München / Zürich – Immer mehr Konsumenten nutzen Onlineservices. Eine Analyse der internationalen Managementberatung Bain & Company zeigt, dass Servicequalität und universelle Verfügbarkeit digitaler Angebote von den Verbrauchern zunehmend als Standard wahrgenommen werden. Gleichzeitig realisieren die führenden Anbieter von Onlinedienstleistungen durch ihre konsequente Digitalisierung grosse Effizienzgewinne über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg. Multikanalangebote werden zu einem nahtlosen Kundenerlebnis verknüpft, dem Omnikanalservice. Dabei erhält der Kunde dasselbe Erlebnis, denselben Komfort und dieselbe Leistung über alle Kanäle hinweg. Die Vorreiter dieser Entwicklung zeigen jedoch auch, dass dies nicht von heute auf morgen geht – für die Implementierung einer umfassenden Digitalisierungs- und Omnikanalstrategie brauchen Unternehmen fünf Jahre und mehr. Aber es lohnt sich: Wer vor seinen Wettbewerbern beginnt, baut sich eine schwer einzuholende Führungsposition auf.
Die Digitalisierung verändert das Verhalten und die Erwartungen der Konsumenten wie kaum eine andere Technologie. Das zeigt ein Blick auf die aktuellen E-Commerce-Zahlen: Dem Institut für Handelsforschung zufolge wuchs der Onlinehandel im Jahr 2012 um 15 Prozent auf knapp 33 Milliarden Euro. Besonders wachstumsstark waren erneut die reinen Internetanbieter, allen voran Amazon. «Internetanwendungen und mobile Apps haben eine Flut neuer Möglichkeiten geschaffen, die nun die Service- und Kommunikationserwartungen der Verbraucher prägen», sagt Miltiadis Athanassiou, Partner bei Bain & Company. «Dienstleistungen müssen heute bequem erreichbar und einfach zu handhaben sein.»
Kunden erwarten maximalen Komfort und Einfachheit
Während des Einkaufs schnell einen Preis überprüfen, auf dem Weg zur Arbeit die wichtigsten Schlagzeilen durchlesen, beim Frühstück einen Blick auf das Konto werfen: Mobile Anwendungen ermöglichen die Nutzung freier Minuten und schaffen einen neuen Servicelevel. Dabei verbessern digitale Angebote die Beratungs- und Servicequalität von Unternehmen spürbar – bei im Idealfall sinkenden Kosten. Der Aufzugsbauer Otis etwa stellt seinen Kunden eine App zur Verfügung, mit der sie den Wartungsstatus ihrer Aufzüge überblicken und Kontakt zum Kundendienst aufnehmen können. Die Citibank experimentiert mit einem sogenannten «Smart Banking»-Konzept, das unter anderem die Beratung und das Kundenerlebnis in der Bankfiliale verbessern soll.
Noch weiter gehen virtuelle Regale, wie sie Tesco in Südkorea und Procter & Gamble in Tschechien testen. Hier können Kunden einen virtuellen Warenkorb ordern, der ihnen dann nach Hause geliefert wird. Das spart den Kunden Zeit und Arbeit, den Einzelhändlern Raum- und Bewirtschaftungskosten. «Ein digitales Servicekonzept bietet den Kunden umfassende Informationen, Beratung, Kaufunterstützung und vor allem maximale Bequemlichkeit», erklärt Einzelhandelsexperte Miltiadis Athanassiou. «Das alles 24 Stunden am Tag und über alle Kanäle hinweg.»
Effizienzsteigerungen über die gesamte Wertschöpfungskette
Durch Onlineservices, Social Media und mobile Kommunikation können Unternehmen heute weitaus mehr Daten von ihren Kunden, aus dem Markt und aus öffentlich zugänglichen Quellen sammeln. Darin stecken enorme Potenziale. Richtig aufbereitete und umfassend zur Verfügung gestellte Daten können auf allen Wertschöpfungsstufen für deutliche Effizienzsteigerungen genutzt werden, von der Forschung über den Service bis hin zur Kundenbetreuung.
Der Pharmakonzern Eli Lilly durchforstet mittels Big-Data-Analysen die enorme Menge neuer chemischer Verbindungen, um ihr Potenzial als Medikament bewerten zu können. Ausserdem arbeitet das Unternehmen an einem Simulationsprogramm für die Optimierung klinischer Studien. In Kooperation mit den Wettbewerbern Merck und Janssen hat Eli Lilly eine Datenbank ins Leben gerufen, die den beteiligten Unternehmen bei der Effizienzsteigerung klinischer Studien hilft.
Die Betreuung und Beratung der Kunden kann durch digitale Helfer deutlich verbessert werden. Die australische Commonwealth Bank erstellt zu diesem Zweck für jeden Kunden ein Profil, das alle aktuellen Daten, Kredite, Transaktionen und Beratungsgespräche auf einem Bildschirm vereint. Sobald sich ein Kunde am Telefon, im Chattermin oder in der Filiale meldet, erhalten die Berater eine komplette Kundenübersicht auf ihren Bildschirm.
Automatisch erstellte Empfehlungen durch sogenanntes «kollaboratives Filtern» stecken bisher noch in den Kinderschuhen. Bei Filmtipps oder der Suche nach neuer Musik ist die Methode aber schon erfolgreich. Auch für Cross- und Up-Sale-Angebote haben sich die Filter bereits bewährt: Das Onlinemodehaus Net-A-Porter zeigt routinemässig passende Utensilien an, beispielsweise ein Kleid und eine Kette zu den gesuchten Schuhen.
Spielt der Verkäufer jetzt keine Rolle mehr? «Im Gegenteil: In vielen Branchen ist und bleibt der persönliche Berater wichtig», betont Bain-Partner und Bankenexperte Dr. Dirk Vater. «Aber er wird künftig optimal online mit aktuellem Kunden- und Produktwissen unterstützt und gleichzeitig durch optimierte Vertriebsprozesse von Routineaufgaben entlastet.»
Von Multikanal zu Omnikanal
Noch vor wenigen Jahren waren Multikanalstrategien State of the Art. Kunden sollten per Internet, Telefon oder in der Filiale Kontakt zum Unternehmen aufnehmen können. Doch meist unterschieden sich Service und Produktangebote im Internet von denen, die sie am Telefon oder persönlich in der Filiale erhielten. Dieses Phänomen betraf Versicherer ebenso wie Telekommunikationsanbieter oder Einzelhändler. Künftig wird Multikanal immer mehr zu Omnikanal. Dabei ist es unerheblich, ob der Kunde anruft, vorbeikommt, die App oder die Website nutzt – er wird stets sofort erkannt, seine letzten Aktionen werden aufgerufen und der Kundenkontakt wird an genau der Stelle fortgesetzt, an der er geendet hatte. «Kunden erwarten heute ein nahtloses Einkaufserlebnis», so Miltiadis Athanassiou. «Und dabei darf es online keine anderen Angebote oder Preise geben als in der Filiale. Der Kunde möchte persönlich wiedererkannt und begrüsst werden. Und in einem Kanal begonnene Transaktionen sollten sich auf einem anderen Kanal problemlos fortsetzen lassen.»
Im digitalen Unternehmen ist der Weg das Ziel
Das erfolgreichste und vom Wettbewerb meist gefürchtete Einzelhandelsunternehmen der Welt heisst nicht WalMart oder Aldi, sondern Amazon. Am Beispiel des Onlinehändlers zeigt sich – wenn auch monokanal -, wie ein digitales Geschäftsmodell über viele Jahre Schritt für Schritt weiterentwickelt werden kann. 1995 führte Amazon Kundenbewertungen ein, 1997 Bündelangebote. In den letzten Jahren konzentrierte sich das Unternehmen stark auf die Verbesserung der Logistik und des Versands, der seit 2003 in der Regel kostenfrei ist. Seine Grössenvorteile nutzt Amazon, um die Preise zu senken, das Produktportfolio kontinuierlich zu optimieren und einen Service zu bieten, der positive Kundenerfahrung und damit hohe Loyalität ermöglicht.
Ein weiteres Beispiel für den langen Atem, den Unternehmen auf dem Weg zur Digitalisierung brauchen, ist die Commonwealth Bank of Australia (CBA). Das Unternehmen entschied sich 2008 für eine digitale Strategie und begann 2009 damit, die Daten von 18 Millionen Kunden einheitlich aufzubereiten. 2010 wurden elf Millionen Privatkonten in das neue System migriert und das 24-Stunden-Banking eingeführt. Die Stellenbeschreibungen von 18.000 Arbeitsplätzen wurden geändert. 2011 folgten die gewerblichen Konten und derzeit ist das Unternehmen bei der Umstellung der Kreditabteilung. CBA ist noch lange nicht am Ende ihrer Umstrukturierungen, doch es zeigen sich bereits Erfolge: 2012 war die Bank bereits die Nummer eins im Online-Banking in Australien, auf Platz eins bei jungen Kunden und Marktführer im Real-Time-Banking. Das Institut hat 4,25 Millionen aktive Online-Banking-Nutzer, von denen über zwei Millionen bereits mit den mobilen Applikationen der Bank arbeiten.
Durchgehende Digitalisierung dauert fünf Jahre und mehr
Beispiele wie diese zeigen, dass die durchgehende Digitalisierung eines grossen Unternehmens fünf Jahre und mehr dauert. «Die vielen Jahre für ein digitalisiertes Geschäftsmodell bedeuten ebenso viele Jahre anstrengendes Change-Management», sagt Bain-Experte Dr. Dirk Vater. «Aber sie bedeuten auch schwere Kopierbarkeit durch den Wettbewerb. Mit anderen Worten: Wer bei der Digitalisierung Erster ist, kann nicht mehr so leicht eingeholt werden.» (Bain & Company/mc/ps)