Die Sicht des Raiffeisen Chefökonomen: Zu hohe Erwartungen
Von Fredy Hasenmaile, Chefökonom Raiffeisen Schweiz
Die Erwartungen an den Aktionsplan Wohnungsknappheit, den der Bund letzte Woche präsentiert hat, waren hoch, zu hoch. Enttäuschungen waren demnach programmiert. In der Vergangenheit sind bezüglich Wohnraumversorgung schlicht zu viele Fehler passiert, als dass sich diese nun mit einem Federstrich beseitigen liessen. Bundesrat Parmelin ist vielleicht vorzuwerfen, dass er mit dem runden Tisch zu viele Hoffnungen geweckt hat, die er nun nicht erfüllen konnte. Immerhin widerstand er der Gefahr, in einen falschen Aktionismus zu verfallen, der die Situation noch verschlimmern würde, weil es zu neuen Verzerrungen käme. Zudem ist der Bund nicht im «driver seat». Die Hoheit über Raumplanung und Baugesetzgebung liegt bei den Kantonen und Gemeinden. Dem Bund fällt demnach bloss eine «empfehlende» Rolle zu, wie die häufige Verwendung dieses Wortes im Aktionsplan verdeutlicht.
Insgesamt adressiert der Bund die richtigen Massnahmen. Folgerichtig konzentrieren sich diese auf die Angebotsseite, denn diese ist hauptverantwortlich für die Wohnungsknappheit. Dass allerdings Massnahmen auf der Nachfrageseite komplett ausgeblendet werden, ist schon sehr speziell. Letztlich trägt auch die Nachfrageseite zum Problem bei, und es ist per se nicht einleuchtend, die Nachfrageseite ganz aussen vor zu lassen.
Einige der vorgestellten Ansätze könnten die Wohnungsknappheit sehr effektiv bekämpfen, sofern die lokalen Regierungen auch willens wären, die vom Bund empfohlenen Massnahmen umzusetzen. Dazu zählen insbesondere die Erhöhung von Ausnützungsziffern oder die flexiblere Handhabung von Arbeits- und Wohnzonen. Beides würde zahlreiche Wohnungen generieren, ohne zusätzliches Bauland einzonen zu müssen. Auch das Eindämmen von Einsprachen und die Mobilisierung von Bauland setzen den Hebel am richtigen Ort an, nur dürften diese Massnahmen sehr lange brauchen, bis dadurch zusätzliche Wohnungen geschaffen werden. Rascher dürfte die empfohlene Beschleunigung der Bewilligungsverfahren Früchte tragen.
Vor allem das Erarbeiten eines Benchmarks zur Dauer von Planungs- und Bewilligungsverfahren könnte einen gewissen Beschleunigungsdruck unter den Verwaltungen bewirken. Dagegen sollte von einer stärkeren Ressourcenausstattung der Bewilligungs- und Fachstellen nicht zu viel erwartet werden. Die Aufblähung des Beamtenapparats dürfte eher Teil des Problems als Teil der Lösung sein.
Sehr richtig liegt der Aktionsplan, indem er empfiehlt, die Interessenabwägung zu stärken. Das heisst die Verankerung des Interesses einer ausreichenden Wohnraumversorgung auf Gesetzesstufe. Gegen den hierzulande inflationären Schutzgedanken (Denkmalschutz, Heimatschutz, Lärmschutz, Umweltschutz etc.) zieht nämlich das Ziel einer ausreichenden Wohnraumversorgung zu oft den Kürzeren. Damit adressiert der Bundesrat das Problem, dass wir in unserem direktdemokratischen System oftmals über bestimmte Einzelanliegen wie zum Beispiel den Lärmschutz abstimmen, ohne dass das Stimmvolk sich dazu äussern kann, ob es im Konfliktfall den Lärmschutz höher gewichten würde als die Schaffung von genügend Wohnraum. Folglich fehlt den Gerichten im Streitfall eine klare gesetzliche Grundlage, und der Wohnungsbau bleibt zu oft auf der Strecke.
Unterstützung verdient der Aktionsplan auch mit seinen Vorschlägen, einen einfacheren Ausbaustandard zu prüfen, denn den bekannten «Swiss Finish» gibt es auch beim Bauen. Mit dem Resultat, dass das Endprodukt den Bedürfnissen gewisser Haushalte nach bezahlbarem Wohnraum zu wenig Rechnung trägt. Im Grundgedanken zielt die Idee darauf ab, die Vielzahl an Normen und Regelwerken auf den Prüfstand zu stellen, um mit normreduzierten und innovativen Lösungen einfachere und damit kostengünstigere Gebäude errichten zu können.
So wohltuend die Zurückhaltung des Aktionsplans ist und so sehr er auf für das Wohnungsangebot langfristig schädliche Massnahmen wie ineffiziente Fördermassnahmen, Mietzinsdeckel und dergleichen verzichtet, so muss er sich dennoch den Vorwurf gefallen lassen, etwas gar mutlos zu sein. Viel ist von «Prüfen» die Rede und der Erarbeitung von Studien. Viele Massnahmen bedingen zudem Anpassungen gesetzlicher Natur und dürften daher Jahre benötigen, da sie wiederum diversen Einsprachemöglichkeiten unterliegen. In Anbetracht der sich verschärfenden Knappheit ist fraglich, ob tatsächlich so viel Zeit zur Verfügung steht. Hier hätte sich angeboten, bei gewissen Massnahmen direkt mit dem Einbezug von Experten einen Lösungsvorschlag zu erarbeiten oder mittels Schaffung von Anreizen wie Steuererleichterungen oder speziellen Ausnutzungsboni die Wohnungsproduktion zu beschleunigen. (Raiffeisen/mc/ps)