Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Unvernünftige Weihnachten 2.0

Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Unvernünftige Weihnachten 2.0
von Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)

St. Gallen – Jedes Jahr, wenn es auf Weihnachten zugeht, wirft der Mensch seine Vernunft über Bord und Unmengen Geld aus dem Fenster. Denn er kauft für andere Menschen Dinge, welche die weder brauchen können, geschweige denn wollen. Die Beschenkten wären ferner nicht annähernd bereit, so viel dafür zu bezahlen. Dieser Blödsinn findet alle Jahre statt und ist ein traditionelles globales Phänomen in Milliardenhöhe. Schenken erzeugt zudem Stress, es sollen schon Beziehungen daran gescheitert sein. Nicht wenige Partner interpretieren nämlich unnütze Geschenke als mangelndes Interesse des anderen an seiner Person. Sonst wüsste der schliesslich, was ihm oder ihr gefällt.

Haben Sie ihre Weihnachtskäufe überhaupt schon erledigt oder gehören Sie auch zu denen, die im letzten Moment noch etwas kaufen, von dem Sie gar nicht mal sicher sind, ob es dem Beschenkten überhaupt gefällt. Lassen sie es besser bleiben. Wieso sollte Ihnen ausgerechnet kurz vor Ladenschluss noch die geniale Idee kommen, was jemandem ganz besonders gefallen könnte, wenn er das unter seinem Christbaum fände? Die Wahrscheinlichkeit dafür ist ausgesprochen tief. Schenken ist ohnehin Quatsch, zumindest für die klassische Volkswirtschaftslehre. Wieso das so ist? Ganz einfach, weil der Mensch in der Theorie zumindest nur bereit ist, so viel für ein Gut zu bezahlen, wie ihm der Nutzen, den ihm dieses Gut stiftet, wert ist. Welchen Nutzen ein Mensch – oder reden wir besser vom Wirtschaftssubjekt – welchem Gut bemisst, weiss in der Regel aber nur er selbst und selten der, der ihm ein Geschenk macht. Dadurch entstehen sogenannte Wohlstandsverluste.

Geld schenken?
Es war diese Woche wieder im Radio zu hören. Das vernünftigste, was man jemandem zu Weihnachten schenken kann, ist Geld. Also gehen Sie besser erst gar nicht shoppen. Besonders originell ist das natürlich nicht. Wer verschenkt schon gern Geld, die wenigen Asiaten einmal ausgenommen, die Geldscheine in roten Umschlägen packen, um sie an Weihnachten jemandem zukommen zu lassen? Geld zu verschenken ist in der Tat ideenlos, aber es ist das vernünftigste, was man an Weihnachten tun kann. Denn man kann getrost davon ausgehen, dass für das Geld, das man verschenkt, auch das erworben wird, was jemand wirklich wünscht oder braucht. Und es wird dafür auch nicht zu viel bezahlt, da der Käufer auch der ist, der den individuellen Nutzen des „Geschenks“ am besten einschätzen kann. Mit meinem Ältesten mache ich das dieses Jahr so, dem schenke ich Geld. Ich wüste vielleicht schon, was er braucht, bin mir aber nicht sicher, ob er sich das selbst auch kaufen würde. Unterhosen zum Beispiel, aber die machen sich nicht gut unter dem Christbaum, wie ich finde. Schon ich habe mich in seinem Alter nicht besonders dafür erwärmen können. Dann schon lieber Geld.

Bedürfnisanalyse
Im engsten Verwandtenkreis mag hin und wieder ein Volltreffer gelingen. Das liegt wohl daran, dass Eheleute oder Eltern Bedürfnisse ihrer Liebsten nicht nur ernstnehmen, sondern sie vor allem auch (täglich) wahrnehmen. So was prägt sich dann ein. Man muss seinen Partner aber sehr gut kennen, dass man ihm jeden Wunsch von den Lippen ablesen kann. Da habe ich noch Bedarf. Meine Frau nimmt hingegen Dinge wahr, die mir oft gar nicht bewusst sind und speichert diese Informationen systematisch bis Weihnachten oder länger. Ich hingegen vergesse so was immer gleich wieder. Dank dem ist sie in der Lage, den Nutzen abzuschätzen, den mir verschiedene Gaben voraussichtlich stiften. Und ein vermeintlich „billiges Geschenk“ stiftet mir dann einen viel grösseren Nutzen als ein kostspieliges Experiment, das wahrscheinlich sowieso schief geht. Sie wollen Beispiele hören? Letzte Weihnachten schenkte sie mir unter anderem einen Schuhlöffel. Ein Produkt, das ich nie mehr benutzt und daher völlig vergessen hatte, bis ich mir diese unsäglichen Boots gekauft hatte, in die ich ohne Bandscheibenschaden oder ohne zu knien fast nie rein kam, was bekanntlich sehr mühsam ist. Dieser Schuhlöffel hat einen extrem hohen Nutzwert für mich und ich hätte vielleicht sogar mehr für ihn gezahlt als meine Frau, wenn ich überhaupt mal daran gedacht hätte, mir endlich einen zu kaufen. Nützlich waren auch die Handwärmer, die ich nun stets auf der Skipiste mit mir führe, seit ich mir mal so richtig die Fingerspitzen ab-gefroren hatte. Aber halt: nicht alles Praktische ist automatisch von hohem Wert. Die Socken von Oma wärmen zwar auch anständig, aber von denen habe ich mittlerweile mehr als genug. Meine Sättigungsgrenze ist also längst überschritten, der Nutzen neuer Wollsocken daher Null oder sogar negativ.

Frohes Fest
Ich wünsche Ihnen, meinen treuen Leserinnen und Lesern nun frohe Festtage und auch schon guten Rutsch ins neue Jahr. Sie lesen nämlich erst in der zweiten Januarwoche 2018 wieder von mir. Bis dahin werde ich den Nutzwert meiner Weihnachtsgeschenke akribisch austesten. Apropos Geldgeschenk für meinen Ältesten. Neben der Schwierigkeit, das richtige Geschenk zu finden, gibt es auch noch die, es schön zu verpacken, was auch nicht grad meine Stärke ist. Das hat sich mit dem Geldschenken nun erübrigt, denn ich habe damit eine Auflage verbunden, die mich sehr entlastet. Mein Sohn muss die Geschenke, die er sich von meinem Geld kauft, schön verpacken, damit sie unter dem Christbaum auch eine Falle machen. Schöne Bescherung und ganz „lean“.

Das war letztes Jahr so und ist dieses Jahr nicht anders. Vielleicht haben Sie es ja gemerkt. Der Text ist derselbe wie vor einem Jahr. Aber scheinbar haben ihn nicht sehr viele gelesen. Denn die Einkaufszentren sind aktuell voller denn je mit kaufwütigen Last Minute-Käufern.

Ich wünsche Ihnen schöne Weihnachten und einen guten Rutsch ins 2019. Sie lesen wieder von mir am 9. Januar. (Raiffeisen/mc/ps)

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