Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Ziemlich kryptisch das Ganze

Martin Neff

von Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)

St. Gallen – Vor kurzem schickte mir ein guter Freund eine SMS mit dem besserwisserischen Rat, ich hätte mit dem Verkauf meiner bescheidenen Menge Bitcoins, die ich im Sommer eigentlich bloss zu Testzwecken erworben hatte, noch zuwarten sollen. Wie Recht er doch hatte. Wenn man sein Kapital in wenigen Monaten mehr als verdoppelt, dann ist das ein äusserst seltener Event im Leben eines Anlegers oder Spekulanten.

Das gute Gefühl darob wich aber bald blankem Entsetzen, denn ich verkaufte meine Bitcoins, exakt kurz bevor die Kryptowährung erst richtig abhob. Hätte ich doch nur den Mumm gehabt, mehr zu investieren und das ganze länger gehalten. Aber so ist da nun mal mit der Anlegerpsychologie. Anstatt mich über einen bombastischen prozentualen Gewinn – sprich Performance – zu freuen, heule ich dem nichtrealisierten Mehr hinterher.

Aber Hand aufs Herz. Mein Investment war tatsächlich äusserst kryptisch und natürlich mit etwas Gier versehen. Denn eigentlich habe ich von Kryptowährungen nicht mehr verstanden, als dass der Preischart äussert reizvoll aussah und natürlich, dass fast jeder davon sprach. Da will man dann halt doch dabei sein. So geht es inzwischen immer mehr Menschen. Der Hype ist inzwischen definitiv gross. Es gibt keine Kundenveranstaltungen im Finanzsektor, an der Kryptowährungen nicht ein Thema wären. Und es vergeht kein Tag, an dem man selbst im engsten Kreis von Verwandten und Bekannten nicht auf Bitcoin und Co. angesprochen wird.

Ich habe in der jüngeren Vergangenheit gelegentlich versucht, Kryptowährungen auf den Grund zu gehen, um zu verstehen, was dahinter steckt, mit bescheidenem Fortschritt. Selbst vermeintliche oder selbsternannte Spezialisten, die ich befragte, wussten nicht richtig Bescheid oder konnten zumindest dem Laien nicht erklären, was es mit diesen Kryptowährungen eigentlich auf sich hat, geschweige denn, wieso deren Wert so rasant zulegt. Allem Unwissen zum Trotz wird 2017 als Bitcoin-Jahr in die Annalen eingehen, auch wenn es in den nächsten Tagen bis zum Jahresende noch zu einem gröberen Kurssturz kommen sollte, was übrigens auch niemand weiss. Was hingegen sicher ist: auch das kommende Jahr wird ganz im Banne der digitalen Währungen stehen. Zeit, endlich ein bisschen mehr davon zu verstehen, zumal an jedem Anlass, den ich besuche, die immer selben Fragen gestellt wurden: Soll mal in Bitcoins investieren? Ist es dafür nicht schon viel zu spät? Ist der Hype um Bitcoin nicht nur ine Blase, die demnächst krachend platzt? Ist das überhaupt sicher? Tja, die Antwort weiss wohl nicht einmal der Wind.

Unerschöpfliche, exponentielle Vielfalt
Was weiss man überhaupt von der Kryptomanie? Wir reden gegenwärtig schon von sage und schreibe 1‘355 Kryptowährungen, die einen Markt formen, der gegen 500 Milliarden Dollar wert ist, wovon mehr als die Hälfte auf Bitcoins entfällt. Der Marktwert der Kryptowährungen liegt inzwischen deutlich höher als die Börsenkapitalisierung von Exxon Mobil (351 Mia USD), Nummer 10 der an der Börse gelisteten Unternehmen in den USA. Vor nicht ganz einer Woche, war der Kryptomarkt noch etwa gleich schwer wie Exxon Mobil.

Seitdem hat er aber nochmals weit mehr als 100 Milliarden Dollar zugelegt, sprich schon fast exponentiell. Zum Vergleich: für 90 Milliarden Dollar wird Daimler Benz, die Nummer 7 in Deutschland, derzeit an der Börse gehandelt. Bitcoins allein sind heute mehr wert als die beiden grössten Firmen im Deutschen Aktienindex DAX, SAP und Siemens, zusammen. Diese astronomischen Entwicklungen sind für die einen angsteinflössend. Denn ganz klar ist hier hochgradig Spekulation im Spiel und Vergleiche zur Tulpenmanie im 17. Jahrhundert in Holland daher gang und gäbe. Nur kann niemand sagen, wann die Blase platzt. Einiges spricht aber dafür, dass das nicht unmittelbar der Fall sein muss. Historische Evidenz ist jedenfalls kein guter Ratgeber. Diese zu bemühen, um die Zukunft von Kryptowährungen zu prognostizieren, ist ein Indiz dafür, dass es sonst offenbar keine sogenannt fundamental plausiblen Erklärungsmuster für den Kryptohype gibt. Das war wohl auch mit ein Grund, dass sich der Finanzsektor nur stiefmütterlich mit Bitcoin, Ethereum, Ripple, Litecoin, IOTA oder anderen Kryptowährungen beschäftigte. Da hat die Branche wohl eindeutig geschlafen. Ansonsten ist sie bekanntlich immer an vorderster Front mit dabei, wenn es exzessive Marktbewegungen auszunutzen gilt.

An die Börse
Doch das ändert nun, die Finanzbranche hat angebissen. Nachdem die Börse CBOE in Chicago am vergangenen Sonntag Bitcoin-Terminkontrakte aufgelegt hat, erwägt sie nun, weitere Finanzprodukte für die CyberWährung auf den Markt zu bringen. Die Meinungen darüber, ob das die Kurse weiter befeuert oder das Ende des Höhenfluges einleitet, sind geteilt. Auch ob die Etablierung von Futures auf Bitcoin Währungen deren Volatilität hebt oder senkt, ist umstritten. Aber als Anlageklasse gewinnen die Kryptowährungen offenbar an Format und erste Asset- und Fondsmanager wagen jetzt den Einstieg, genauso wie das eine oder andere Family Office. Mittlerweile investieren einige Hedgefonds sogar nur in Kryptowährungen oder Fonds bieten Körbe mit verschiedenen Kryptowährungen an. ETF’s sind ebenso in Diskussion. Sogar Bitcoin Verleiher gibt es inzwischen oder Treuhänder, die Bitcoins sicher verwalten bzw. aufbewahren. Die Finanzindustrie, welche die Kryptowährungen einst noch belächelte oder gar als Betrug abtat, wie Jamie Dimon, der CEO der grössten amerikanischen Bank noch im September, möchte nun also doch mitspielen.

Wie gesagt: ob das als Warnung oder Einladung zu verstehen ist, kann kaum jemand beurteilen. Persönlich bin ich der Meinung, dass das die Fantasien eher nochmals beflügelt als lähmt, denn die Wahrnehmung der Kryptowährung wird zunächst einmal breiter.

Knapp und erst noch gefragt: Goldrausch im Netz
Dafür dass sich der Boom noch fortsetzen könnte, spricht auch die durch das System vorprogrammierte Mengenbegrenzung bei den meisten Kryptowährungen. Es wird nie mehr als 21 Millionen Bitcoins geben. Über 16 Millionen davon sind schon in Umlauf, sprich wurden schon geschürft. Wenn die Nachfrage weiter derart brummt, wird der Preis angesichts des limitierten und nur langsam zunehmenden Angebotes wohl eher weiter steigen. Dies gilt auch, wenn noch mehr Schürfer ihr Glück versuchen, was bereits der Fall ist. China ist heute das Eldorado der Schürfer, weil dort die benötigte Infrastruktur – vor allem der Strom – mit am günstigsten ist. Dort gib es mittlerweile unzählige „Netz-Goldgräber“, die in Bitcoin-Minen versuchen, mit ihren Riesencomputern die vom Algorithmus vorgegeben Rechenaufgaben zu lösen, um dafür beispielsweise mit Bitcoins belohnt zu werden. Wenn z.B. jemand Bitcoins kaufen möchte, startet ein Rechenwettbewerb zwischen leistungsfähigen Computern.

Mit einem normalen Computer für den Alltagsgebrauch lassen sich die immer komplexeren Rechenaufgaben längst nicht mehr bewältigen. Wer den Wettbewerb gewinnt, darf sich in der Blockchain, der dezentralen Datenbank, die jede Transaktion in Kryptowährungen akribisch und irreversibel aufzeichnet, sozusagen als Buchhalter betätigen, sprich einen Buchungssatz anfügen. Und er erhält als Entgelt für seine Rechenleistung eine kryptische Währungseinheit gut geschrieben. Da keine zentrale Datenbank existiert, sondern dank Blockchain-Technologie jeder Teilnehmer von seinem Rechner aus jede Transaktion dezentral einsehen kann, gilt das System praktisch als fälschungssicher. Zumindest bis dato. Nicht vergessen werden darf aber, dass Hacker auch Anbieter sogenannter Wallets, elektronischer Geldbörsen oder Handelsplätze selbst, angreifen können. So geschehen an der Bitcoin-Börse Mt. Gox in Tokio. Noch heute wird darüber gerätselt, wohin im Jahre 2014 850‘000 Bitcoins und rund 26 Millionen Dollar entschwunden sind.

Nicht blind und überschaubar einsteigen
Diebe haben also offenbar auch Chancen im Netz, elektronische Portemonnaies zu stehlen. Das kann uns bekanntlich aber auch heute schon passieren, wenn wir – im Zug etwa oder im Menschengetümmel auf dem Weihnachtsmarkt – einen Moment lang unachtsam sind. Wer also mit einem Einstieg ins Kryptogeschäft liebäugelt, sollte zu allererst den natürlichen Menschenverstand walten lassen und sich besser mehr als nur ein Minimum Sachverstand aneignen. Das ist zwar nicht ganz so einfach, aber schützt wenigstens vor den gröbsten Fehlern. Es gibt derweil durchaus seriöse Handelsplattformen und die Branche ist immer professioneller unterwegs. Aber sie ist trotzdem hochspekulativ und daher nichts für Anleger mit schwachen Nerven. Ripple zum Beispiel, hauptsächlich als Interbankenkryptowährung konzipiert, hat innert 24 Stunden 61.5% an Wert gewonnen. Zweistellige Rückschläge an einem Tag gehören aber ebenso zum Geschäft. Wer das nicht aushält, sollte definitiv besser die Finger davon lassen und wenn es sie/ihn noch so reizt. Und da es sich um ein hochspekulatives Anlageinstrument handelt, empfiehlt sich natürlich, lediglich einen kleinen Teil des Vermögens in Cyberwährungen zu investieren. Mit dem würde ich dann aber auf alles oder nichts gehen. Woher ich das weiss? Ganz einfach, aus Fehlern wird man klug.

Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen

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