Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Unbelehrbar
Die Pandemie scheint hierzulande kein Thema mehr zu sein. Leute, die Masken tragen, sind schon fast Exoten, dafür werden wieder Hände geschüttelt, zur Begrüssung oder zum Abschied Küsschen verteilt oder man umarmt sich herzlich. Desinfektionsmittel findet man auch fast nirgends mehr. Wir haben es wohl hinter uns gebracht, möchte man meinen. Wollen wir hoffen, dass das so bleibt und nicht plötzlich doch noch eine neue Welle welcher Art auch immer auf unser Land zurollt. Anders sieht es in China aus, doch dazu später.
von Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen
Was aber ist bei uns zurückgeblieben? Hat es nicht doch fundamentale Verhaltensänderungen gegeben, die auch heute noch nachwirken? Ich denke schon, denn – ob bewusst oder unbewusst – unsere Einstellung zum Leben hat sich wohl doch etwas geändert. Ja, wir fliegen wieder und drängen uns am Black Friday in die Geschäfte, sitzen im Zug und sonst wo wieder (zu) nah beisammen und pflegen auch sonst unsere Vorcoronagewohnheiten, aber ein bisschen anders als vor Corona ist unser Leben eben doch. Nicht wenige haben Verwandte, Freunde oder Bekannte verloren oder kennen zumindest Menschen, die einen solchen Verlust beklagen. Homeoffice ist ein weiterer Einschnitt, der sehr unterschiedlich wahrgenommen wird. Und ein etwas mulmiges Gefühl bleibt unser ständiger Wegbegleiter, bei den einen mehr, bei den anderen etwas weniger. Aber wir alle schätzen es natürlich, wieder tun zu können, was uns vorübergehend verboten war.
Ganz anders sieht es in China aus. Dort brodelt es inzwischen gehörig und längst nicht mehr nur unter der Oberfläche. Die Chinesen haben es satt, nicht mehr arbeiten zu können und damit in ihrer Existenz bedroht zu werden, nur mit einem gültigen PCR-Test auf die Strasse zu dürfen oder in ein Quarantänezentrum gesteckt oder zu Hause eingesperrt zu werden. Sie gehen auf die Strasse, was natürlich keine gute Idee ist, denn das Regime wird mit allen Mitteln an seiner Null-Covid-Politik festhalten. Alles andere wäre für Xi Jinping und seine Hörigen ein Gesichtsverlust. Mit einem massiven Polizeiaufgebot vertreibt das Regime das Volk teils auch mit Gewalt von den Strassen. Und es kontrolliert die Handys von Passanten auf westliche Apps wie Twitter oder Telegram, über die sich die Demonstranten jeweils verabreden oder über die sie Fotos austauschen.
Bloss nichts nach aussen dringen lassen, sich bloss nicht blamieren – um jeden Preis. Nichtsdestoweniger geraten im Westen immer wieder Bilder an die Öffentlichkeit. So auch vergangenen Montag, als Sicherheitskräfte einen BBC-Reporter schlugen, traten und dann festnahmen, weil er sich gemäss offiziellen Quellen nicht korrekt ausgewiesen hatte. Und was tun wir? Wir schütteln höchstens noch den Kopf und tun ansonsten, was wir am besten können: Wir empören uns, so wie wir uns über Katar, das iranische Regime oder die Bombardements der Türkei in Kobane und – fast chronisch, aber zunehmend gleichgültig – den Hunger in der Welt empören. Mit etwas mehr Herzblut sind wir im Ukrainekrieg dabei, aber auch nur, weil wir dort in Form eines Stellvertreterkriegs praktisch selbst involviert sind und zusätzlich seit über einem Dreivierteljahr fast täglich mit Bildern «weichgekocht» werden.
Wir wollen die «neue» Realität wahrscheinlich nicht wahrhaben oder, besser ausgedrückt, am liebsten verdrängen. Menschenrechte sind ohnehin nur so lange auf dem moralischen Prüfstand unserer belehrenden, besserwisserischen westlichen Kultur, bis es ans Eingemachte geht, etwa wenn die Preise für vieles, was einfach viel zu billig war, steigen, die Energie teurer wird oder unsere Lieblingskonfitüre gerade vergriffen ist. Corona, der Auftakt zu einem neuen ökonomischen Zeitalter? Inflation, Rohstoffpreisschock und Zusammenbruch der Lieferketten haben uns vor Augen geführt, dass es nicht immer so geschmiert weiterlaufen muss, wie wir uns das in Zeiten der Globalisierung gewohnt waren. Die Inflation könnte hartnäckiger bleiben, als wir heute erwarten. Wir haben ihren Anstieg schon unterschätzt, wieso nicht auch ihre Dauer?
Angesichts der Situation in China scheint eine erneute Beeinträchtigung der weltweiten Lieferketten vorprogrammiert. Dass Öl und Gas wieder einiges günstiger sind als am Höhepunkt, muss nicht heissen, dass es nicht wieder zu einem Rohstoffpreisschock kommen kann. Und Corona hat etliche Arbeitskräfte aus den Niedriglohnsektoren vertrieben, so dass auch die Löhne eher aufwärts tendieren dürften. Vielleicht ist Corona am Ende der Trigger, der die vermeintlichen Vorteile der Globalisierung umkehrt. Von daher ist die Pandemie möglicherweise auf dem Rückzug, ihre Folgen werden wir aber nicht so schnell wieder los.
Unsere auf Wachstum getrimmten Volkswirtschaften sind vollkommen abhängig davon, dass die Weltwirtschaft reibungslos funktioniert. Dafür sind wir wiederholt bereit gewesen – und sind dies noch immer –, faule Kompromisse einzugehen, gerade bei Rohstoffen, wo wir den einen «zwielichtigen» Lieferanten durch einen anderen ebensolchen ersetzen. Und wenn es darum geht, unsere Waren an den Mann zu bringen, sind wir auch nicht zimperlich. Dann ist China noch immer ein willkommener Absatzmarkt und der Nahe Osten, ja selbst der Iran, sind gern gesehene Kunden. Und wenn man etwas weiter in die Zukunft blickt und tatsächlich mal ernsthaft in die Klimawende investiert, werden sich neue Abhängigkeiten einspielen. Ein Elektroauto benötigt viermal mehr Metall als herkömmliche Automobile mit Verbrennungsmotoren. Zudem auch Metalle wie Lithium, Nickel, Mangan, Kobalt oder Grafit, die für Verbrenner gar nicht benötigt werden.
Erneuerbare Energie verschlingt pro Megawatt ebenso deutlich mehr Metalle als Gas, Kohle oder Atomenergie, vor allem Kupfer oder Zink (Windenergie), zudem Silizium (Photovoltaik) und dann noch die Seltenen Erden sowie Mangan, Kobalt oder Molybdän (vornehmlich Windenergie). Nun muss man wissen, dass für etliche Metalle die Konzentration deutlich höher ist als bei fossilen Brennstoffen. Vor allem bei der Aufbereitung von Metallen hat China Weltmarktanteile von fast 40 % oder auch mehr bei Nickel und Kupfer, fast 60 % bei Lithium, über 60 % bei Kobalt und fast 90 % bei den Seltenen Erden. Daher wird die angestrebte Energieunabhängigkeit (von Russland oder dem Nahen Osten) durch neue Abhängigkeiten erkauft werden müssen, die politisch oder weltanschaulich wahrscheinlich ebenso umstritten sind.
Würden wir hingegen bei der Nachfrage ansetzen und den Verbrauch drastisch senken, könnten wir diese Abhängigkeiten um einiges reduzieren. Doch dies, hören wir immer wieder, sei keine realistische Alternative zum Wachstum – zum Wachstum um jeden Preis, müsste man da noch ergänzen. Warum eigentlich nicht? Ganz einfach: Das würde die Wiederwahl gefährden und uns Warmduschern zu viel zumuten. Zudem könnten die Regierungen keine Geschenke oder Almosen mehr verteilen, um den Karren am Laufen zu halten. Also werden wir das Karussell weiter seine Runden drehen lassen, auf Pump, wie heute üblich, versteht sich. Doch jede Fahrtrunde wird etwas teurer. Bis es doch nicht mehr anders geht oder eben gar nicht mehr. Haben wir wirklich gar nichts gelernt aus der Pandemie?
2 thoughts on “Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Unbelehrbar”
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Und gerade dieser Schreiber der Raiffeisen lebt von den ganzen Machenschaften und lebte vorher ganz gut genau davon…
Aber vielleicht wird er eines können, umdenken.
Allerdings wird es in der Welt nicht besser, wenn er und ich umdenken. Die UNO allen voran treibt die Welt vor sich hin. Dazu kommen die Weltpolitiker von USA, CHINA, DE, IT, FR usw. die keinen cm nachgeben wollen, selbst die linksgrüne Politelite der Schweiz predigt Wasser und verprasst unsere Steuergelder für Unsinniges. Hauptsache das Volk wird geknechtet und klein gehalten, ok in der Schweiz noch nicht zwingend mit Schlagstöcken, aber auch wir werden überwacht allenthalben…
Der Text ist gut, weil ich ihn bis zum Schluss gelesen habe, er weist in seiner Grundsätzlichkeit weit über die Schweiz hinaus. Martin Neffs letzte Frage lässt offen, ob wir als Gesellschaften lernfähig sind oder dumm bleiben. Da frage ich mich, was der kürzlich verstorbene grosse Wissenschaftler James Lovelock antworten würde. Ich denke, er würde darauf verweisen, dass uns die Erde nicht braucht. Es liegt vielmehr an uns Menschen, was wir uns und unseren nachfolgenden Generationen zumuten, welche Welt wir ihnen hinterlassen. Subsistenz im Kleinen ist das eine Richtige. Das andere ist, dass Politik Resilienz zeigt und auf allen Ebenen steuernd eingreift, wo Märkte es nicht richten, weil sie nicht aus sich selbst heraus komplex regulieren und auf uns und unsere Umwelt Rücksicht nehmen sondern stets der Gier frönen. Zeigen wir ihnen und uns selbst doch, wie wir uns mit zivilisatorischen und technologischen Fortschritten belohnen. Unsere stete Unrast werden wir Menschheit sowieso niemals ablegen.