Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Untragbar

Martin Neff

von Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)

St. Gallen – Bereits zum dritten Mal im laufenden Jahr wurden wir Zeuge eines Schauspiels, in dem sich Ängste und vermeintlich sichere Erwartungen komplett als völlig falsch erwiesen. Nach dem gescheiterten Referendum vom letzten Wochenende in Italien und dem Rücktritt Matteo Renzis als Regierungschef liessen die Aktienkurse nicht etwa Federn, sondern legten wider jegliche Markterwartung markant zu.

Auch schon nach der Wahl Donald Trumps war diese der Fall oder nach dem Brexit, der die Märkte nach kurzer Irritation sogar beflügelte, anstatt sie bachab zu schicken. Offenbar passen die Reaktionen an den Märkten auf „historische“ Abstimmungen längst nicht mehr zu den konventionellen Erklärungsmustern der vielen Deuter und Spezialisten. Alles nur Panikmache? Sieht fast so aus, Warnungen sind einfach schlagzeilenträchtiger als Beschreibungen harmloser Umstände.

Auch hierzulande war das – man denke nur an das EWR-Nein vom 6.12.92 – nicht anders. Die lang im Trend liegenden Warnungen vor einem Immobiliencrash sind inzwischen aber nahezu verstummt, was auch nicht weiter verwunderlich ist, denn sie erwiesen sich bisher allesamt als falsch. Deshalb ist jetzt eher Zurückhaltung angezeigt. Viele haben inzwischen auch verstanden, dass die Preisblase an den Immobilienmärkten kein Einzelphänomen bildet. Sämtliche Assetmärkte laufen zunehmend heiss. Deren Bewertungen hängen schliesslich alle am Zinsniveau. Und wenn die Zinsen historisch tief sind, sind die Preise in logischer Konkurrenz auch historisch hoch, egal ob die für Aktien, festverzinsliche Wertpapiere oder eben Immobilien. Von daher müsste man in der Logik der Deuter konsequenterweise eigentlich von allen zinsgetriebenen Anlagen die Finger weglassen. Vor dem Erwerb von Aktien oder Obligationen warnt indes aber niemand so vehement wie dann, wenn sich ein mittelständischer Haushalt heute Wohneigentum erwerben möchte.

Subprime in der Schweiz?
Die Geldpolitik ist der eigentliche Trigger des Ganzen. Gemäss SNB sind die Negativzinsen unumgänglich und entfalten die beabsichtigte Wirkung, eine eher gewagte Interpretation äusserst vager Wirkungsketten scheint mir. Mit den Nebenwirkungen befassen sich die Geldhüter aber nur oberflächlich und sind sehr kurz angebunden, werden sie danach gefragt. Wir haben zwar historisch einzigartig tiefe Zinsen und zwar schon eine ziemliche Weile, tun aber so, als sei dies nur eine vorübergehende Zeiterscheinung.

Der kalkulatorische Zins scheint daher ein in Stein gemeisseltes Tabu. Wer daran rüttelt, spielt mit dem Feuer, so hiess es zuletzt, nur weil Raiffeisen die sture Anwendung hinterfragte. Während die EZB den peripheren Ländern mit Ihrer Nullzinspolitik weiterhin ermöglicht, über ihre Verhältnisse zu leben, wird hierzulande das halbe Land nervös, wenn die gängige Praxis der Hypothekenvergabe kritisch hinterfragt wird. Plötzlich werden Finanzinstitute, die sich sonst in viel risikoreicheren Märkten tummeln und wiederholt Milliarden aufs Spiel oder in den Sand setzen zu Hütern des Schweizer Wohneigentumsmarktes. Und Raiffeisen wurde implizit vorgeworfen, leichtsinnige Haushalte vorsätzlich in den finanziellen Ruin treiben zu wollen, nur um noch mehr Hypothekarvolumen bolzen zu können. Das ist natürlich Unsinn, völlig unberechenbare Risiken wollen auch wir nicht eingehen, kalkulierbare hingegen schon, denn das ist schliesslich der Job eines jeden Bankers.

Es geht bei den Überlegungen zum Referenzzinssatz nicht um die Schaffung eines „Subprimesegmentes», wie auch in den Medien kolportiert, sondern um eine breite, nachhaltige Streuung von Wohneigentum. Warum soll ein Haushalt, der heute mit einer tatsächlichen monatlichen Belastung von etwa CHF 2‘000 Wohneigentum voll tragen kann, also nicht nur Zinsen bezahlen und für den Unterhalt aufkommen, sondern zudem auch die Schuld amortisieren kann, im „Notfall“ auch CHF 5‘000 oder mehr tragen können? Damit ist in der Tat ein GAU abgesichert, da diese CHF 5’000 nur dann fällig würden, wenn wir wieder bei 5% Zins angelangt sind und der Haushalt dem Zinsänderungsrisiko vollends ausgesetzt wäre. Dieses Zinsänderungsrisiko lässt sich aber absichern, in dem eine lange Hypothek abgeschlossen wird und in dieser Zeit die Differenz zwischen tatsächlicher und kalkulatorischer Belastung dazu benutzt wird, die Schuld zurückzuführen.

Zinsexplosion
Dass die Zinsen in vielleicht nicht einmal so ferner Zukunft wieder ansteigen werden, ist ziemlich wahrscheinlich, aber auf ein Niveau von 5% oder mehr? Dann würden wohl erst ganze Nationen Konkurs anmelden müssen, lange bevor das erste Einfamilienhaus in der Schweiz gepfändet würde. Dennoch gibt es in den Köpfen der Unkenrufer offenbar ein Szenario eines isolierten eidgenössischen Zinsschocks nach oben, gegen den niemand abgesichert ist. So wie dies im Crash der Neunzigerjahre der Fall gewesen sei. Doch den Crash damals haben die wenigsten hautnah miterlebt. Sonst wüssten sie, dass dessen Urheber nicht private Haushalte waren, die Wohneigentum erworben hatten, sondern schmalbrüstige Spekulanten, die nur ein Motiv hatten: Gier, sprich Gier nach dem schnellen Geld ohne Interesse einer Nutzung. (Raiffeisen/mc)

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