Die Sicht des Raiffeisen-Ökonomen – Schweiz: Stimmungstief oder miese Stimmung?

Martin Neff

von Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff. (Foto: Raiffeisen)

Von Martin Neff, Chefökonom Raiffeisen (Foto: Raiffeisen)

St. Gallen – „Der Schweizer Konsumentenstimmungsindex verschlechterte sich zwischen April und Juli von -6 auf -19 Punkte“ so der Wortlaut des Eingangsstatements des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) in einer jüngst erschienenen Medienmitteilung zur Entwicklung der vierteljährlich erhobenen Konsumentenstimmung in der Schweiz. Gewohnt nüchtern und sachlich ergänzt das SECO die Berichterstattung um Subindizes der Erhebung. Es konstatiert, dass die Konsumenten nach wie vor mit sinkenden Preisen rechneten, wenn auch nicht mehr im Ausmass der beiden vorangegangenen Erhebungen oder dass sich die Einschätzung der Arbeitsplatzsicherheit signifikant zu-rückgebildet habe. Auch die jüngste Entwicklung der (eigenen) finanziellen Lage, wird durch die Schweizer Haushalte deutlich negativer beurteilt als anlässlich der Erhebungen im April oder Januar des Jahres. Von der Frankenaufwertung ist im ganzen Communiqué des SECO nirgends die Rede.

Über das vergangene Wochenende wurde die SECO-Mitteilung auch in den Medien aufgegriffen. Wie nicht anders zu vermuten, schwang im Grundtenor der Meldungen mit, dass die Frankenstärke nun den Konsumenten spürbar auf die Laune schlage. Eben veröffentlichte Arbeitslosenzahlen wurden medial zusätzlich bemüht, um den Frankenschock besser abzubilden. Endlich – so scheint es – ist man fündig geworden, nach was man gesucht hat. Undenkbar wäre schliesslich gewesen, wenn der 15. Januar 2015 nicht bald Spuren hinterliesse in der Schweiz. Damals hat die Schweizerische Nationalbank Knall auf Fall die Eurountergrenze aufgehoben und damit vielerorts Rezessionsängste heraufbeschworen.

Im Land der Spekulationen
Dabei ist ein halbes Jahr nach Wegfall der Wechselkursbindung das vermeintlich klare Verdikt eines tiefen Falls der Schweizer Wirtschaft noch immer alles anderes als klar. Im ersten Quartal 2015 – so viel wissen wir bereits, wenn auch nur erst provisorisch – büsste die Schweizer Wirtschaft zwar etwas Wachstum ein. Doch seien wir einmal ehrlich: wer hätte gedacht, dass es lediglich 0.2% sind und wer spürt schon einen solch minimalen Rückgang der Wirtschaftsleistung gegenüber dem Vorquartal, wenn es ihn nicht gerade die Stelle kostet. Das einzig spektakuläre an dieser Zahl ist das Vorzeichen, das im Wiederholungsfall rechtfertigt, von (technischer) Rezession zu sprechen. Darauf warten manche Berichterstatter offenbar schon fast ungeduldig. Das dürfte Anfang September so weit sein, wenn die BIP-Zahlen des zweiten Quartals publiziert werden. Dann wird der Begriff der Rezession wieder bis an den Rand strapaziert werden, auch wenn es erneut nur ein 0.1% BIP-Minus sein wird. Da vorläufige Schätzungen des SECO oft noch revidiert werden – mitunter selbst die Vorzeichen – werden wir nicht vor Ende Jahr erste harte Fakten vorweisen können. Und erst dann lässt sich auch mit Gewissheit sagen, ob und wie stark der Wechselkursschock die Schweiz in Mitleidenschaft gezogen hat. Alles andere ist Spekulation. Doch so lange zu warten, ist schlecht für das Geschäft. Schlechte Schlagzeilen steigern schliesslich die Auflage.

Gute Neuigkeiten unerwünscht
Dabei gibt es auch Positives zu berichten, nur ist das nicht ganz so leicht zu erklären und passt auch nicht ins Konzept der notorischen Schwarzmaler. Etwa dass ausgerechnet die Branche, welcher der Untergang prophezeit wurde, bisher kaum Federn lassen musste. Gemeint ist das Gastgewerbe, das den erwartet starken Rückgang der Übernachtungszahlen von Europäern fast komplett kompensieren konnte und im laufenden Jahr bisher nur ganz schwach im Minusbereich liegt – dank Asiengeschäft. Auch die Exporte der Industrie tendierten zwar leicht negativ, aber nicht annähernd so weit im Minus, wie ursprünglich von vielen befürchtet. Ähnlich wie in der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre, als die Schweiz Gefahr lief, von der europäischen Wachstumsschwäche angesteckt zu werden und deshalb fast totgesagt wurde, gelingt es ihr allem Anschein nach erneut, einen Teil des wegfallendenden traditionellen Geschäftes durch die Erschliessung neuer Märkte zu kompensieren. Es war wohl vorschnell, die Schweiz wegen des Wechselkursschocks abzuschreiben. Einmal mehr nach 1992, 2008 und 2011 stellt unser Land erneut seine hohe Flexibilität und Anpassungsfähigkeit unter Beweis. Zumindest sieht es eher danach aus als nach einem veritablen wirtschaftlichen Einbruch mit Massenentlassungen etc., wie auch schon zu hören war dieses Jahr.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass wir mit unserer Schweiz-Prognose eines Wirtschaftswachstums von knapp über einem Prozent über das ganze Jahr 2015 etwas zu hoch liegen. Wir sind aber nach wie vor zuversichtlich, dass die Wachstumsrate näher bei 1 als bei 0 liegen wird. Und den Gegenbeweis sind die Skeptiker bis heute schuldig geblieben. Deshalb das „aber“ in den meisten Kommentaren der aktuellen Wirtschaftsindikatoren. Im Wissen um die Stärke unserer Volkswirtschaft lassen wir das „aber“ gern weg und wetten auf ein „erst recht“.  (Raiffeisen/mc/ps)

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