Die Sicht des Raiffeisen-Chefökonomen: Wendehals und selbsternannter Altruist

Die Sicht des Raiffeisen-Chefökonomen: Wendehals und selbsternannter Altruist
von Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)

St. Gallen – Zugegeben, Deutschland war schon letzte Woche Thema meiner Kolumne, aber es lohnt sich den Faden weiter zu spinnen, nachdem seit den Bundestagswahlen keine Woche vergeht, in der sich in unserem nördlichen Nachbarland Seltsames ereignet.

Nachdem Angela Merkels vermeintlich bequemste Rechnung nicht aufging und Jamaika definitiv vom Tisch ist, fürchtet sie offenbar nichts mehr als Neuwahlen. Wahrscheinlich auch mit Recht. Es gibt zwar viele Politbeobachter, die argumentieren, sie würde von Neuwahlen profitieren, das glaube ich aber nicht. Denn die Tatsachen sprechen gegen Merkel. Zunächst mal hat sie es nicht geschafft, eine Regierungskoalition aus schwarz gelb grün zu schmieden und das obwohl sie sogar so weit ging, ihren Juniorpartner CSU vor den Kopf zu stossen, die Grünen dafür aber umso mehr zu hofieren. Das dürften die Wähler auch registriert haben. Auch werden sie sich daran erinnern, mit welch gespielter Selbstzufriedenheit Merkel nach ihrer historischen Wahlniederlage in der darauf folgenden Berliner Runde ihr Versagen mehr oder weniger als Achtungserfolg verkaufte, vor allem „weil gegen uns niemand eine Regierung bilden kann“.

Nur darum geht es Angela Merkel, was in der Bundesrepublik mittlerweile alle wissen, nämlich an der Macht zu bleiben. Dafür wird sie ohne Probleme wieder mal zum Wendehals. Wenn nicht Jamaika, dann halt eine andere Konstellation. Was gestern noch naheliegend schien, gar opportun war, wird rasant über Bord geworfen. Und schon werden neue Varianten geprüft. Fest steht eigentlich nur, wer den schlingernden Kahn steuert, zumindest wenn es nicht zu Neuwahlen kommt. Die Bootscrew spielt für Merkel offenbar eine untergeordnete Rolle.

Wenn sie sich da mal nicht täuscht. Je länger dieses Spiel nämlich dauert, umso mehr wird Merkel angezählt werden. Schliesslich erfüllt sie den von ihr selbst so ausgelegten Auftrag der Wähler nicht, eine tragfähige Regierung zu bilden. Da sie auch vor einer Minderheitsregierung zurückschreckt, aus Furcht, dann handlungsunfähig zu sein, „liebäugelt“ sie nun zwangsweise mit einer Neuauflage der grossen Koalition. Ausgerechnet mit der alles andere als geliebten SPD, deren Spitzenkandidat Schulz sich glasklar äusserte, in die Opposition zu gehen, um „die schlechte Politik Merkels“ – so sein Wortlaut – zu bekämpfen.

Glyphosat: Gift für die grosse Koalition
Ausgerechnet jetzt, da der Kanzlerin, um an der Macht zu bleiben, nichts anderes mehr übrig bleibt, als wieder mit der SPD anzubändeln, bekommt die Republik einen brühwarmen Eindruck, wie die noch amtierende grosse Koalition funktioniert. Im Namen Deutschlands stimmte Bundesagrarminister Christian Schmidt von der CSU mit Ja für eine weitere Zulassung des umstrittenen Unkrautgiftes Glyphosat. Dies, obwohl die SPD zuvor ein klares Nein dazu ausgesprochen hatte. Von daher wäre wohl eine Enthaltung angesagt gewesen. Schmidt handelte offenbar im Alleingang und es ist nicht abwegig, das auch als Retourkutsche für die stiefmütterliche Behandlung der CSU durch ihre grosse Schwesterpartei in den Sondierungsgesprächen der letzten Wochen zu interpretieren.

Merkels Autorität scheint jedenfalls ins Wanken zu kommen. Heikel ist auch, dass Glyphosat als umweltschädigend gilt, die Umweltministerin Barbara Hendricks von der SPD im Vorfeld der Abstimmung von Schmidt aber auch nicht konsultiert wurde. Das wirft ein Schlaglicht auf das Verständnis der CDU, wie eine grosse Koalition zu führen ist. Im Notfall über „Leichen“ und mit grosszügiger Interpretation der Zuständigkeiten.

Die europäischen Freunde
Zum Glück gibt es da noch Martin Schulz. Ganz im Dienste des Staates, springt er nun in die Bresche und twittert, sich dem dramatischen Appell des Bundespräsidenten nicht verweigern zu wollen und das Gespräch mit der CDU doch noch zu suchen. Er, der nicht mehr mitregieren wollte, der unbedingt in die Opposition wollte und von Merkel die Nase so voll hatte, dass er dies nach den Wahlen nicht nur emotional wiederholt durchdringen liess, spielt nun den grossen Altruisten. Denn nicht nur dem Bundespräsidenten möchte er Kummer ersparen, es sind vor allem seine besorgten europäischen Freunde, die ihm am Herzen liegen und ihm ans Herz legen, nun doch über seinen Schatten zu springen, um Deutschland und Europa vor Schlimmen zu bewahren.

Als treuer und verantwortungsvoller Staatsbürger bleibt ihm demnach fast keine andere Wahl, als seine Strategie radikal umzukrempeln. Das bisschen Oberwasser trügt aber. Schulz ist lediglich das kleinere Übel und nicht der herbeigesehnte Rettungsanker. Die Europäer wollen Schulz auch nur in der Regierung wissen, damit die FDP das Finanzministerium am Ende nicht doch noch besetzt. Denn dann wären die Hilfsgelder aus Deutschland gefährdet, hat die FDP doch unlängst gefordert, den ESM abzuschaffen. Am Tropf dieses europäischen Rettungsfonds hängt bekanntlich halb Europa. Heisst es am Ende doch noch Schulz und Merkel, so dass wahre Feinde das Land regieren? Bloss das nicht. Deutschland muss neu wählen, das ist alternativlos Frau Merkel.

Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen

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