Thomas Stucki, CIO St. Galler Kantonalbank. (Foto: SGKB)
St. Gallen – Noch vor einer Woche erfreuten sich die Anleger an neuen Höchstständen an den Aktienmärkten. Es herrschte Ruhe und Einigkeit darüber, dass gute Zahlen der Technologieriesen wie Apple ein Zeichen dafür sind, dass man alles im Griff hat. Ein schwächer als erwartet ausgefallenes Wirtschaftswachstum in den USA im kalten Winterquartal hat jedoch genügt, um die Anleger aus ihrem Frühlingsschlummer zu reissen. Der deutsche DAX verlor an einem Tag fast 4%. Der Euro stieg gegenüber dem Dollar von 1.07 auf 1.12 und die Rendite der deutschen Bundesanleihe sprang von 0.16% auf 0.36%. Sind dies Vorboten für grössere Turbulenzen an den Börsen oder ist der Spuk rasch wieder vorbei?
Die erwähnten Bewegungen haben gemeinsam, dass sie in Märkten stattfanden, die als «sichere Wette» gelten. Im Devisenmarkt wird mit grossen Volumen darauf gewettet, dass Mario Dragi den Euro weiter schwächt und die erwartete Zinserhöhung der Fed den Dollar stärkt. Die Diskussion, ob die Zinsen in den USA vielleicht doch nicht so schnell steigen, hat die «sichere Wette» plötzlich doch nicht so sicher erscheinen lassen. Umfragen bei Vermögensverwaltern zeigen, dass viele von Ihnen aufgrund des starken Dollars und des schwachen Euro aus den US‐Aktien nach Europa umschichten. Davon hat vor allem der DAX mit seinen grossen und liquiden Titeln profitiert. Seit Anfang Jahr ist er um 30% emporgeschnellt.
Plötzlich steigt der Euro wider Erwarten. Was jetzt?
Die wahrscheinlich grösste Wette im Markt sind die europäischen Obligationen. Die Spekulationen um die Käufe von Staatsanleihen durch die EZB haben die Renditen der deutschen Obligationen bis zu Laufzeiten von fast 10 Jahren in den negativen Bereich gedrückt. Schliesslich «muss» die EZB ja zu jedem Preis kaufen. Da lohnt es sich, sich vorgängig schon mal einzudecken. Die Käufe der EZB laufen seit sechs Wochen und offensichtlich hat sie kein Problem, das nötige Material zu finden. Wenn der Preis nicht weiter steigt, ist die Rendite von 0.15% bei einer 10‐jährigen Obligation plötzlich doch unattraktiv. Das gleiche gilt für die Obligationen der anderen Euroländer auch.
Sind das Einzelfälle oder ist die Party an den Märkten vorbei?
Für das erstere spricht, dass andere Märkte sich von den Turbulenzen nicht anstecken liessen, allen voran die amerikanischen Aktien. Die Tagesschwankungen bei den US-Aktien waren nicht grösser als für Aktienmärkte üblich. Die Unsicherheit im Markt, gemessen am Volatilitätsindex VIX, stieg kurzfristig ein wenig an, allerdings auf sehr tiefem Niveau. Die an der Börse gehandelten Volumen bewegten sich ebenfalls im üblichen Rahmen. Auch die Aktien aus den Emerging Markets, welche sich von den Fieberschüben der Anleger meist sofort anstecken lassen, zeigten keine Auffälligkeiten.
Wann lösen sich die Ungleichgewichte auf?
Der dominante Einfluss der Zentralbanken und das viele Geld, dass in den letzten Jahren in das System gepumpt wurde, hat gemessen an den traditionellen Massstäben in vielen Märkten zu hohen Bewertungen geführt. Zudem sind grosse Ungleichgewichte aufgebaut worden, die auf die Dauer nicht haltbar sind. Entsprechend nervös werden die Anleger, wenn es nicht so läuft wie erwartet. Solche Bewegungen wie in der letzten Woche werden in Zukunft öfters vorkommen. Grundsätzlich hat sich an den Rahmenbedingungen aber nicht viel geändert. Die Weltwirtschaft läuft zwar nicht brillant, aber insgesamt doch gut. Die Geldpolitik der Zentralbanken ist nach wie vor sehr expansiv und es gibt keine Anzeichen, dass das Geld im System nächstens reduziert wird, auch in den USA nicht.
Im Gegenteil: Es wird immer mehr Geld ins System gepumpt, vor allem in Europa und in Japan. Die Party kann somit noch weitergehen und hat ihren Höhepunkt noch nicht erreicht. Es lohnt sich aber, nicht zu viel Champagner zu trinken und einen kühlen Kopf zu bewahren. Denn der Zeitpunkt wird kommen, an dem es besser ist, die Party zu verlassen und nach Hause zu gehen.
Thomas Stucki, CIO St. Galler Kantonalbank