Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Wie weiter Schweiz?
Von Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen (Foto: Raiffeisen)
St. Gallen – Gut zehn Tage ist es her, dass die SNB aus heiterem Himmel den Frankendeckel beerdigte. Seitdem schwankt der Euro um die Parität und die Schweiz zwischen Befürwortung und Skepsis. Es steht spätestens nach dem hemmungslosen Fluten des Marktes durch die EZB ausser Frage, dass es der SNB nur noch mit riesigem Aufwand möglich gewesen wäre, den Franken im Zaum zu halten. Sie hat sich gegen dieses Abenteuer entschieden und dafür weitgehend Applaus geerntet. Kritik musste sie höchstens wegen des Timings und der Art der Kommunikation einstecken. Ansonsten herrschte überraschender Konsens, dass der Ausstieg ein zwar schmerzhafter aber unvermeidbarer Schritt war. Es steht aber auch ausser Frage, dass er der Exportwirtschaft eine ungeheure Last aufbürdet. Eine Verschlechterung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit über Nacht um fast 20% dürfte für die eine oder andere Firma wohl das Aus bedeuten und dem Industriestandort einen gehörigen Dämpfer verpassen. Und die Tourismusbranche dürfte nicht mehr länger darum herumkommen, ihre verkrusteten Strukturen zu bereinigen.
Je länger der Franken gegenüber dem Euro um die Parität notiert, desto stärker fallen die Substanzverluste der Unternehmen aus. Die werden parallel dazu versuchen, jede Möglichkeit auszuschöpfen, um die Produktivität zu erhöhen. Damit lässt sich aber nur ein Teil der wegbrechenden Umsätze auffangen und Produktivitätssteigerungen im zweistelligen Bereich, welche jetzt nötig wären, damit die Profitabilität nicht fast zeitgleich mit dem Wechselkurs wegbricht, sind schlichtweg unrealistisch. Hält man sich nun noch die Konstellation an den Märkten vor Augen, eine Geldpolitik in Europa, die wohl über 2015 hinaus expansiv bleiben wird bei gleichzeitig eher schwachen Wachstumsperspektiven, dann muss man unweigerlich zum Schluss kommen, dass die Schweiz eine schwere Wegstrecke vor sich hat.
Es eilt
Es ist schon lange jedem klar, dass die Schweiz als Hochlohnland langfristig im Preiswettbewerb nicht bestehen kann. Immer wieder, zuletzt in den Neunziger Jahren, erfand sich die Schweizer Industrie deshalb teilweise neu. Sie vollzog damals einen Wandel von der traditionellen Industrie in Richtung Spitzenindustrie und konnte davon mehr als ein Jahrzehnt profitieren. Anfang des Jahrtausends war sie zurück und schrieb hohe Exportüberschüsse, wobei natürlich auch half, dass der Euro seinerzeit zur Stärke tendierte. Die Finanzkrise führte schliesslich zu einer Zäsur, deren Spätfolgen sich nun auch hierzulande entladen. Das noch junge Jahr 2015 wird damit zu einem Jahr entscheidender Weichenstellungen. Der Industriestandort muss ein epochales Fitnessprogramm durchstehen, um den Währungsschock zu verdauen und in der Tourismusbranche wird ein teilweise schmerzhafter Strukturwandel nicht mehr aufzuschieben sein. Ein Kurs um einen Franken zehn pro Euro wäre da schon etwas Balsam auf die Wunden. Doch darauf kann man nicht setzen. Neben dem Dauermandat, die Kosten nicht ausufern zu lassen, müssen sich viele Betriebe nun noch rasch ein epochales Innovationsprogramm verschreiben. Das kann nur funktionieren, wenn den Unternehmen nicht schon das Wasser bis zum Hals steht. Es besteht daher erhöhter Handlungsbedarf, doch wo konkret?
Innovationsförderung und Bildungsoffensive statt Konjunkturprogramm
Konjunkturprogramme bringen dem Export nur wenig. Solange im Ausland und vor allem in Europa die Nachfrage nicht anspringt, kommen sie Subventionen gleich. Das wäre zum Beispiel der Fall, wenn der Bund einen Teil der währungsbedingten Umsatzeinbrüche kompensieren würde. Kurzarbeit ist vielleicht ein Mittel, vorübergehende Nachfrageschwankungen auszubalancieren, aber auch nicht geeignet, einen Währungsschock zu kompensieren, der die Wettbewerbsfähigkeit in Frage stellt. Ohne Beschäftigungsabbau wird die Übung nicht zu bewältigen sein. Wie stark dieser ausfällt, hängt davon ab, auf welchem Niveau sich der Franken gegenüber dem Euro einpendeln wird. Prioritäre Aufgabe wird daher nicht sein, jeden Arbeitsplatz um jeden Preis zu halten, sondern im jetzigen Umfeld die Rahmenbedingungen so auszulegen, dass eine Innovationsoffensive gezündet werden kann, um neue und zukunftsträchtige Stellen zu schaffen.
In kaum einer hochentwickelten Volkswirtschaft der Welt ist die Arbeitslosigkeit tiefer als in der Schweiz. Das ist ein grosser Vorteil für unser Land, da weniger personelle Ressourcen brachliegen wie im Ausland. Es gilt daher zu verhindern, dass in einer initialen Reaktion zu viele Arbeitsstellen verloren gehen und wir so Gefahr laufen, wie andere Nationen schon früher, Wertschöpfung irreversibel zu verlieren. Daher braucht die Schweiz nun eine Bildungsoffensive, die das brachliegende, vor allem aber das innerbetriebliche Innovationspotenzial neu kalibriert. Letzteres gilt es vor allem zu optimieren. Humankapital und Innovation fördern, anstatt Stellen abzubauen, lautet die Devise. Gesundschrumpfen ist keine Alternative für die Schweiz. Statt Verteilungsdebatten wird es Zeit für einen nationalen Innovationsgipfel, bevor der Abbau der Beschäftigung Richtung Gipfel aufbricht. (Raiffeisen/mc/ps)