Über das vergangene Wochenende fand die traditionelle Herbsttagung des Internationalen Währungsfonds (IMF) statt. Im Schweizer Radio hiess es dazu, in Washington tage über das Wochenende die Elite von Wirtschaft und Politik. Ähnlich klingt es ja auch, wenn die Leute ans World Economic Forum (WEF) in Davos pilgern. Verfolgen Sie, was dort jeweils über die Bühne geht? Von Berufes wegen muss ich das fast tun, aber ich mache das zugegebenermassen mehr oder weniger halbherzig. Denn letztlich dreht sich an den erwähnten Treffen die sogenannte Elite eh nur im Kreis. Wie an vielen solchen Kongressen üblich, ist das Programm oftmals nur Nebensache. Es bildet lediglich den Rahmen. Für die Teilnehmer geht es ums Dabeisein und Netzwerken.
Für die Institution IMF selbst geht es natürlich um etwas mehr, namentlich um eine gute Portion Schaulaufen in eigener Sache. Nicht zuletzt darum, dass auch in Zukunft die Mittel fliessen. Das macht der IMF nahezu perfekt. Zunächst bringt er sich selbst ins Spiel. Denn nur wo Not an der Wirtschaft ist, kann der IMF auch einspringen. Er beurteilt also zunächst die aktuelle Weltkonjunktur skeptisch: 2019 werde voraussichtlich nur ein Wachstum von drei Prozent rausschauen. So schwach sei das Weltwirtschaftswachstum seit der Finanzkrise nicht mehr ausgefallen. Wen das eigentlich kümmert, wenn das Jahr 2019 nur noch knapp zwei Monate dauert, spielt dabei keine Rolle. Ebenso wenig wie die Bemerkung im Wirtschaftsausblick des IMF von Mitte Oktober, dass sich das Tempo der Weltwirtschaft seit April nochmals verlangsamt habe. Das ist im Grunde Vergangenheitsbewältigung, aber Mittel zum Zweck, schliesslich trübt es die Perspektiven gleich mit ein. Zudem ortet der IMF natürlich Risiken für die Zukunft, namentlich Handelsstreit und die vielerorts hohe Staatsverschuldung. Und natürlich hat er auch Ratschläge bereit, wie man das Übel aus der Welt schafft.
Ein unsinniger Tipp und Rezepte aus der Mottenkiste
Die neue Geschäftsführerin des IMF, Kristalina Georgiewa aus Bulgarien informierte, dass seine Mitglieder unter anderem darüber gesprochen hätten, wie man Länder dazu bringen könne, die Regeln des Welthandels zu befolgen, ja sogar zu verbessern. Letzteres dürfte Utopie sein, in einer Zeit, in welcher der Welthandel unilateral unter Beschuss gekommen ist. Der IMF sollte schon froh sein, wenn der Welthandel nicht noch weiter torpediert wird. Das Rezept, grösseren Gruppendruck auf die Länder auszuüben, welche sich gegen die Regeln stemmen, dürfte zum Rohrkrepierer werden. Spätestens dann, wenn der Druck den USA gelten sollte. Denn US-Präsident Donald Trump dürfte sich kaum durch „Druck“ bewegen lassen, seinen unberechenbaren Kurs in Aussenhandelsfragen zu ändern. Ganz im Gegenteil sogar; Druck erzeugt bei ihm eher Gegendruck.
Aus der Mottenkiste ausgegraben hat der IMF die Fiskalpolitik – wie paradox ist das denn? Es wird geklagt, die hohe Staatsverschuldung sei ein latentes Risiko für die Weltkonjunktur und gleichzeitig gefordert, noch mehr Schulden zu machen. Ganz klar ist Deutschland im Visier. Neben den Niederlanden und Südkorea, die explizit genannt wurden. Deutschland ist notabene die einzige grosse Volkswirtschaft in der EU, welche die Maastricht-Kriterien bezüglich Staatsschulden (60% des Bruttoinlandproduktes) demnächst erreichen könnte. Wahrscheinlich ist man aber beim IMF – und längst nicht nur da – der Meinung, dass 60% Staatschulden gemessen an der gesamten jährlichen Wirtschaftsleistung ein Klacks sind. EZB-Chefökonom Philip Lane betonte
diesbezüglich, dass der Multiplikator – sprich der Wirkungsgrad – von Fiskalmassnahmen derzeit recht hoch sei. Schön und gut, nur herrscht in Deutschland Vollbeschäftigung, was also will man fiskalpolitisch in Deutschland überhaupt stimulieren?
Deutschland soll es offenbar den USA nachmachen, wo Donald Trump mit seinem Steuerpaket mitten in der Hochkonjunktur das Budgetdefizit massiv ausweitete. Prozyklischer kann man die Fiskalpolitik gemäss Lehrbuch gar nicht mehr einsetzen. Es mag ja sein, dass Deutschland weniger hoch verschuldet ist als andere Industrieländer, aber daraus den Schluss zu ziehen, man könne noch mehr Schulden machen, nur um die Wirtschaft kurzfristig zu stimulieren, ist völlig verfehlt. Wenigstens hat Bundesrat Maurer Tacheles geredet. Es gebe keinen Anlass für fiskalpolitischen Aktivismus. Recht hat er.
Schulden sind Kunden
Laien ist längst klar, dass die hochverschuldeten Industriestaaten ihre Schulden nie mehr zurückzahlen werden können und auch nicht werden. Um das Ausmass der (realen) Schulden wenigstens etwas zu reduzieren, ohne jemandem weh zu tun, muss Wachstum her oder Inflation. Am besten sogar gleich beides zusammen. Nachdem die Geldpolitik schon seit 10 Jahren erfolglos versucht, die Inflation anzuheizen, sind jetzt die Regierungen gefragt, wenigstens (mehr) Wachstum zu generieren. Nicht ein (einseitiges) Strohfeuer, sondern nachhaltiges Wachstum wäre gefragt, konkret Massnahmen, das Potenzialwachstum auf ein höheres Niveau zu hieven. Das ist indes ein Ding der Unmöglichkeit. Unmöglich auf Grund von Sättigung, Überalterung und nicht zuletzt auch Ökologie. Quantitatives Wachstum und unsinnige Inflationsziele sind die falschen Gradmesser in reifen Ökonomien, um wirtschaftspolitischen Erfolg zu messen. Doch es ist zu befürchten, dass das eine oder andere – nicht zwingend an der Tagung hervorgehobene – Land der Empfehlung des IMF folgen wird.
Damit schafft sich der IMF neues Kundenpotenzial. Von seiner immensen Kreditvergabekapazität, deren Höhe von 1‘000‘000‘000‘000 (eine Billion) Dollar in Washington bestätigt wurde, ist derzeit nur knapp ein Viertel ausgeschöpft, zu einem grossen Teil durch Argentinien. Dort hungert das Volk trotzdem und obwohl Argentinien einer der grössten Nahrungsmittelexporteure der Welt ist. Schulden sind – etwas boshaft ausgedrückt – das Geschäftsmodell der Institution IMF. Wenn die Schulden aus dem Ufer laufen, kann er sich als Krisendoktor profilieren und so in Szene setzen. Er hat ja noch freie Fazilitäten. Das erinnert an die Taktik Donald Trumps in Syrien. Die Truppen abziehen, so das nackte Chaos auslösen und die anschliessend mit der Türkei ausgehandelte Waffenruhe als grossen Deal zelebrieren, der „Millionen von Menschen“ das Leben rettet. Die Feuerwehr als Brandstifter sozusagen.
Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen