Das Geschehen am Immobilienmarkt lässt niemanden kalt. Schliesslich sind alle von den Entwicklungen an diesem Markt betroffen, sei es als Mieter oder als Eigentümerin. Immobilien machen den mit Abstand bedeutendsten Teil des Vermögens der Schweizer Haushalte aus und die Wohnkosten sind der grösste Ausgabenposten in einem durchschnittlichen Haushaltsbudget. Kein Wunder sind alle immer ganz Ohr, wenn das Thema zur Sprache kommt.
Martin Neff – Chefökonom Raiffeisen Genossenschaft
Sämtliche neuen Informationen über die jüngsten Entwicklungen am Immobilienmarkt werden vom Publikum gierig aufgesogen. Die Medien stürzen sich stets auf beinahe jede von fast Jedem publizierte Neuigkeit und generieren damit zuverlässig die begehrten Klicks – die wichtigste Währung im digitalen Zeitalter. Qualität der Information? Wird weder kritisch hinterfragt noch überprüft. Gehalt der Information? Egal, Hauptsache die Story ist kurz gefasst, reisserisch und einfach verständlich.
Das wohl anschaulichste Beispiel, das den Kampf um Aufmerksamkeit in der Immobilienmarktanalyse illustriert, ist die Messung der Immobilienpreisentwicklung. Hier buhlen Beratungsfirmen, Banken, Startups, Immobilienportale, Hypothekarvermittler und Hochschulen jedes Mal aufs Neue erfolgreich – wenn auch kurzlebig – um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Als Königsdisziplin in der Branche gilt die Messung der Transaktionspreisentwicklung für selbstgenutztes Wohneigentum. Denn Transaktionspreise messen im Unterschied zu Angebotspreisen die tatsächlich bezahlten Preise von Immobilien und sind damit ein wertvolles Aggregat von Informationen über Angebot und Nachfrage.
Seit Jahren informiert eine Fülle von Indizes im Quartalsrhythmus über die Transaktionspreisentwicklung von Einfamilienhäusern und Stockwerkeigentum. Die etabliertesten und bekanntesten dieser Preisreihen stammen von den grossen Immobilienberatungsfirmen Wüest Partner, IAZI und Fahrländer. Aber auch Raiffeisen publiziert seit 2016 einen eigenen, vielbeachteten Transaktionspreisindex. Die ZKB regionalisiert solche Indizes auf den Zürcher Markt und neuerdings spielt auch das Bundesamt für Statistik (BFS) in diesem Konzert mit.
Die Publikation jeder neuen Preisänderungsrate aller Indexherausgebenden ist vielen Medien jedes Quartal jeweils ein eigener Beitrag wert. Das Problem dabei? Die von diesen renommierten Absendern und Absenderinnen publizierten Zahlen unterscheiden sich jeweils doch beträchtlich – obwohl sie mehr oder weniger dasselbe messen. So kommt es manchmal vor, dass ein Medium innerhalb weniger Tage drei unterschiedliche Preiswachstumsraten für ein Quartal vermeldet. Weder den Redaktionen noch den Leserinnen und Lesern scheinen diese Widersprüche jeweils aufzufallen. Die Kurzmeldung von gestern ist heute längst vergessen angesichts der Flut an Informationen, die auf uns alle niederprasselt. Selbst verschiedene Vorzeichen fallen dieser Hektik zum Opfer und bleiben unhinterfragt.
So viele Indizes es gibt, so zahlreich sind auch die möglichen Erklärungen für diese Unterschiede in der von ihnen gemessenen Preisdynamik. Alle Indexanbietenden haben ihren eigenen, wie einen Schatz gehüteten Datenpool an Freihandtransaktionen. Niemand hat, mangels zentraler Datenbank, Zugriff auf sämtliche Eigenheimkäufe. Alle Anbietenden messen so immer jeweils nur die Preisentwicklung einer Teilmenge aller Transaktionen.
Zudem werden jedes Quartal andere Immobilien gehandelt. Und da mit einem Preisindex nicht die Unterschiede in den Qualitäten der Eigenheime (z. B. unterschiedliche Standorte, Grössen und Ausbaustandards) gemessen werden sollen, sondern der zugrunde liegende Preistrend erfasst werden möchte, muss jeweils mit komplexen statistischen Modellen und einer Vielzahl an Variablen eine Qualitätsbereinigung vorgenommen werden. Alle Anbietenden haben ein eigenes Modell im Einsatz, von dem natürlich jeder und jede überzeugt ist, dass es besser als dasjenige der Konkurrenz ist.
Auch bei der Art und Weise wie aus Daten und deren Qualitätsbereinigung schlussendlich ein Index konstruiert wird, gibt es keine einheitliche Praxis. Paasche, Laspeyres oder Törnqvist, welcher Index ist nun am besten? Jeder und jede favorisiert eine andere Methode zur Indexkonstruktion. Und so messen die Indizes eben doch nicht alle genau dasselbe, sondern höchstens ungefähr das Gleiche.
Hinzu kommt stets eine gewisse statistische Unsicherheit, die sich aus der beschränkten Grösse der Stichprobe, der pro Quartal jeweils zur Verfügung stehenden Handänderungen von Eigenheimen ergibt. Publiziert werden trotz dieser Unsicherheit von allen Anbietenden immer nur Punktschätzungen. Und diese gerne gleich mit Nachkommastellen. Damit werden dem Publikum eine Präzision und eine Gewissheit suggeriert, die es in der Immobilienpreismessung so nicht gibt. Die Konfidenzintervalle der Schätzung der Indexwerte, ein Mass für die statistischen Unsicherheiten, sind häufig so breit, dass sogar eine Änderung des Vorzeichens der Preisänderung innerhalb der üblichen statistischen Unsicherheit liegt.
Auf solche Relativierungen wird bei der Kommunikation der Preisdynamik aber natürlich verzichtet. Sie widersprechen dem heutigen Publikumsbedürfnis, das kurze, prägnante und eindeutige Botschaften fordert. Ich denke, es ist aber auch angesichts unserer eigenen Indexkonstruktion wichtig, solche Relativierungen vorzunehmen. Man muss auch die Grenzen des Konstruktes sehen und nicht nur den nackten Wert.
Eine andere Erklärung für die Unterschiede der Preisindizes hatte wohl der Bund, der sich mangels eigener Daten und Modelle lange auf diese privat erhobenen Indizes verlassen hatte. Ihm drängte sich angesichts der häufig doch sehr unterschiedlichen Preisreihen wohl die Vermutung auf, dass die Privaten mit der Preismessung überfordert sind oder es einfach nicht können. Eine Art Marktversagen sozusagen. Der Staat musste also ran, um dieses zu korrigieren. Nach mehrjähriger, intensiver und teurer Entwicklungsarbeit sowie dem aufwendigen Aufbau eines Datenpools, in den die 25 grössten Banken ihre Transaktionsdaten aus ihren Immobilienfinanzierungen einspeisen müssen, hat das BFS im Jahr 2020 erstmals seinen Preisindex für selbstgenutztes Wohneigentum publiziert. Dieser amtliche Index gesellt sich seither zur erwähnten bestehenden Schar der privaten Preisreihen.
Viel zur Klärung der Frage, wie sich die Preise tatsächlich entwickeln, hat auch dieser behördliche Index nicht beigetragen. Nun gibt es einfach einen Datenpunkt mehr, über den die Medien berichten können. Wie sich die Preise für Wohneigentum nun aber wirklich entwickelt haben, das ist auch nach dem staatlichen Eingriff mindestens so unklar wie zuvor.
Ein paar Beispiele gefällig? Während das BFS im ersten Quartal 2020 mit –1,2 % deutlich sinkende Stockwerkeigentumspreise vermeldet hat, haben alle anderen erwähnten Indexanbietenden steigende Preise ausgewiesen. Wüest Partner gar einen Anstieg von 2,2 %. Satte 3 Prozentpunkte Differenz in nur einem einzigen Quartal. Auf eine durchschnittliche Eigentumswohnung gerechnet, sind das beim herrschenden Preisniveau fast CHF 30’000, definitiv keine Peanuts also. Natürlich sollte man solche Quartalsschwankungen angesichts der erwähnten statistischen Unsicherheit nicht überinterpretieren. Teilweise mitteln sich die Werte im Zeitverlauf aus und die Indizes nähern sich über einen längeren Horizont einander an. Aber auch wenn man etwas längere Zeiträume betrachtet, bleiben einige Fragezeichen zurück.
So hat sich der Index für Stockwerkeigentum von Fahrländer seit Anfang 2019 um fast 23 % erhöht. Der entsprechende Index von IAZI zeigt dagegen nur eine Preisänderung von 14 % an. Wer hat nun recht? Das weiss natürlich niemand und man wird es auch nie wissen. Und so werden alle Indexanbietenden auch weiterhin ihre Indizes publizieren, den eigenen Index für den besten halten und damit weiter zuverlässig Medienaufmerksamkeit generieren.
Wertlos ist der Indikator Transaktionspreisindex all der Unterschiede und Unsicherheiten zum Trotz aber ganz und gar nicht. Denn zumindest über die grobe Richtung der Preisdynamik sind sich in den letzten Jahren immerhin alle Indizes einig. Dass die Wohneigentumspreise in den letzten Jahren stark gestiegen sind, ist eine wertvolle Marktinformation, die angesichts der herrschenden Einigkeit als gegeben angesehen werden kann. Quartalsmeldungen der Immobilienpreisentwicklungen einzelner Indexanbietenden dürfen bei der Marktanalyse aber auf keinen Fall überinterpretiert werden. Auffälligkeiten bei diesen Quartalswerten sind höchstens ein Hinweis darauf, dass es sich lohnt, den Markt noch genauer zu beobachten.
Wie bei allen ökonomischen Indikatoren gilt auch bei den Immobilienpreisen, dass diese nur in Kombination mit zahlreichen anderen Daten eine Einschätzung der Marktsituation erlauben. Einzig in einer Gesamtschau kann abgeschätzt werden, ob es sich bei der gemessenen Preisentwicklung um einen wahren Trend oder um eine zufällige Schwankung innerhalb der statistischen Unsicherheit handelt. Also aufpassen, wenn’s denn wieder heisst: Jetzt kommen die Preise runter …
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und Ihren Lieben frohe Festtage und einen guten Rutsch ins Neue Jahr, von dem ich mir persönlich etwas mehr Langeweile erhoffe. Die letzten Jahre waren schlichtweg zu viel! (Raiffeisen/mc)