Von Martin Neff
An einem Freitagabend nach dem Volleyballtraining in der Beiz. Rolf hatte wohl ein Bierchen zu viel, jedenfalls stammelte er von einem Schnäppchen, das er gemacht hätte. Marktpreis 1’000.– CHF, aber «ich hab’s natürlich für die Hälfte gekriegt». Er hätte den Typen im Laden einfach runtergehandelt, die verlangten stets zu viel, behauptete er stolz. Und schon gingen die Diskussionen los, darüber, wer, was, wo und für wie viel erstanden hatte. Immer fand sich einer, der es noch günstiger haben konnte, egal von was man sprach.
Geiz ist in der Schweiz zu Beginn der Neunzigerjahre erst so langsam salonfähig geworden. Lange zuvor kaufte man einfach nicht, was man sich nicht leisten konnte und kam auch gar nicht erst auf die Idee, zu schauen, ob es das woanders nicht doch günstiger gibt. Zuzugeben, dass einem etwas zu teuer ist, wenn einem der Verkäufer den Preis nannte, ging gar nicht. Das war richtig peinlich und Geiz sowieso, denn in der wohlhabenden Schweiz hat schliesslich jeder genug Geld, um sich alles leisten zu können. Und wer es sich nicht leisten kann, zeigt es nicht und spricht nicht darüber.
Als die deutschen Discounter Aldi und Lidl ab Mitte der Nullerjahre in der Schweiz Fuss zu fassen begannen, wurden sie belächelt. Von der dominanten und verwöhnten Konkurrenz, die sich ihrer Kunden sicher war, genauso wie von Otto Normalverbraucher, der das Sortiment zu bescheiden und die Ladenaufmachung zu billig fand. Die Deutschen hätten kaum Chancen in der Schweiz. Es kam schliesslich anders. Nach anfänglichen Schwierigkeiten haben sich die Discounter ihren Platz im Markt gesichert. Geiz war in der Schweiz nun auch erlaubt. Aldi und Lidl waren aber nicht die Einzigen, es kamen andere Hartdiscounter im Nonfoodmarkt dazu und die Rabattschlachten im Detailhandel begannen erst recht: mit dem Resultat, dass es heute fast keine festen Preise mehr gibt, sondern gefühlt nur noch überall Aktionen. Heute wird fast nur noch über den Preis geworben, denn die Sensibilisierung der Bevölkerung in Bezug auf übersetzte Preise ist die letzten Jahre angestiegen. Stolz ist heute nicht mehr nur, wer ein teures Produkt kauft und somit zeigt, dass er sich’s leisten kann, sondern vor allem auch der, welcher von sich behaupten kann, das günstigste Schnäppchen an Land gezogen zu haben. 30 Jahre Globalisierung und Preiskampf im Detailhandel haben aus dem Shopping ein Happening gemacht und den Konsumenten komplett verändert. Es findet zwar eine gewisse Rückbesinnung statt, von «weniger ist mehr» fabulieren bereits einige, aber der Konsumrausch ist noch immer ungebrochen, «je günstiger, desto besser» lautet noch immer das Hauptmotto.
Das gilt dann allerdings nicht mehr, wenn es um die grossen Transaktionen geht. Seit einiger Zeit steigen die Zinsen und da wird es einigen schon fast schwindlig, weil zehnjährige Festhypotheken wieder über 2 % kosten, dabei ist das immer noch ziemlich günstig. Doch bei den Haus- und Wohnungseigentümern spielt schon die Sorge mit, es könnte sie bald einmal der Zinshammer treffen. Und wer heute noch in einer kurzfristigen Hypothek steckt, flucht jetzt vielleicht, weil er vor einem Jahr nicht zu historisch tiefen Zinsen in eine Festhypothek gewechselt hat. Ich kriege jedenfalls massenweise solcher Rückmeldungen und werde auch wiederholt gefragt, ob es jetzt an der Zeit sei, die Zinsen länger anzubinden, da das Risiko steigender Zinsen sich ja nun doch materialisieren könnte. Dazu muss man festhalten, dass auch eine Festhypothek, gerade über eine längere Laufzeit Risiken birgt, da niemand sagen kann, zu welchem Preis er nach Ende der Laufzeit neu abschliessen muss. Eine Festhypothek macht daher eigentlich nur Sinn, wenn ich für einen gewissen Zeitraum eine klare Kalkulationsgrundlage haben will. Gegen das Zinsrisiko bin ich zwar vorübergehend geschützt, dafür bezahle ich aber für die Festhypothek auch mehr als für eine Geldmarkthypothek. Und trotzdem haben sich gut drei Viertel der Schweizer Haushalte für eine Festhypothek (Laufzeit über zwei Jahre) entschieden. Im Wohnungsmarkt hat der Geiz demnach nur bei den Ausbaustandards eingesetzt, nicht aber bei den Finanzierungen. Da wettet das Volk lieber auf feste, anstatt auf flexible Termine. Eine Volkswette, die mächtig was kostet jedes Jahr.