Ein Nähkurs für 20 junge Flüchtlinge
Skills4Live bei den Massai im Flüchtlingslager Kakuma. (Foto: Swisscontact)
Von Marc Furrer
Marc Furrer, Präsident ComCom und Stiftungsrat Swisscontact, besuchte ein Berufsbildungsprojekt im kenianischen Lager Kakuma. Hier erhalten Menschen verschiedenster Nationen technische und handwerkliche Ausbildungen als Starthilfe für ein selbstbestimmtes Leben.
Ich könnte bei Swisscontact nicht als Stiftungsrat mitreden, wenn ich in den letzten Jahren nicht direkt vor Ort mit denjenigen gesprochen hätte, die in den Projekten arbeiten oder von ihnen profitieren. Bisher war ich in Indonesien, El Salvador und Costa Rica, Peru und Ecuador – und unlängst in Kenia und Ruanda. Flug und Aufenthalt bezahlt bei diesen Reisen notabene jeder selbst. Die Gelder von Swisscontact sollen nicht für die Stiftungsräte, sondern für die Projekte eingesetzt werden.
Am eindrücklichsten an der Reise nach Kenia war der Besuch des Flüchtlingslagers in Kakuma am 21. November. Bereits um 6 Uhr fahren wir, die Reisegruppe der Swisscontact-Stiftungsräte, in Nairobi los, am riesigen Präsidentenpalast vorbei zum Wilson Airport. Dort besteigen wir ein kleines Uno-Flugzeug und fliegen in den Norden Kenias.
Seit über 20 Jahren existiert das Flüchtlingslager in Kakuma. Es wird von der UNHCR, dem Uno-Flüchtlingswerk, betrieben und beherbergt rund 150‘000 Menschen, vor allem aus Südsudan und Somalia; aber auch Flüchtlinge aus Uganda, Ruanda, Burundi, dem Kongo und sogar aus dem Irak suchen dort Zuflucht.
Die eidgenössische Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) hat 2013 in diesem Flüchtlingscamp ein Projekt lanciert, das jungen Erwachsenen ermöglicht, Kurse in verschiedenen technischen Disziplinen zu besuchen und ihnen so eine Starthilfe in ein selbstbestimmtes Leben bietet. Als Spezialist für das Thema Berufsbildung wurde Swisscontact mit der Umsetzung dieses Projekts betraut. Bereits wurden Kurse in so unterschiedlichen Bereichen wie Landwirtschaft, Kunsthandwerk, Schneidern, Weben, Computerreparatur und -unterhalt oder Abfallverwertung durchgeführt.
Von der UNHCR, aber auch von anderen Entwicklungsspezialisten wird dieses Projekt mittlerweile als Vorzeigebeispiel angesehen. Für Swisscontact war es ein Schritt in eine neue strategische Richtung, denn bis anhin hatte man sich auf langfristig strukturierte Systemarbeit im Rahmen der Privatwirtschaftsförderung konzentriert. In Kakuma geht es um ein Projekt im humanitären Umfeld, zur Linderung der Not von Flüchtlingen. Weil es sich aber auch um Weiterbildung handelt, liegt dieses Projekt voll in der Kernkompetenz von Swisscontact.
Mehr als ein Beschäftigungsprogramm
Nach anderthalbstündigem Flug landen wir auf einer Lehmpiste. Inmitten der Steppe stehen unzählige kleine Hütten, die jeweils einen Sektor und dann einen Block bilden, fast wie einzelne, aneinandergereihte Dörfer. Die aus den TV-Nachrichten bekannten Flüchtlingszelte gibt es hier nicht. Man begegnet hier kaum Tieren, was unüblich ist für Afrika. Die Kinder sind fröhlich, aber ihre Kleidung ist schmutzig. Sie rennen zwischen den Hütten herum, Spielplätze oder gar Sportmöglichkeiten gibt es nicht. Man sieht, die Leute hier haben das Nötigste zum Leben, mehr nicht.
Ein grosses Problem im Flüchtlingslager liegt darin, dass junge Leute oder Erwachsene kaum eine Beschäftigung haben. Die von Swisscontact durchgeführten Kurse sollen dem Abhilfe schaffen. Rund 500 Personen werden von einer Weiterbildung profitieren.
Wir besuchen mit unserer Gruppe einen Schneiderkurs. Draussen regnet es in Strömen, was nur etwa an drei bis vier Tagen pro Jahr vorkommt. Wir waten durch den Morast in eine kleine Hütte, in der rund 20 Männer und Frauen an Nähmaschinen sitzen oder bügeln. Sowohl Nähmaschinen wie Bügeleisen sind alt, fast antik, aber sie funktionieren. Im Innern der Bügeleisen brennt Kohle – auch so kann man bügeln. Der Kurs wird von zwei Männern geleitet, die dieses Handwerk gelernt haben und selbst Flüchtlinge sind. Die Leute in der Hütte stammen aus sechs verschiedenen Nationen. Sie sind eifrig am Werk. Während vier Monaten eignen sie sich so viel Fachwissen wie möglich an. Danach wird die Gruppe zusammenbleiben und selbständig Textilien produzieren und verkaufen. Die Kurse sind also nicht nur ein simples Beschäftigungsprogramm, das den tristen Flüchtlingsalltag bereichert, sondern eröffnen ihnen berufliche Perspektiven, auch für die Zeit nach dem Lager.
Einbezug der lokalen Bevölkerung
Dass dieses Programm mit nur drei Swisscontact-Mitarbeitern vor Ort durchgeführt werden kann, beeindruckt. Bemerkenswert ist auch, dass auch die Bevölkerung aus der Region in die Kurse einbezogen wird. In jedem Kurs lernen und arbeiten Flüchtlinge neben lokalen Leuten aus Kakuma. Das fördert einerseits die Integration dieses Flüchtlingscamps in seine Umgebung, andererseits profitieren auch die Einheimischen – in diesem sehr armen Gebiet im Norden Kenias ist diese Unterstützung am richtigen Ort. Für unsere Reisegruppe ist klar, dass das Projekt im Flüchtlingscamp Kakuma, das erst Pilotstatus hat, hier ausgebaut und auch in anderen Camps umgesetzt werden sollte.
Noch ein Wort zum Camp: Die Verantwortlichen von UNHCR geben sich mit allen Partnerorganisationen grosse Mühe, den Flüchtlingen möglichst gute Bedingungen zu bieten und sicherzustellen, dass sie das Nötigste haben sowie medizinisch und psychologisch betreut werden. Aber pro Woche kommen 150 bis 200 neue Flüchtlinge hinzu, das Lager wächst schnell weiter – mit der Folge, dass die Uno aus Budgetgründen die Nahrungslieferung stark reduzieren musste. Dies bedeutet, dass die Flüchtlinge nach allen Traumatas, die sie bereits durchgemacht haben, nur noch gerade eine halbe Ration Essen erhalten.
Da hat das Essen am Abend nach unserer Rückkehr im feinen Restaurant in Nairobi einen bitteren Nachgeschmack.