Tom Gensicke, Leiter Public Services bei Capgemini Consulting.
Zürich – Im Durchschnitt sind 82 Prozent der 20 wichtigsten Behördendienstleistungen in den Staaten der Europäischen Union sowie Kroatien, Island, Norwegen, der Schweiz und der Türkei vollständig online umgesetzt. Mit einem Zuwachs von 13 Prozentpunkten im Vergleich zu 2009 hat sich damit die Situation deutlich verbessert.
Am besten schneiden Österreich, Italien, Malta, Portugal und Schweden ab. Der durchschnittliche Grad der Online-Verfügbarkeit von Dienstleistungsangeboten ist ebenfalls gestiegen – auf 90 Prozent. Österreich, Irland, Malta und Portugal liegen bei diesem Aspekt ganz vorne, dicht gefolgt von Deutschland und Schweden. Schlusslichter sind Zypern und Griechenland. Dies zeigt die neunte Benchmark-Studie der EU-Kommission zum eGovernment in Europa, die von Capgemini, dem Rand Europe Institut, dem Analystenhaus IDC und dem Dänischen Technologie Institut durchgeführt wurde. Die Studie dokumentiert seit 2001 jährlich den Fortschritt von eGovernment in Europa und ist in der diesjährigen Ausgabe inhaltlich deutlich breiter angelegt als bisher. Basis der Studie bildet die Untersuchung von mehr als 10’000 Behördenwebseiten in allen 32 Teilnehmerländern.
Grosser Sprung nach vorne
Die aktuellen Studienergebnisse zeigen, dass die Schweiz ihre eGovernement-Angebote seit der letzten Untersuchung 2009 signifikant verbessert hat. Heute sind 70 Prozent der Dienstleistungen vollständig online verfügbar, während es 2009 nur 32 Prozent waren. Trotz dieser deutlichen Veränderung liegt die Schweiz zwar immer noch unter dem EU-Durchschnitt von 82 Prozent, hat aber den letzten Platz im Ranking an Griechenland abgegeben. Beim Grad der Online-Verfügbarkeit, die anhand einer fünfstufigen Skala gemessen wird, erreicht die Schweiz 85 Prozent und liegt damit weiter im unteren Drittel. Dennoch zeigt sich auch hier der Aufwärtstrend: 2009 erreichte die Schweiz 18 Prozentpunkte weniger.
Mehr Transparenz tut not
Bei der Benutzerfreundlichkeit der eGovernment-Dienstleistungen besteht noch grosser Nachholbedarf. Die Schweiz erreicht hier einen Durchschnittswert von 68 Prozent und liegt damit unter dem EU- Durchschnitt. In der Detailbetrachtung zeigt sich, dass die Schweiz zwar bei den Indikatoren «Datenschutz» und «Nutzerzufriedenheit» sehr gut abschneidet, aber insbesondere beim Indikator «Transparenz» noch nacharbeiten muss. Der Abstand zur EU-Vergleichsgruppe ist hier besonders gross. Die Bewertung der Webportale fällt hingegen positiv aus und liegt in allen Teilaspekten über dem EU-Durchschnitt. Die Gestaltung der Portale wird als stark bürgerorientiert empfunden und die Vernetzung der einzelnen Angebote gut bewertet. In diesem Punkt schneiden die Schweizer deutlich besser ab als die Nachbarländer Deutschland und Österreich. Die Benutzerfreundlichkeit der Portale ist zufriedenstellend.
eProcurement noch ausbaufähig
Aufwärts ging es beim elektronischen Einkauf der öffentlichen Hand. Die Sichtbarkeit des eProcurements von Schweizer Behörden liegt nun bei 64 Prozent und entspricht damit einem Platz im unteren Drittel. eProcurement ermöglicht Einsparungen beim Einkauf und trägt dadurch zur Haushaltskonsolidierung bei – fünf der EU-weit untersuchten Länder haben diese Anforderung bereits vollumfänglich umgesetzt. Die Kennzahl «eProcurement Visibility» wurde erstmals in der Studie von 2009 gemessen, damals erreichte die Schweiz einen Wert von 41 Prozent. Nachholbedarf gibt es insbesondere bei den Prozessschritten vor der Auftragsvergabe: Bei der elektronischen Ankündigung und dem Ausschreibungsangebot zählt die Schweiz klar zu den Schlusslichtern.
Evaluation ist essenziell
Mit der Einführung von eGovernment-Angeboten ist es nicht getan. Besonders hervorzuheben ist, dass die Schweiz mit der sogenannten UTILITAS-Methode ein Instrument entwickelt hat, das die Aspekte Modernisierung, Einsparung, Prozessopti-mierung, Qualitätsverbesserung und die Einhaltung von rechtlichen und organisatori-schen Vorgaben prüft. 2010 wurden auf diese Art und Weise 45 eGovernment-Dienstleistungen untersucht, von denen immerhin 26 Prozent einen hohen Rentabilitätswert hatten. 14 Prozent der untersuchten Angebote schnitten negativ ab. Diese qualitative Messmethode soll in den kommenden Jahren insbesondere hinsichtlich ihrer Anwendungsmöglichkeiten weiter entwickelt werden.
Blickrichtung ändern
Obwohl die Ergebnisse der diesjährigen Studie vielversprechend sind, wird es in den kommenden Jahren darauf ankommen, die guten Ansätze besser zu verankern und übergreifend zu verstärken. Tom Gensicke, Leiter Public Services bei Capgemini Consulting: «In der Schweiz laufen seit Jahren umfangreiche Planungen zu eGovernment und ähnlichen Themen. Die Fortschritte im EU-Vergleich werden im Vergleich dazu nur langsam sichtbar, da insbesondere die Gemeinden nicht vorankommen. Der Bedarf an einem flächendeckenden Angebot besteht aber auch in der Schweiz, insofern müssen sich Bund, Kantone und Gemeinden besser abstimmen.» Auch muss dem Wandel in der Gesellschaft Rechnung getragen werden, der immer mehr engagierte, technisch versierte Bürger hervorbringt. «Die Wirtschaftskrise und der demographische Wandel zwingen die Regierungen ihr Handeln zu überdenken. Mehrere hundert Millionen Bürger sind nicht nur auf die öffentliche Verwaltung angewiesen, sie wollen vielmehr eine neue, interaktive Beziehung zu ihren Regierungen aufbauen», sagte Neelie Kroes, EU-Kommissarin für die Digitale Agenda, als sie im Dezember 2010 den neuen eGovernment Action Plan 2011-2015 vorstellte.
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Über Capgemini
Capgemini ist einer der weltweit führenden Dienstleister für Management- und IT-Beratung, Technologie-Services sowie Outsourcing. Das Unternehmen beschäftigt in 40 Ländern rund 110.000 Mitarbeitende und erzielte 2010 einen Umsatz von 8,7 Milliarden Euro.