Die Sicht des Raiffeisen-Chefökonomen: Was statt wie
Der „Unmögliche“ wurde tatsächlich zum Präsidenten der USA gewählt: Donald Trump. Kaum jemand hatte mit seiner Wahl gerechnet, als er seinerzeit seine Kandidatur bekannt gab. Wenigstens lagen die Prognosen, was wohl geschehen würde, wenn er sein Amt erst mal angetreten hat, einigermassen richtig. Es wird Wirbel geben. Seit er das Zepter schwingt, sorgt er entweder für Kopfschütteln oder erhält frenetischen Applaus, je nach Lager. Nicht nur im Vorfeld seiner Wahl schied er die Gemüter. Er blieb dieser Linie auch bis zur Halbzeit seiner ersten Legislaturperiode treu und hat einen tiefen Spalt in die amerikanische Gesellschaft getrieben.
Man mag ihn dort oder hasst ihn, gleichgültig ist er jedenfalls nur den wenigsten. Und dies nicht nur dort. Die grosse Frage, die sich die Welt inzwischen stellt, lautet: ist er nun gut oder böse? Das kann natürlich niemand beantworten. Je nachdem, wen man fragt, wird man auch hierzu unterschiedliche Antworten erhalten. Fakt ist aber auch: man hat sich mittlerweile an ihn gewöhnt. Nicht dass das ausschliesslich gut wäre, aber das heisst natürlich auch, dass man nicht mehr jedes einzelne Wort von ihm auf die moralische Goldwaage legt und etwas mehr auf das Wesentliche achtet – sprich sein Tun – und da hat er offenbar einiges vorzuweisen.
Doch beginnen wir von vorn. Nach seiner Wahl zum Präsidenten mussten die Finanzmärkte kurz nach Luft japsen, seitdem applaudieren sie ihm aber. Aus Eigennutz muss man festhalten, denn der neue Machthaber hatte einiges versprochen, was die Märkte auch vehement einforderten. Hauptsache er sorgt für gute Stimmung an der Börse, lautete die Devise. Und das gelang ihm bis anhin ganz gut. Am 8. November 2016, dem Tag der Wahl, lag der amerikanische Börsenleitindex Dow Jones bei 18‘333 Punkten. Letzten Montag notierte er bei 25‘380 Punkten, will heissen ein Plus von fast 43%. Das ist zwar nicht mehr ganz so hoch wie zu Herbstbeginn, dem bisherigen Allzeithöchst vom 3.10.18 mit 26‘828 Punkten, aber immer noch beachtlich. Und genauso bemerkenswert: kein einziger Börsenplatz der Welt hat in dieser Periode besser performt. Auch nicht die Länder, in welchen ebenfalls Neuwahlen stattgefunden haben.
An den Finanzmärkten, so viel steht für einmal fest, kommt Trump ausserordentlich gut an. Das gerade für uns Europäer so wichtige „wie“ ist den Märkten egal, solange das „was“ stimmt. Dafür nehmen sie auch in Kauf, dass Trump die Nation spaltet.
Liefern statt labern
Man kann darüber denken, was man mag, aber im Vergleich zu seinem Vorgänger liefert Trump eindeutig mehr. Obama hat viele seiner Wähler enttäuscht. Guantanamo ist immer noch in Betrieb, seine rote Linie nach dem Giftgasangriff in Syrien entpuppte sich als leere Drohung und die Rettung der Wall Street katapultierte die Schuldenquote der USA auf das Niveau einer Bananenrepublik. Sein grosser Verdienst war wohl die Gesundheitsreform, an der er aber zwei ganze Legislaturperioden herumgefeilt hatte. Trump hätte sie nach nur einem knappen halben Jahr im Amt fast schon beerdigt. Rücksichtslosigkeit ist zwar keine tolle Charaktereigenschaft, aber sie verhilft in umstrittenen politischen Geschäften zu rascher Zielerreichung und dieser Devise folgt dieser unmögliche Präsident.
Nachdem die halbe westliche Welt zunächst nur den Kopf über Trump schüttelte und ihn am liebsten als vorübergehende Erscheinung abgetan hätte, muss sie sich heute ernsthaft mit ihm beschäftigen. Denn der macht sein Ding und kann ganz gut damit leben, dass er kein Sympathieweltmeister ist. Politische oder soziale Korrektheit sucht man beim amtierenden US-Präsidenten vergebens. Er tritt regelmässig in Fettnäpfchen, sodass man schon fast den Eindruck gewinnt, er tue dies absichtlich, manchmal sogar vergnüglich.
It’s the economy
Natürlich hatte Obama Pech, sein Amt ausgerechnet im Jahr nach der Subprimekrise antreten zu müssen. Das ist Pech, doch er dürfte dennoch in die Geschichtsbücher als derjenige Präsident eingehen, dem die Schulden in den USA aus dem Ruder liefen. Auch wenn er eigentlich gar nichts dafür konnte. Der ungesunde Immobilienboom bauschte sich während der vor ihm liegenden republikanischen Amtsperiode auf, ohne dass die damalige Bush-Regierung etwas davon merkte, geschweige denn etwas dagegen tat. Als Trump sein Amt übernahm, prosperierte die Wirtschaft bereits wieder. Diese Verdienste kann er zwar nicht für sich beanspruchen, aber er tut dies natürlich lauthals.
Dazu legte er mit einer Steuerreform nach, die der US-Wirtschaft inzwischen einen regelrechten Boom verschafft. Das ist prozyklische Fiskalpolitik und ein Paradebeispiel für Studenten der Wirtschaftspolitik, wie man es eigentlich nicht machen sollte. Auch dass er sich in die Geldpolitik einmischt, widerspricht sämtlichen Lehrbüchern. Solange dies aber vorzeigbare Erfolge sicherstellt, nimmt er gerne in Kauf, dass er sämtliche Regeln über Bord wirft. Dass ihm die US-Zwischenwahlen keinen grösseren Strich durch die Rechnung machten, hat er dem wirtschaftlichen Aufschwung der US-Wirtschaft zu verdanken. Den Ausbau der Senatsmehrheit gewichteten die Märkte denn auch höher als den – nicht weiter ungewöhnlichen – Verlust der Mehrheit in der grossen Kammer. Denn der Senat ist die zuständige Kammer, welche personelle Besetzungen in der Exekutive durchwinkt.
Deshalb gab’s auch nach den Zwischenwahlen Applaus der Märkte. Die interessieren sich nur für die Wirtschaft und nicht für den Friedensnobelpreis geschweige denn einen Schönheitspreis. Vielleicht sollten sich die europäischen Zauderer der Exekutive auch mal mit dem Gedanken anfreunden, es nicht jedem recht machen zu können. Nicht die Beliebtheitsskala ist das Mass der Dinge in der Politik, sondern die wirtschaftliche Prosperität. Letztere ist nämlich ausschlaggebend dafür, ob man Wahlversprechen auch einhalten und Umverteilungen vornehmen kann.
Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen