economiesuisse: Kein Ende der Euro-Krise in Sicht
Zürich – Die Euro-Krise schwelt weiter. Die grossen Unsicherheiten belasten zunehmend den Konsum und die Investitionstätigkeiten in ganz Europa, dies bekommt auch die europäische Konjunkturlokomotive Deutschland zu spüren. Die Schweizer Wirtschaft ist nach wie vor in einer Transformationsphase, in der die Unternehmen wegen des starken Frankens um ihre Wettbewerbsfähigkeit kämpfen. Sie schlägt sich aber unter den schwierigen Bedingungen erfreulich gut.
Insgesamt rechnet der Wirtschaftsdachverband economiesuisse für 2012 mit einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 0,9 Prozent, für 2013 um 0,8 Prozent. Die Arbeitslosenzahlen bleiben relativ tief und die Preisentwicklung verläuft um den Nullpunkt.
Euro-Krise belastet Exporte
Die Schweizer Wirtschaft ist gefordert. Etliche Unternehmen kämpfen infolge der Frankenstärke immer noch um die Rückkehr in die Gewinnzone. Die Aufwertung des Frankens aber wird zunehmend als «fait accompli» hingenommen. Viele Industriebetriebe haben in den vergangenen Quartalen ihre Kostenstrukturen optimiert und die Produktivität gesteigert. Immer mehr allerdings zielen die Unternehmen darauf ab, sich durch zusätzliche Innovationen von den internationalen Mitbewerbern abzuheben und Kostennachteile durch Mehrwerte zu kompensieren. Insgesamt hat sich so die Schweizer Exportindustrie bisher erfolgreich gegen die widrigen Wechselkursverhältnisse stemmen können. Der Verschuldungsschwelbrand in Europa sorgt nun aber zusätzlich für einen weiteren Rückgang der Nachfrage in Hauptexportmärkten.
Zugpferd Deutschland
Die Schweiz hat in diesem und im letzten Jahr stark von der robusten konjunkturellen Entwicklung in Deutschland profitiert. Während die Nachfrage in Frankreich und Italien, auf die zusammen immerhin rund 15 Prozent der Schweizer Warenexporte entfallen, schon seit längerer Zeit schwächelt, verzeichnet Deutschland weiterhin positive Wachstumsraten. Allerdings dürfte sich die Dynamik im Zuge der Euro-Krise auch in unserem nördlichen Nachbarland abschwächen.
Tourismus von aussenwirtschaftlichen Schwierigkeiten besonders betroffen
Besonders unter den aussenwirtschaftlichen Schwierigkeiten zu leiden hat der Tourismus. Hier sind im Lauf des Jahres weitere Besucherrückgänge aus dem europäischen Ausland zu erwarten. Stabilisierende Wirkung dürfte hingegen dem Binnenkonsum und der dynamischen Nachfrageentwicklung aus dem asiatischen Markt zukommen. Die Finanzindustrie mit der Kostenbasis in Franken und den Erträgen in ausländischer Währung kann durch den Neugeldzufluss einen Teil des Währungsnachteils kompensieren, sodass der Wertschöpfungsrückgang in der Industrie abgebremst wird. Für die chemisch-pharmazeutische Industrie, die wie die Finanzindustrie eine hohe Wertschöpfung pro Arbeitsplatz ausweist, führen die knappen öffentlichen Finanzen ausländischer Staaten zu Preiskonzessionen und Umsatzrückgängen, welche die Branche dank eigener Effizienzsteigerungsmassnahmen bisher vergleichsweise gut meistern konnte.
Klassenprimus Uhrenindustrie
Klassenprimus ist die Uhrenindustrie, die von einem Nachfrageboom in den aufstrebenden Märkten vor allem in Asien profitiert. Hier zeigt sich eine Stärke der Schweizer Industrie, die geografisch und thematisch breit diversifiziert ist und deshalb die Nachfragerückgänge in Europa zumindest teilweise ausgleichen kann. Äusserst herausfordernd ist die Situation für die Maschinen-, Papier- und Textilindustrie, die sowohl an der Preis- als auch an der Mengenfront teilweise starke Rückgänge verzeichnen. Insgesamt rechnet economiesuisse mit leicht rückläufigen Exporten von minus 0,6 Prozent in diesem Jahr und minus 1,0 Prozent 2013. Aufgrund der schwierigen Lage der Exportwirtschaft ist damit zu rechnen, dass die Lohnabschlüsse im Herbst moderat ausfallen. Dies verkleinert die Kostennachteile der Schweizer Industrie vor allem gegenüber Deutschland, wo die Löhne in der Industrie nach Jahren der Zurückhaltung kräftig steigen.
Binnenwirtschaft nach wie vor robust
Auch die Binnenwirtschaft muss sich den veränderten Rahmenbedingungen anpassen. Neue ausländische Wettbewerber treten seit der Frankenstärke vermehrt in der Schweiz auf oder der Einkaufstourismus führt zu Umsatzrückgängen im Detailhandel. Dennoch können der private Konsum und der private Bau weiter wachsen, weil die Immigration anhält, die Arbeitslosenzahlen tief bleiben und die Zinsen auf einem historischen Tiefstand verbleiben. Auch die öffentliche Hand stützt die Konjunktur 2012 und 2013 durch leicht höhere Konsum- und Investitionsausgaben.
2012: BIP-Wachstum von 0,9% erwartet
Insgesamt erwartet die Wirtschaft für 2012 ein Wachstum des realen BIP von 0,9 Prozent und für 2013 eines von 0,8 Prozent. Die kleine, offene Volkswirtschaft Schweiz ist Teil Europas und wird durch die negativen Entwicklungen belastet. Die Wachstumsraten der Schweiz liegen deshalb während der nächsten zwei Jahre klar unter dem Wachstum des Potenzialoutputs. Vor dem Hintergrund der Euro-Krise sind die Wachstumsraten aber dennoch positiv zu bewerten und zeugen von einer wettbewerbsfähigen Volkswirtschaft. Die Arbeitslosigkeit bleibt mit 3,3 (2012) und 3,5 Prozent (2013) relativ tief. Weil sich die Schweizer Industrie schon seit Jahren kontinuierlich aus der Herstellung von arbeitsintensiven Exportprodukten zurückgezogen hat, fällt der Arbeitsplatzabbau – trotz Rückgängen bei der Textil-, Maschinen- oder der Verpackungsindustrie – für die Exportindustrie relativ moderat aus.
SNB-Mindestkurs bislang bewährt
Die Fixierung der Untergrenze des Eurokurses durch die Schweizerische Nationalbank hat sich bisher bewährt. Sie hat den Unternehmen die wichtige Planungssicherheit zurückgebracht. economiesuisse geht davon aus, dass die Schweizerische Nationalbank (SNB) die kurzfristigen Zinsen aufgrund der schwerwiegenden und anhaltenden Probleme im Euro-Raum in den nächsten Monaten weiterhin konstant hält. Erst im Laufe des Jahres 2013 könnte sich dies ändern, wenn es zu einer Stabilisierung der Staatsverschuldungskrise kommt und die Funktion des Frankens als sicherer Hafen wieder an Bedeutung verliert. Trotz der rekordtiefen Zinsen ist die Inflationsgefahr in diesem und nächsten Jahr klein. Die leichten Preisauftriebe des Binnenmarkts werden durch die Importdeflation kompensiert, sodass in diesem Jahr insgesamt mit einem leicht rückläufigen Preisniveau und im nächsten Jahr mit stabilen Preisen gerechnet werden kann.
Die Schweiz inmitten einer strauchelnden Euro-Zone
Offensichtlich ist das Damoklesschwert für die wirtschaftliche Entwicklung in der Schweiz die Verschuldungskrise in Europa. Da die Banken in den besonders betroffenen Staaten grosse Teile der Staatsobligationen in ihren Büchern halten, sind Verschuldungskrise und Bankenkrise Synonyme geworden. Gerade in Spanien kommen grosse Abschreibungen nach den Immobilienexzessen hinzu, die die Bankenbilanzen weiter belasten. Insgesamt steht das europäische Bankensystem auch im fünften Jahr nach Ausbruch der Finanzmarktkrise immer noch auf wackligen Füssen. Die Verkleinerung der Bilanzen und das Zuführen von zusätzlichem Kapital brauchen nicht nur Zeit. Ein negativer Nebeneffekt der Sanierungsmassnahmen resultiert in der Kreditverknappung im privaten Sektor, die zu einem ernsthaften Problem für das Wachstum wird. Auch die Austeritätsmassnahmen belasten die europäische Wirtschaft. Unter diesen Vorzeichen ist kein Wachstum in der Eurozone zu erwarten.
Euro-Schuldenkrise noch lange nicht vorbei
Die aktuelle Prognose geht davon aus, dass die europäische Wirtschaft trotz positiver Wachstumswerte in Deutschland insgesamt stagniert. Auch nächstes Jahr bleibt Europa wachstumsschwach. Mit anderen Worten: economiesuisse rechnet nicht mit einem raschen Ende der Euro-Krise. Die Gefahr eines totalen Vertrauensverlustes in das Bankensystem vor allem in den südeuropäischen Staaten ist latent. Ein durchaus möglicher Kollaps Griechenlands könnte sogar eine deutliche Rezession in Europa zur Folge haben, die auch die Schweizer Wirtschaft treffen würde. Entscheidend für die mögliche Schwere der Rezession ist, ob der Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone kontrolliert erfolgt und die Ansteckung auf Italien und Spanien verhindert werden kann. Ein «Bank Run» etwa in Spanien hätte dramatische Auswirkungen auf die europäische Wirtschaft. Ist eine Brandmauer aber glaubwürdig, könnte das Vertrauen in das Finanzsystem zurückkehren. Ein nachhaltiges Wachstum in Europa jedenfalls ist erst dann wieder möglich, wenn das Bankensystem stabilisiert ist und die dringend nötigen Reformen auch umgesetzt werden. (economiesuisse/otz/mc/ps)