359 Jahre benötigte die katholische Kirche, um Galileo Galilei und damit das kopernikanische Weltbild, wonach die Erde sich um die Sonne dreht, zu rehabilitieren. 1992 endlich würdigte Papst Johannes Paul II. öffentlich die Leistungen des Mathematikers und Astronomen und gestand Fehler seitens der Kirche ein.
von Fredy Hasenmaile, Chefökonom Raiffeisen
Ob und wann auch der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan dereinst seine Fehler im Kampf gegen die Inflation einräumen wird, steht in den Sternen. Ähnlich wie die Kirche weigert er sich beharrlich, wissenschaftliche Erkenntnisse anzuerkennen. Seinem Land erweist er damit einen Bärendienst.
Zinserhöhungen gelten als bewährtes Mittel im Kampf gegen die Inflation. Aber der türkische Präsident Erdogan sträubt sich seit Jahren, diese ökonomische Weisheit anzuerkennen, und beharrt auf dem Gegenteil. Er vertritt die unorthodoxe Ansicht, dass steigende Zinsen die Preise in die Höhe treiben. Zinsen seien für Unternehmen ein Kostenfaktor, daher müssten nach seiner Ansicht rückläufige Leitzinsen mit sinkenden Kosten für Unternehmen einhergehen. Reihenweise mussten Zentralbankchefs abdanken, weil sie sich gegen die Meinung ihres Staatspräsidenten stellten und den Zins in seinen Augen nicht ausreichend verbilligten.
Letzten Freitag hat mit Fatih Karahan der sechste Zentralbankchef in weniger als acht Jahren sein Amt angetreten. Der letzte türkische Zentralbankchef, der trotz ständigen Drucks seitens Erdogans sein Mandat ordentlich nach Ablauf der Amtsdauer beenden konnte, war Erdem Basci. Das war im April 2016. Als Professor der Ökonomie galt er als Technokrat, der aus Überzeugung standhaft den Anfeindungen Erdogans zu widerstehen versuchte. Seine drei Nachfolger wurden alle von Erdogan nach zum Teil nur kurzer Amtszeit gefeuert.
Es folgte 2021 Sahap Kavcioglu, ein ehemaliger Abgeordneter der Partei Erdogans und wie Erdogan auch ein Gegner einer restriktiven Geldpolitik. Seine Aufgabe als Nachfolger im Amt des Zentralbankchefs war es, die Zinsen zu senken und mit billigem Geld die Wirtschaft im Vorfeld der richtungsweisenden Wahlen 2023 anzuschieben. Er senkte die Zinsen auch noch im Jahr 2022, obwohl die Inflation dramatisch anstieg. Zwar glückte die Wiederwahl von Erdogan, doch weil mittlerweile die Inflation in der Türkei durch die Decke ging und die Landeswährung Lira immer rascher an Wert verlor, musste Erdogan nur wenige Tage nach Beginn seiner dritten Amtszeit die Notbremse ziehen. Er ersetzte Kavcioglu durch Hafize Gaye Erkan, eine ehemalige US-Bankerin und die erste Frau an der Spitze der türkischen Notenbank.
Ihre Aufgabe war es, von der ultralockeren Geldpolitik wieder auf einen scharfen Straffungskurs umzuschwenken, um den Zerfall der Lira und die galoppierende Inflation zu bekämpfen. Sie erhöhte die Zinsen in mehreren Schritten von zuvor 8,5 Prozent auf 45 Prozent. Erst Ende Januar erfolgte die letzte Erhöhung um 250 Basispunkte. Noch bevor die türkische Zentralbankchefin jedoch den erwarteten, signifikanten Rückgang der Inflation erleben konnte, stolperte sie nach weniger als acht Monaten im Amt über Vorwürfe der Vetternwirtschaft und reichte letzte Woche ihren Rücktritt ein. Das Verhältnis zum Staatspräsidenten Erdogan dürfte bereits angeschlagen gewesen sein, sonst hätte er den Rücktritt nicht angenommen und postwendend mit Fatih Karahan den nächsten Zentralbankchef berufen.
Derweil ächzt die Türkei unter den Folgen der störrischen und unkonventionellen Wirtschaftspolitik seines Langzeitpräsidenten. Die Inflation hat zum Jahreswechsel 65 Prozent erreicht. Mit Erhöhungen des Mindestlohnes durchkreuzt die Regierung immer wieder die Bemühungen der Zentralbank, die Teuerung in den Griff zu bekommen. Die Inflation dürfte daher gegen Sommer hin zunächst weiter ansteigen, bis die hohen Zinsen die Inflation in der zweiten Jahreshälfte zum Rückzug zwingen dürften. Die Politik des billigen Geldes und die Unterminierung der Unabhängigkeit der Zentralbank, die nur noch auf dem Papier gegeben ist, haben einen Flurschaden angerichtet.
Dazu zählt auch der Zerfall der türkischen Lira. Noch Ende 2016 rief Erdogan sein Volk auf, Devisen und Gold in türkische Lira zu tauschen, um die nationale Währung zu retten. Unzählige seiner Anhänger folgten dem Aufruf und wechselten ihren Notgroschen ein, doch wer damals dem ungewöhnlichen Appell gefolgt war, hat seither in Dollar gemessen 90 Prozent seines Ersparten verloren. Einstmals pilgerten die Türken an Wochenenden gerne ins nahe Bulgarien für den Einkauf. Heute ist es umgekehrt. Jede Woche strömen bulgarische und manchmal sogar auch rumänische Einkaufstouristen in die türkische Grenzregion, um sich mit günstigen Waren einzudecken. Damit werden die Türken Wochenende für Wochenende daran erinnert, wie stark sie in den letzten Jahren verarmt sind, und welcher Preis die Negierung praktischer Erfahrungen der Vergangenheit und eindeutiger ökonomischer Lehren hat. (mc/pg)