Schädigung der Natur durch Chemikalien bisher unterschätzt.
Leipzig – Landwirtschaftliche Chemikalien belasten die Flüsse Europas enorm, werden jedoch offiziell noch kaum als ökologisches Problem eingestuft. Das berichten Forscher vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in der Zeitschrift «Science of the Total Environment».
Sie untersuchten 500 organische Schadstoffe aus vier Flüssen und teilten sie erstmals systematisch nach Bewertungskriterien und Handlungsbedarf ein. Dabei zeigten sich grosse Lücken in den bisherigen EU-Empfehlungen für Gewässerschutz.
Alarm bei jeder dritten Chemikalie
Die Wasserrahmen-Richtlinie der EU sieht vor, dass alle Oberflächen- und Grundwasser bis 2015 in ökologisch und chemisch gutem Zustand sind. 14 Mio. Chemikalien sind derzeit auf dem Markt, von denen 100.000 im industriellen Massstab produziert werden. In ihrer Empfehlung an die Mitgliedsländer listet die EU jedoch nur 33 prioritäre Schadstoffe, die es zu vermeiden gilt. «Man sollte diese Liste auf jeden Fall erweitern. Einerseits brauchen die Länder lokale Listen für ihre jeweiligen Flüsse, andererseits sollte man den Fokus weg von alten Industriechemikalien, auf neue Problembereiter lenken», so Studienleiter Peter von der Ohe im pressetext-Interview.
Die UFZ-Forscher werteten dazu eine Datenbank zu Messungen aus vier grossen europäischen Flüssen aus. Darunter befanden sich jene zu 500 organischen Schadstoffen in über 750.000 Wasseranalysen der Elbe, der Donau, der belgischen Schelde und des spanischen Llobregat. 38 Prozent der Chemikalien traten in Konzentrationen auf, in denen Wirkungen auf Organismen nicht mehr auszuschliessen sind.
Übersehene Gefahren
«Einige der Stoffe gibt es in allen Flüssen», berichtet von der Ohe. Zwei Drittel der nachgewiesenen Stoffe waren Agrarpestizide, darunter auch das in Deutschland und Österreich verbotene Diazinon. Daneben fanden sie die Weichmacher Diethylhexylphthalat (DEHP) und Bisphenol A (BPA), die Schmerzmittel-Inhaltsstoffe Diclofenac und Ibuprofen oder das in Desinfektionsmitteln, Seifen und Zahnpasta gebräuchliche Bakterien-Biozid Triclosan.
Als bedenklich sehen die Forscher auch die Werte des als Pilzmittel erlaubten Terbuthylazin, welches zweien der prioritär gelisteten Stoffe strukturell sehr ähnlich ist. «Das zeigt, dass kleine Änderungen in der chemischen Struktur zur scheinbaren Verbesserung des chemischen Zustandes führen, ohne dass die Gefährdung für das Ökosystem tatsächlich abnimmt», so der Experte. Die Liste der prioritären Stoffe sollte deshalb regelmässig überarbeitet und neben dem Vorkommen auch die Wirkung chemischer Stoffe überprüft werden.
Zehntel des Zieles erreichbar
Drei Faktoren gelten als wichtigste ökologische Stressoren für Gewässer: Die Flussverbauung wie etwa durch Dämme, Nährstoffe wie Stickstoff und Phosphor sowie die organische Belastung. Darüber hinaus spielen aber auch diverse Chemikalien eine wichtige Rolle, so die von der Ohe. «Als Gegenwirken ist ein Kläranlagen-Ausbau, der Ersatz von Problemstoffen wie etwa Weichmacher durch harmlosere Alternativen sowie Massnahmen im Ackerbau wie etwa besseres Einhalten von Randstreifen zu Gewässern beim Düngen und Spritzen möglich.» Zumindest bei bis zu einem Zehntel ihrer Wasserkörper könnten die Länder bis 2015 die EU-Vorgabe erreichen, glaubt der Experte. (pte/mc/ps)