Eurizon: Werden wir noch lange hohe Zinsen sehen?
Während die Märkte sich vor dem Sommer mit dem Thema „Soft Landing“ bzw. „Hard Landing“ beschäftigten, wobei erstere sich bewahrheitete, ist jetzt das beherrschende Thema die „lange Hochzinsphase“.
Die Inflationswelle ist zwar abgeebbt, aber noch nicht gebannt. Die Zentralbanken trauen sich nicht, die Straffung der Geldpolitik für beendet zu erklären, aber sie legen in der Tat eine Pause ein. Die Makrodaten sind nach wie vor überraschend gut, insbesondere in den USA, was die Märkte zu Recht oder zu Unrecht zu der Annahme veranlasst, dass die Zinssätze der Zentralbanken noch länger auf dem derzeitigen (hohen) Niveau verharren werden als noch zu Beginn des Sommers angenommen. Schauen wir uns die betreffenden Zahlen im Detail an.
Im Vergleich zu den Höchstständen des Jahres 2022 ist die Inflation deutlich zurückgegangen, liegt aber immer noch über den erklärten Zielen der Fed und der EZB, nämlich bei rund 4 % im Jahresvergleich. Die Konsensschätzungen der Ökonomen gehen von einer Rückkehr in die Zone von 2 % bis Ende 2024 aus. Der Anstieg der Ölpreise, der im Juni aufgrund von Produktionskürzungen einsetzte, könnte jedoch den Disinflationsprozess verlangsamen. Zum Erliegen wird er indes nicht kommen, da andere Rohstoffe keinen Preisanstieg verzeichnen.
Bei der Hypothese, dass die Zinsen länger hoch bleiben, wird davon ausgegangen, dass die Inflationsrate erst mit Verzögerung die Zwei-Prozent-Marke erreichen wird.
„Lange Hochzinsphase“ bedeutet jedoch nicht, dass die Zinsen weiter steigen. Zwar haben die Fed und die EZB nicht offiziell ein Ende der geldpolitischen Straffung verkündet, aber faktisch pausieren sie. Ausserdem gehen die in den Geldmarktfutures implizit enthaltenen Erwartungen bereits seit einigen Monaten davon aus, dass 5,5 % bei den Fed Funds und 4,5 % bei der EZB Refi die Höchststände des Aufwärtszyklus sein könnten.
Die Aufmerksamkeit der Anleger richtet sich nun darauf, wie hoch das Gleichgewichtsniveau der Zinssätze sein könnte, wenn die Zentralbanken, voraussichtlich ab der zweiten Hälfte des neuen Jahres, die geldpolitischen Bedingungen lockern.
Seit dem Sommer ist das von den Märkten angegebene nachhaltige Gleichgewichtsniveau deutlich angestiegen und liegt derzeit laut Geldmarktfutures zwischen 4 % und 4,5 % für die USA und 3 % bis 3,5 % in der Eurozone. Dies sind die Zahlen für die „lange Hochzinsphase“, die die Aufwärtsbewegung der langen Seiten der Kurven vorantreiben, die zuvor stark invertiert waren und die Annahmen über künftige Zinssenkungen widerspiegeln. Letztere haben sich nun weitgehend umgekehrt.
Dies bestärkt die Annahme, dass kurz- und mittelfristige Anleihezinsen als Kuponstrom mit geringer Volatilität sehr attraktiv sind. Da die Kurven nicht mehr invertiert sind, nimmt auch das Interesse an der Bewertung von Long-Positionen zu.
Im Mittelpunkt des Interesses steht Italien, dessen Spread sich zwischen August und Mitte Oktober von 160 auf 200 BP ausgeweitet hat. Die Ausweitung erklärt sich zum Teil durch die Verlangsamung der Wirtschaftstätigkeit in der Eurozone, wodurch sich die Spreads der meisten Länder im Vergleich zu Deutschland ausweiteten. Teilweise ist sie auf die Aufwärtskorrektur der Defizitziele für dieses und die kommenden Jahre zurückzuführen – eine Entwicklung, die nun der Prüfung durch die Europäische Kommission und die Ratingagenturen standhalten muss.
Mit 200 BP kann Italiens Spread als interessant, aber nicht extrem angesehen werden. Er liegt zwischen dem Niveau des übertriebenen Optimismus,alsderSpreadbeietwa100BPlag, und dem Niveau des übertriebenen Pessimismus, als er zwischen 250 und 300 BP lag und die besten Chancen für eine Übergewichtung bot.
Italienische Staatsanleihen auf diesen Niveaus sind nützlich, um die erwartete Rendite der Euro- Anleihenkomponente zu erhöhen. Unter den Spread-Emittenten wird jedoch mehr Interesse an Investment-Grade-Unternehmensanleihen geäussert, die insgesamt ähnliche Laufzeitenrenditen wie Italien bei grösserer Diversifizierung und damit geringerem Risiko in Bezug auf den Emittenten bieten.
Die Aktienmärkte waren die positive Überraschung des Jahres 2023 und profitierten wiederum von der Widerstandsfähigkeit des Wirtschaftswachstums, das den befürchteten drastischen Abschwung abwenden konnte. Seitdem sich die Aufmerksamkeit jedoch von der Frage „Soft oder Hard Landing“ auf „lange Hochzinsphase“ verlagert hat, sind die Aktienmärkte nicht mehr gestiegen. Stattdessen kam es zu Gewinnmitnahmen.
Die derzeitige Aktienkorrektur ist nicht börsenintern begründet, sondern spiegelt die neue Phase der Normalisierung der Zinssätze wider. In dem Masse, in dem die Anleihezinsen wieder steigen, steigt auch die so genannte Aktienrendite (die Rendite der Unternehmensgewinne). Der Risikoaufschlag für Aktien bleibt unterdessen unverändert.
Eine solche Korrektur kann durchaus als gesund angesehen werden, denn sie führt zu einem Abbau der technischen Überschüsse, die sich angesammelt hatten. Ausserdem kann sie als Gelegenheit genutzt werden, um mit einem konträren Ansatz die Positionen zu erhöhen. Das negative Ereignis, das es für die Aktienmärkte zu vermeiden gilt, ist eine abrupte Konjunkturabschwächung. Diese Hypothese lässt sich durch die aktuellen Daten nicht stützen, insbesondere nicht für die USA, die letztlich den Verlauf des globalen Zyklus bestimmen. (Eurizon/mc/ps)