Von Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen (Foto: Raiffeisen)
St. Gallen – Ich wurde heute Zeuge zweier Meldungen, die auf derselben Quelle (Bundesamt für Statistik) beruhten, unterschiedlicher aber nicht hätten vermittelt werden können. Unter dem Titel «Alter des Vaters bei der Geburt des Kindes» veröffentlichte das eidgenössische Amt eine nicht sonderlich viel sagende Statistik. Von insgesamt 82’731 Lebendgeburten im Jahre 2013 entfielen 107 (Vorjahr 144) auf Väter, die unter 20 Jahre alt waren und 1’615 (Vorjahr 1’613) auf Väter, die älter als 50 Jahre waren.
Was sagen diese Zahlen? Nichts ausser, dass wir von 0,1% bzw. 2% der Gesamtheit reden. In zwei Lokalsendern wurden jeweils diese Extremwerte kommentiert, obwohl die Mitte die Masse ausmacht. Die Jungen seien offensichtlich «aufgeklärter», so dass sich ungewollte Schwangerschaften deutlich im Rückzug befänden, hiess es einerseits. Es sei immer mehr im Trend, dass sich ältere Männer junge (!) Frauen zuwendeten und nochmals Vater würden andererseits. Nicht einmal spannend verpackt, zeigt dies exemplarisch, wie wir in der Schweiz mit demographischen Phänomenen umgehen.
Das Migrationsgespenst
Die Debatte über demographische Trends war in der Schweiz der jüngeren Geschichte stets geprägt durch eine sehr einseitige Konzentration auf das Thema Migration. Aktuell ist dies nicht anders. Das Thema hat sogar einiges an Brisanz gewonnen seit der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative. Ansonsten setzen wir uns vielleicht noch bei der Diskussion zur Alterung der Gesellschaft mit grundsätzlichen demographischen Fragen auseinander, aber sind wir ohnehin nicht selbst schon alle zu alt dafür? Drohen uns nicht bald schon japanische Zustände? Wohl nicht bis auf weiteres, denn das Migrationsgespenst verscheucht hierzulande immerhin das Deflationsgespenst, da der Konsum auch migrationsbedingt wächst. Abgesehen davon, dass es Japan so schlecht nicht geht. Real und pro Kopf betrachtet lässt sich das Verdikt zweier verlorener Jahrzehnte in Japan kaum aufrechthalten. Aber auch unsere Gesellschaft altert schnell, vielleicht sogar zu schnell. Zeit, sich der Zukunft und damit der Jugend zuzuwenden.
Wunsch und Wirklichkeit
Hätten wir eine höhere Fertilität, könnten wir die sinkende Mortalität auffangen – auch die volkswirtschaftlichen Kosten, denn das Gesundheitswesen droht uns finanziell aus dem Ruder zu laufen. Wir brauchen folglich wieder mehr Kinder. Das klingt einfach, doch ist es offensichtlich nicht. Denn zwischen Wunsch und Wirklichkeit klaffen Welten, wie uns eine andere Erhebung des Bundesamtes für Statistik vor Augen führt. Dafür wird stets der Konflikt zwischen Arbeit bzw. Karriere und Kindserziehung als wesentlicher Treiber identifiziert, was sich auch darin zeigt, dass eher höher gebildete Frauen kinderlos bleiben. Zwei Drittel der Frauen rechnen im Fall einer ersten oder weiteren Mutterschaft mit einer Verschlechterung ihrer Berufsaussichten. Je höher die Ausbildung, desto höher sind die diesbezüglichen Befürchtungen. Was aber viel erstaunlicher ist: Auf die Frage, wie sich die Geburt eines (weiteren) Kindes auf Freude und Zufriedenheit im Leben auswirken, waren «nur» etwas mehr als die Hälfte der Männer und knapp weniger als die Hälfte der Frauen der Meinung «positiv».
Wiederum eindeutig fiel das Urteil über die Auswirkungen auf die finanzielle Situation des Haushaltes, die 75% der Männer und 73% der Frauen als negativ einstufen, aus. Leider führen auch solch interessante Ergebnisse in der Schweiz lediglich zu kleinlichen Krippendiskussionen oder grossangelegten Umverteilungsübungen, was einer Verjüngung unserer Gesellschaft kaum zum Durchbruch verhilft. Dafür wären familiäre Perspektiven gefragt, die offensichtlich gegenüber finanziellen zu wenig gewichtet werden. Wenn der (Kinder)Wunsch sich an der Gegenwart zerreibt, weil die nicht das bringt, was sich Frau/Mann seinerzeit erhoffte, dann sind die Perspektiven offensichtlich nicht intakt. Der Wunsch nach Kindern sollte in einem Land wie der Schweiz nicht an wirtschaftlichen Überlegungen scheitern. Aber das scheint mehr Vorwand als Grund. Dass nur 50% der (bestehenden und zukünftigen) Eltern Kindern einen positiven Einfluss auf ihre Lebensqualität bescheinigen, wäre doch mal eine Meldung wert. Aber was hat das überhaupt mit Demographie zu tun? (Raiffeisen/mc/ps)