Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Trump Fiction

Fredy Hasenmaile, Chefökonom von Raiffeisen Schweiz. (Bild: Raiffeisen)

Von Fredy Hasenmaile, Chefökonom Raiffeisen Schweiz

Der Kultfilm «Pulp Fiction» von Quentin Tarantino aus dem Jahr 1994 erzählt in Episodenform über die sehr eigene Welt einiger Gangster in Los Angeles. Aktuell erleben wir «Trump Fiction» – die Welt, in der Donald Trump lebt, wobei viele denken, sie sitzen komplett im falschen Film. Der ökonomische Analphabetismus von Präsident Trump ist kaum zu glauben, aber leider Realität. Spät, sehr spät dämmert auch den Investoren, welchen Schaden Trumps wirtschaftspolitischer Vandalismus anrichtet. An den Finanzmärkten hat der Wind komplett gedreht. Die Episode rund um die Zollpolitik dürfte allerdings nur der Anfang gewesen sein. Umso wichtiger ist es, aufzuzeigen, wo Trump irrt und weshalb sein Hochrisiko-Experiment nicht funktionieren kann.

Freihandel ist die Basis unseres Wohlstands
Mit seinen wirren Ansichten zum Freihandel stellt sich Trump gegen 200 Jahre ökonomische Lehre. Bereits 1817 legte David Ricardo mit seiner Theorie der komparativen Kostenvorteile den Grundstein: Länder sollen die Güter und Dienstleistungen produzieren, bei denen sie besonders effizient sind – und diese mit anderen Ländern tauschen. Die grossen Dienstleistungsexporte der US-Banken und Tech-Konzerne sind ein gutes Beispiel dafür, werden allerdings von Trump komplett unter den Tisch gekehrt, weil sie nicht in sein Narrativ passen.

Arbeitsteilung und Freihandel erhöhen die Effizienz weltweit. Dadurch können alle beteiligten Länder mehr Güter und Dienstleistungen produzieren und konsumieren, als wenn sie autark wären. Dies erhöht den Wohlstand und verbessert den Lebensstandard weltweit. Laut Weltbank lebten 2024 nur noch 8,5% der Weltbevölkerung in extremer Armut – ein historischer Tiefststand. Trump will dagegen das Rad zurückdrehen und möglichst viele Güter wieder in den USA produzieren. Dabei erleben wir im Arbeitsalltag täglich, wie sehr die Spezialisierung auf spezifische Tätigkeiten die Produktivität steigert. Freihandel funktioniert nach demselben Prinzip – nur eben global.

Protektionismus schafft nicht mehr Jobs
Fast alle wissenschaftlichen Untersuchungen über Zölle und protektionistische Massnahmen in der Vergangenheit der USA kommen zum Ergebnis, dass dadurch netto nicht mehr Arbeitsplätze geschaffen wurden. Stattdessen führten sie zu Arbeitsplatzverlusten in Sektoren, die Vergeltungsmassnahmen ausgesetzt waren, oder in nachgelagerten Produktionssektoren der von Zöllen geschützten Bereiche.

Olivier Blanchard, der zu den Top-20-Ökonomen der Welt zählt, kommentiert das Bestreben, jeglichen Handelsbilanzsaldo auszugleichen, mit einem persönlichen Beispiel: «Ich habe ein Handelsbilanzdefizit mit meinem Lebensmittelhändler und einen Handelsbilanzüberschuss mit meinem Arbeitgeber. Zwecks Ausgleichs könnte ich nun für den Lebensmittelhändler arbeiten. Das würde die Saldi verringern, keinen neuen Job schaffen, aber die Produktivität stark verringern.» Damit erinnert er an die Erkenntnis, dass sich die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft nicht nach dem Aussenhandelssaldo bemisst, sondern nach deren Produktivität.

Für Reindustrialisierung fehlen die Voraussetzungen
Die Realität spricht gegen Trumps Industrieromantik. Eine Studie von Deloitte veranschlagt die demografisch bedingte Arbeitskräftelücke in der verarbeitenden Industrie auf 1,9 Millionen Arbeitskräfte bis 2033. Darin sind die zusätzlichen Arbeitskräfte für die angestrebte Renaissance der US-Industrie noch nicht mitberücksichtigt. Schon heute verzögern sich in der Halbleiterindustrie Fabrikprojekte von TSMC und Intel in den USA aufgrund von Schwierigkeiten, die erforderlichen qualifizierten Arbeitskräfte zu finden. Allein zur Fertigstellung der angefangenen Projekte fehlen rund 300’000 Fachkräfte. Hinzu kommt: Unternehmen brauchen Planungssicherheit für die mit hohen Investitionen verbundene Verlagerung von Produktionskapazitäten in die USA. Die völlig unberechenbare Wirtschaftspolitik der Regierung Trump erzeugt allerdings genau das Gegenteil.

Zollkrieg treibt die Inflation an
Viele Amerikaner wählten Trump, weil er ihnen eine tiefere Inflation versprach. Dessen Zollkrieg wird die Inflation jedoch wieder kräftig anheizen. Diverse empirische Studien zeigen beispielsweise, dass die US-Konsumenten die Last der Zölle, die Trump 2018 einführte, über höhere Preise trugen. Der Güterimportanteil im US-Warenkorb beträgt 7%. Wenn der Durchschnittszollsatz um 1 Prozentpunkt steigt, nimmt die Inflation um 0,07% zu. Der durchschnittliche Zollsatz steigt unter Einbezug der irreführend als «reziprok» bezeichneten Zölle von 2,5% auf 23%. Das allein dürfte die Inflation – noch ohne Einbezug von Zweitrundeneffekten – um deutlich über einen Prozentpunkt anheben. Darin nicht eingerechnet sind die massiven Bürokratiekosten, die das Zollchaos auslöst. Zölle sind letztlich Steuern, und zwar regressive Steuern. Das heisst, sie treffen einkommensschwache Haushalte besonders stark.

Schuldenfinanzierung in Gefahr
Nicht nur Konsumenten sind gefährdet. Zur Finanzierung der amerikanischen Schuld sind die USA auf einen stetigen Kapitalzufluss angewiesen. Die Kapitalzuflüsse sind aber ein Spiegelbild der Handelsdefizite. Würgt man den Handel ab, ist davon auch der Kapitalverkehr betroffen, auf den die USA zur Finanzierung ihrer Schulden angewiesen sind. Die Amerikaner wären demnach gut beraten, zunächst ihr Haushaltsdefizit zu korrigieren, bevor sie die Handelsdefizite beseitigen. Auch diesbezüglich sollte die Amateurtruppe rund um Präsident Trump den Rat hochkompetenter US-Ökonomen berücksichtigen.

«Trump Fiction» wird mit Sicherheit kein Kultfilm. Ein passenderes Drehbuch liefert vielmehr der Film «From dusk till dawn» von Robert Rodriguez, zu dem Quentin Tarantino das Drehbuch geschrieben hat. Der Film beginnt als raffiniertes und flirrendes Roadmovie, artet am Ende aber unerwartet in eine absolut wüste Splatterorgie aus.

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