Eine Milliarde Kinder durch die Auswirkungen des Klimawandels «extrem stark gefährdet»
Genf – Der erster Klima-Risiko-Index für Kinder von UNICEF zeigt: Junge Menschen in der Zentralafrikanischen Republik, im Tschad und in Nigeria am stärksten bedroht.
Der Klimawandel und Umweltbelastungen bedrohen die Gesundheit, Bildung und den Schutz der Kinder und setzen sie tödlichen Krankheiten aus. Dies geht aus dem ersten Klima-Risiko-Index für Kinder von UNICEF hervor, der gemeinsam mit Fridays for Future zum dritten Jahrestag der globalen Klimastreikbewegung veröffentlicht wurde. Kinder, die in der Zentralafrikanischen Republik, im Tschad, in Nigeria, Guinea und Guinea-Bissau leben, sind am stärksten von den Auswirkungen des Klimawandels gefährdet. Die Schweiz liegt in der Rangliste auf Platz 147 von insgesamt 163 analysierten Ländern. Kinder hierzulande sind demzufolge im Weltvergleich weniger stark durch die Folgen von klima- und umweltbedingten Gefahren, Schocks und Belastungen betroffen.
Wie Kinder vom Klimawandel betroffen sind
Der Bericht «Die Klimakrise ist eine Krise der Kinderrechte: Einführung des Klima-Risiko-Index für Kinder» ist die erste umfassende Analyse verschiedener Klimarisiken aus der Perspektive von Kindern. Die Auswertung aktuellster Daten zeigt in einer globalen Rangliste, in welchen Ländern und in welchem Masse Kinder Klima- und Umweltschocks wie Wirbelstürmen und Hitzewellen ausgesetzt sind. Dazu wurde auch ihre Verletzlichkeit gegenüber diesen Gefahren zugrunde gelegt, basierend auf ihrem Zugang zu einer Grundversorgung.
1 Milliarde Kinder «extrem stark gefährdet»
Der Bericht kommt zu dem zentralen Ergebnis, dass etwa eine Milliarde Kinder – fast die Hälfte der 2,2 Milliarden Mädchen und Jungen weltweit – in einem der 33 Länder leben, die aufgrund der Auswirkungen des Klimawandels als «extrem stark gefährdet» gelten. Kinder sind dort mehreren klima- und umweltbedingten Gefahren, Schocks und Belastungen ausgesetzt und zudem besonders verletzlich aufgrund der unzureichenden Grundversorgung in ihren Ländern in den Bereichen Wasser und Sanitär, Gesundheit und Bildung. Die Ergebnisse spiegeln die aktuelle Situation der Kinder wider. Es ist davon auszugehen, dass sich die Zahlen noch verschlechtern, wenn sich die Auswirkungen des Klimawandels beschleunigen.
«Die Kinder von heute haben ein Leben vor sich, das – je nachdem, wo sie leben – stark durch die Gefahren geprägt sein wird, die aus der Klimakrise folgen», sagt Bettina Junker, Geschäftsleiterin von UNICEF Schweiz und Liechtenstein. «Es ist klar, dass nur die konsequente Senkung der Treibhausgas-Emissionen den Klimawandel stoppen kann. Doch der Bremsweg ist selbst bei raschen Entscheidungen lang. Es muss daher sofort und dringend mehr in die Anpassung der Lebensbedingungen von Kindern an die Veränderungen in ihrer Umwelt investiert werden. Wir müssen ihre Widerstandskraft stärken, indem wir ihre Grundversorgung verbessern und ihnen ermöglichen, zu verstehen, was mit der Erde passiert – auch, um selbst handeln zu können.»
Der Klima-Risiko-Index für Kinder («Children’s Climate Risk Index», CCRI) zeigt:
- 240 Millionen Kinder in Küstenregionen sind stark betroffen von Überschwemmungen,
- 330 Millionen Kinder an Flüssen sind stark betroffen von Überschwemmungen,
- 400 Millionen Kinder sind stark betroffen von Wirbelstürmen,
- 600 Millionen Kinder sind stark betroffen von Krankheiten, die in Folge der Erderwärmung zunehmen, wie Malaria
- 815 Millionen Kinder sind stark betroffen von Bleivergiftungen,
- 820 Millionen Kinder sind stark betroffen von Hitzewellen,
- 920 Millionen Kinder sind stark betroffen von Wasserknappheit und
- 1 Milliarde Kinder sind stark betroffen von extrem hoher Luftverschmutzung (>35µg/m3).
Während fast jedes Kind weltweit von mindestens einer dieser Klima- und Umweltgefahren bedroht ist, zeigen die Daten, dass die Kinder in den am stärksten betroffenen Ländern mit mehreren und sich oft überschneidenden Schocks konfrontiert sind. Dies gefährdet Entwicklungsfortschritte und droht die Not von Kindern zu verschärfen. Schätzungsweise 850 Millionen Kinder – jedes dritte Kind weltweit – leben in Gebieten, in denen sich mindestens vier dieser Klima- und Umweltschocks überschneiden. Bis zu 330 Millionen Kinder – 1 von 7 Kindern weltweit – leben in Gebieten, die von mindestens fünf schweren Schocks betroffen sind.
Erzeuger von Treibhausgas-Emissionen deutlich weniger stark betroffen
Der Bericht zeigt zudem ein Missverhältnis zwischen den Ländern, in denen Treibhausgas-Emissionen erzeugt werden, und solchen, in denen Kinder unter den stärksten klimabedingten Auswirkungen leiden. Die 33 «extrem risikoreichen» Länder emittieren zusammen nur 9 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen. Umgekehrt verursachen die zehn Länder mit den höchsten Emissionen zusammen fast 70 Prozent der weltweiten Emissionen. Zugleich wird nur Indien aus dem Kreis dieser Länder im Index als «extrem risikoreich» eingestuft.
«Der Klimawandel ist zutiefst ungerecht. Obwohl Kinder für den Anstieg der globalen Temperaturen nicht verantwortlich sind, werden sie den höchsten Preis dafür zahlen», sagte UNICEF-Exekutivdirektorin Henrietta Fore. «Aber es ist noch Zeit zu handeln. Wenn wir den Zugang von Kindern zur Grundversorgung verbessern, beispielsweise zu Wasser und sanitären Einrichtungen, zur Gesundheitsversorgung und Bildung, kann sich auch ihre Fähigkeit, Klimagefahren zu überleben, erheblich verbessern. UNICEF fordert Regierungen und Unternehmen nachdrücklich dazu auf, Kindern zuzuhören und Massnahmen zu priorisieren, die Kinder vor den Auswirkungen des Klimawandels schützen, und gleichzeitig die Anstrengungen zur drastischen Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen zu beschleunigen.»
Ohne die dringend erforderlichen Massnahmen zur Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen werden Kinder weiterhin am stärksten unter den Folgen des Klimawandels und Umweltbelastungen leiden. Im Vergleich zu Erwachsenen benötigen Kinder mehr Nahrung und Wasser je Einheit des Körpergewichts, sind weniger in der Lage, extreme Wetterereignisse zu überleben und sind unter anderem anfälliger für giftige Chemikalien, Temperaturschwankungen und Krankheiten.
In ihrem Vorwort zu dem Bericht erklären Farzana Faruk Jhumu (Bangladesch), Eric Njuguna (Kenia), Adriana Calderón (Mexiko) und Greta Thunberg (Schweden) von Fridays for Future: «Die Bewegungen junger Klimaaktivisten werden weiter zunehmen, weiter wachsen und weiter für das Richtige kämpfen, weil wir keine andere Wahl haben. Wir müssen anerkennen, wo wir stehen, den Klimawandel wie eine Krise behandeln und mit aller notwendigen Dringlichkeit handeln, um sicherzustellen, dass die Kinder von heute einen lebenswerten Planeten erben.»
UNICEF fordert von Regierungen, Unternehmen und relevanten Akteuren:
- Investitionen in die Klimaanpassung und Widerstandsfähigkeit von zentralen Dienstleistungen für Kinder erhöhen. Um Kinder, besonders schutzbedürftige Menschen und Gemeinden vor den schlimmsten Auswirkungen des sich bereits ändernden Klimas zu schützen, müssen wichtige Dienstleistungen angepasst werden, unter anderem in den Bereichen Wasser, Sanitär und Hygiene sowie Gesundheit und Bildung.
- Treibhausgas-Emissionen reduzieren. Um die drastischsten Folgen der Klimakrise zu verhindern, sind umfassende und dringende Massnahmen erforderlich. Die Länder müssen ihre Emissionen bis 2030 um mindestens 45 Prozent (gegenüber dem Niveau von 2010) reduzieren, um die Erwärmung auf nicht mehr als 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.
- Kindern Kenntnisse im Bereich Klima und Umweltschutz vermitteln. Dies ist für die Anpassung an und die Vorbereitung auf die Auswirkungen des Klimawandels entscheidend. Kinder und Jugendliche müssen mit den verheerenden Folgen der Klimakrise und der Wasserunsicherheit leben, obwohl sie am wenigsten dafür verantwortlich sind.
- Junge Menschen in alle nationalen, regionalen und internationalen Klimaverhandlungen und -entscheidungen einbeziehen, auch auf der UN-Klimakonferenz COP26 in Glasgow in diesem Herbst.
- Sicherstellen, dass die Erholung von den ökonomischen und sozialen Folgen der Covid-19-Pandemie umweltfreundlich, kohlenstoffarm und inklusiv erfolgt, damit die Fähigkeit künftiger Generationen, die Klimakrise zu bewältigen und auf sie zu reagieren, nicht beeinträchtigt wird. (UNICEF/mc/pg)