Von Sebastian Hofbeck, Analyst Healthcare-Sektor, DJE Kapital AG
Der Hype ist enorm, der um die «Abnehmspritze» Ozempic gemacht wird. Dabei kommen die Unternehmen mit der Produktion für die Diabetes- und Fettleibigkeitsarzneimittel nicht mehr nach. Natürlich bleibt auch der Aktienmarkt vm Trend nicht unberührt.
Ein Trend geht um die Welt: Die «Abnehmspritze». Elon Musk hat zugegeben, mithilfe der Spritze von Ozempic abgenommen zu haben. Und auch bei Kim Kardashian wird es zumindest angenommen. Auf der Social Media Plattform TikTok trendet der Hashtag #Ozempic. Das Diabetesmittel wird entgegen der Empfehlung häufig für Gewichtsreduktion verwendet. Viele Leute wollen an diesem Trend teilhaben, um «schnell» ihr Gewicht zu reduzieren, obwohl sie nicht der Zielgruppe dieses Medikamentes entsprechen.
Wie wirken GLP-1s auf den Anwender?
Für die Behandlung von Fettleibigkeit sind aktuell nur Wegovy von Novo Nordisk (in Europa und der USA) und Zepbound von Eli Lilly (nur in den USA) zugelassen. Beide Arzneimittel werden von den Einnehmenden selbst mit einer vorgefüllten Injektionsspritze einmal wöchentlich unter die Haut gespritzt. Wegovy kostet in Deutschland rund 328 € pro Monat, in den USA beträgt der Listenpreis 1350 $ pro Monat, wobei in den USA sehr selten der Listenpreis gezahlt wird. Offiziell zugelassen sind beide Arzneimittel für Erwachsene mit einem Body-Mass-Index (BMI) ab 30: Bei einem durchschnittlich grossen Mann von 1,79m entspricht das einem Körpergewicht von mindestens 96kg. Für Erwachsene mit mindestens einer gewichtsbedingten Begleiterkrankung mit einem BMI ab 27. Wegovy enthält wie das für die Behandlung von Diabetes-Typ 2 zugelassene Ozempic den Wirkstoff Semaglutid, welcher ein GLP-1 Rezeptoragonist ist. Wie das im Darm vorkommende körpereigene GLP-1 Hormon erhöht es die Insulinmenge, die in der Bauchspeicheldrüse freigesetzt wird. Insulin fördert die Aufnahme von Glukose aus dem Blut, wodurch es hilft, den Blutzuckerspiegel zu kontrollieren. Darüber hinaus setzt der Wirkstoff im Gehirn an. Dabei werden neuronale Gebiete aktiviert, die für die Hunger-Regulation zuständig sind. In den bisher durchgeführten Studien zeigten beide Arzneimittel enorme Gewichtsreduktionsraten von 15 bis 22 Prozent nach 68 bis 72 Wochen. Weitere Studien zeigten allerdings auch, dass es nach Absetzen des Arzneimittels zu einer erneuten Gewichtszunahme kommt. Das legt nahe, dass das Arzneimittel langfristig eingenommen werden muss, um einen dauerhaften Effekt zu entfalten.
Ein weiterer viel diskutierter Punkt bei den GLP-1 Arzneimitteln sind die Nebenwirkungen: Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) nennt als sehr häufige Nebenwirkungen Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Verstopfungen und Bauchschmerzen. Weitere schwerwiegende Nebenwirkungen wie Entzündungen der Bauchspeicheldrüse oder der Gallenblase als auch Gallensteine können vereinzelt auftreten. Darüber hinaus gibt es immer wieder Medienberichte, die von Suizidgedanken bei Anwendern berichten. Dies wird aktuell von der EMA untersucht.
Fettleibigkeit: eine Krankheit «epidemischen Ausmasses»
Weltweit leben inzwischen mehr als 650 Millionen Menschen mit Fettleibigkeit (BMI ≥ 30). Die WHO spricht davon, dass Fettleibigkeit «epidemische Ausmasse» angenommen hat. Man geht davon aus, dass Ende des Jahrzehnts mehr als eine Milliarde Menschen an Fettleibigkeit leiden werden. Entgegen der weitverbreiteten Annahme ist Fettleibigkeit kein Ergebnis mangelnder Selbstbeherrschung. Laut Prof. John Wass von der Universität Oxford sind Appetit und Sättigung vererbbar und 70 Prozent des Körpergewichts genetisch bedingt, weshalb es sinnvoll sei, Fettleibigkeit als chronische, schubweise verlaufende Krankheit zu behandeln.
Nach Schätzungen des World Obesity Atlas 2023 beliefen sich 2020 die ökonomischen Auswirkungen durch Fettleibigkeit, die neben direkten Krankheitskosten auch indirekte Einflüsse miteinbeziehen, auf knapp zwei Billionen US-Dollar. Das entspricht etwa 2,4 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts. Bis 2035 erwarten sie, dass diese Kosten auf über vier Billionen US-Dollar, also rund drei Prozent des weltweiten Bruttoinlandsprodukts 2035 ansteigen sollen. Das verdeutlicht das unglaubliche Potenzial für Arzneimittel im Bereich Diabetes und Fettleibigkeit. Analysten der verschiedenen Investmentbanken schätzen einen adressierbaren Markt von knapp 100 Milliarden US-Dollar bis 2030 – andere setzen sogar noch höher an.
Auswirkungen auf den Healthcare Sektor
Die Patienten leiden häufig auch an Begleiterkrankungen, unter anderem Depression, Alzheimer, Schlafapnoe, Herzversagen oder chronischem Nierenversagen. Sowohl Eli Lilly als auch Novo Nordisk untersuchen ihre Wirkstoffe auf einige dieser Krankheiten. Vor kurzem konnte Novo Nordisk erfolgreiche Studienergebnisse bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Select-Studie) sowie bei chronischem Nierenversagen (Flow-Studie) zeigen. Diese positiven Studienergebnisse vergrössern den Anwendungsbereich der Arzneimittel und den adressierbaren Markt für die Unternehmen, was zu entsprechenden Aktienkursreaktionen geführt hat. Auf der anderen Seite sanken die Aktienkurse von potenziellen GLP-1-Verlierern stark. Ein Beispiel hierfür ist ein Anbieter für Gewebeglukosemessung: Dieser sank am Tag der Veröffentlichung der positiven Select-Studie um neun Prozent, da der Markt antizipierte, dass in Zukunft weniger dieser Geräte benötigt werden. Insgesamt verlor das Unternehmen innerhalb weniger Wochen 40 Prozent der Marktkapitalisierung. Ähnlich erging es manchen Dialysebetreibern. Sie verloren am Tag der Veröffentlichung der Flow-Studie knapp 17 Prozent, da Investoren davon ausgingen, dass es in Zukunft weniger Dialysepatienten geben wird. Diese Kursbewegungen sind einerseits verständlich, da der Aktienkurs die Erwartung der zukünftigen Geschäftsentwicklung eines Unternehmens abbildet. Andererseits sind die Ausschläge übertrieben, da sowohl für den Anbieter für Gewebeglukosemessung als auch für die Dialysebetreiber die Auswirkungen noch nicht klar sind. Ein Dialysebetreiber spricht zum Beispiel davon, dass es mehr als ein Jahrzehnt dauern wird, bis die Auswirkungen der GLP-1 Arzneimittel auf das Patientenvolumen zu sehen sein werden.
Zudem spekulieren Investoren und Analysten über die Auswirkungen von GLP-1 Arzneimittel auf andere Sektoren. Einer der betroffenen Sektoren könnte der Bereich Food & Beverage sein. Laut Walmart-CEO John Furner sehen sie bereits Änderungen im Kaufverhalten. Seiner Meinung nach kaufen Menschen, die GLP-1s nehmen, weniger Artikel und vor allem weniger kalorienreiche Lebensmittel. Darüber hinaus erwarten Analysten einen positiven Effekt auf die Kleidungsindustrie, da sich Menschen, die durch GLP-1s abnehmen, neu einkleiden werden. Zusätzlich sehen Analysten einen negativen Effekt auf die Gambling-Industrie. Soll heissen, der Trend ist allseits bekannt und scheint „heisszulaufen“. Selbst einige Unternehmen bieten „Abnehmspritzen» als neueste Corporate Benefits für ihre Mitarbeiter.
Warum es eine Blase sein könnte
Inzwischen gibt es kaum einen Investor, der nicht in die beiden Unternehmen Eli Lilly und Novo Nordisk investiert ist. Analysten erhöhen immer weiter ihre Schätzungen, um neue immer höhere Kursziele zu rechtfertigen. Der GLP-1 Gewinner-„Korb“, in dem Investmentbanken potenzielle Gewinner des GLP-1 Trends zusammenfügen, hat den GLP-1 Verlierer-„Korb“ in den letzten Monaten deutlich outperformt. Insgesamt kamen Kursgewinne im Healthcare Sektor in den letzten Jahren vor allem aus diesen Aktien, wodurch Eli Lilly zum grössten Pharmaunternehmen weltweit und Novo Nordisk zum grössten europäischen Unternehmen nach Marktkapitalisierung geworden ist.
Dennoch stehen die beiden Unternehmen auch vor Herausforderungen: Eine der grössten ist es, die enorme Nachfrage bedienen zu können. Darüber hinaus bleiben die Fragen offen, wie lange Patienten die Therapie fortsetzen werden und wer die Kosten dafür übernehmen wird. Eines der grössten Krankenversicherungsunternehmen in den USA hat bei der letzten Quartalsberichtserstattung darauf hingewiesen, dass die Kosten für GLP-1 Behandlungen bereits jetzt zu hoch seien. Es könnte sein, dass in Zukunft nur noch die Kosten für einzelne Teilgebiete mit nachgewiesenem Zusatznutzen wie zum Beispiel bei Herz-Kreislauferkrankungen übernommen werden. Zudem kommt immer mehr Konkurrenz auf den Markt. Andere Pharmaunternehmen wie AstraZeneca forschen an eigenen Arzneimitteln für das Gebiet. Deshalb ist es für Eli Lilly und Novo Nordisk wichtig, bereits jetzt an der nächsten Generation zu forschen. Sollten diese Studien nicht den gewünschten Effekt zeigen, wäre das sehr negativ für die Unternehmen. Das grösste Risiko geht aber von sogenannten Schwarzen Schwänen, also unvorhergesehenen Ereignissen, aus. Sollten in einer der zahlreichen Studien zum Beispiel Sicherheitsrisiken herauskommen, wäre das für die Aktien fatal.
Der Megatrend, den jeder bereits im Portfolio hat
Es ist zu erwarten, dass der Megatrend Diabetes und Fettleibigkeit erst jetzt richtig Fahrt aufnehmen wird. Eli Lilly und Novo Nordisk sind dafür positioniert, ihre Aktienkurse spiegeln das aber bereits wider. Bei diesen Konsensus-Aktien, über die die Mehrheit der Marktteilnehmer positiv denkt und schreibt, können Kleinigkeiten bereits grosse Auswirkungen auf den Aktienkurs haben. In der Vergangenheit waren grössere Rücksetzer allerdings immer wieder gute Einstiegsmöglichkeiten. (DJE Kapital/mc/ps)