätzlich positiv und der Trend steigender Gewinne ist nach wie vor intakt. Bei Einzeltiteln kommt es aber wegen zu hohen Erwartungen immer wieder zu Rückschlägen. In der Schweiz beispielsweise war dies gerade erst bei den Titeln von Roche und Geberit der Fall. Beide wurden an der Börse abgestraft, obwohl sie grundsätzlich ordentliche Quartalszahlen präsentierten.

Käufe auf Pump
Und dann noch etwas, was so nebenbei läuft. Nicht nur die Aktien sind in den USA auf Allzeithoch, sondern auch die Schulden, die Investoren bei Brokern aufnehmen, um damit auf Pump Wertschriften zu kaufen. Ende des dritten Quartales lag die Summe der sogenannten Margin Debt bei astronomischen 559 Milliarden Dollar, sie war also fast annähernd so hoch wie das Schweizer Bruttoinlandprodukt. Damit ist der Leverage (Hebelung) doppelt so gross als auf dem Höhepunkt der Tech-Blase vor 17 Jahren. Selbst unmittelbar vor dem Ausbruch der Finanzkrise 2007/2008 war das Kreditvolumen für Aktienkäufe deutlich tiefer. Aber auch relativ zum Bruttoinlandprodukt ist die Hebelung aktuell so gross wie noch nie. Die schuldenfinanzierten Aktienkäufe betragen fast 3% der amerikanischen Wirtschaftsleistung.

Das ist gelinde gesagt schon etwas bedenklich. Geraten die Aktienkurse ins Rutschen, wird der schuldenfinanzierte Investor nachschusspflichtig und unter Umständen muss er seine Aktienposition verkaufen, was sehr schnell zu einer brandgefährlichen Abwärtsspirale führen kann. Die Margin Debt ist kein perfekter Vorlaufindikator, so hält sich der Leverage schon seit längerem auf einem hohen Niveau, ohne dass es zu einer wesentlichen Korrektur
gekommen ist. Der Leverage gesellt sich aber zur grossen Zahl genannter Unwägbarkeiten, welche die fast blinde Zuversicht an der Börse doch ein wenig in Frage stellen. Gewinnmitnahmen sind da kein schlechter Tipp; darüber waren wir uns auf dem Podium eigentlich recht einig. (Raiffeisen/mc)

Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen

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