US-Finanzminister Jack Lew. (© United States Governemnt Work).
Von Marco Mierke und André Stahl, dpa
Washington – Washington stand im Regen, buchstäblich. Fast die ganze Zeit schüttete es wie aus Kübeln, als sich die Finanzminister und Notenbankchefs der Welt am Wochenende beim Internationalen Währungsfonds (IWF) in der US-Hauptstadt trafen. Doch wie begossene Pudel fühlten sich letztlich wohl nur die amerikanischen Vertreter.
Immer wieder mussten Finanzminister Jack Lew und Notenbankchef Ben Bernanke ihren Kollegen versichern, dass der erbitterte Etatstreit zwischen den Republikanern und Demokraten bald gelöst ist und keine Turbulenzen in der globalen Konjunktur auslösen wird. Für die Europäer war das ein ungewohntes Gefühl: Zuletzt waren immer sie die Sorgenkinder der Weltwirtschaft, die sich erklären mussten.
Motoren der Weltwirtschaft geraten ins Stocken
Zumal auch die bisherigen Motoren der Weltwirtschaft ins Stottern geraten sind. Brasilien, Indien, Russland, aber auch China kühlen sich konjunkturell laut dem IWF rasant ab. Indiens Notenbankchef Raghuram Rajan fühlte sich deshalb bei der Tagung zu klaren Ansagen gedrängt: «Wir sind auf keinen Fall ein Land, das nahe einer finanziellen oder ökonomischen Krise ist. Keine Chance, dass wir in den nächsten fünf Jahren beim IWF um Geld bitten werden», betonte er.
Vor allem aber prasselte es von allen Seiten auf die Amerikaner ein. Ob in der Abschlusserklärung des IWF-Lenkungsausschusses oder in einem Kommuniqué der wichtigsten Industrie- und Schwellennationen G20 – ihr Land wurde stets als einziges namentlich genannt. «Die USA müssen dringend handeln, um die kurzfristigen finanziellen Unsicherheiten anzugehen», erklärten die G20.
Vertreter anderer Krisenländer dankbar für Ablenkung durch USA
Jeder hatte dabei die bis zum 17. Oktober notwendige Erhöhung der US-Schuldengrenze im Kopf, um eine Zahlungsunfähigkeit des Landes zu vermeiden. Fast gönnerisch klang es, wie – ausgerechnet – der russische Finanzminister Anton Siluanow als amtierender Chef der G20-Runde sagte, man habe verschiedene Konsequenzen eines Scheiterns erörtert: «Aber der Optimismus hatte überwogen.»
Vor allem Vertreter anderer Krisenländer waren dankbar für die Ablenkung. So liess sich Spaniens Wirtschaftsminister Luis De Guindos nicht von einem Kommentar abhalten: «Anders als vor einem Jahr sind weder Spanien noch die Eurozone heute das Zentrum der Sorgen», sagte er und fügte hinzu, dass sich die Weltwirtschaft eine Krise in den USA «nicht leisten kann».
«Es gibt keine Schadenfreude»
Das sahen die übrigen IWF-Mitgliedsländer genauso, weshalb von Genugtuung oder gar Häme für die Amerikaner keine Rede sein kann. «Es gibt keine Schadenfreude», sagte EU-Währungskommissar Olli Rehn in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Bloomberg. «In Europa sind wir sehr besorgt, weil es Europa auch sehr hart treffen würde.» Auch Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) schlug einen ernsten Ton an. «Wir hoffen aber alle, dass sie es schaffen», sagte er. Manche sehen sogar den Dollar als Reservewährung in Gefahr.
Auffällig war, wie wenig sich die US-Regierung gegen die Vorhaltungen wehrte. Andere Krisenländer reagierten da in jüngerer Vergangenheit viel sensibler. Diesmal etwa beschwerte sich Brasilien über den plötzlichen «Exzess des Pessimismusses» über die aufstrebenden Länder. Doch US-Finanzminister Jack Lew selbst streute noch Salz in die Wunde, als er erklärte, um die Rolle der grössten Volkswirtschaft als «Anker des internationalen Finanzsystems» zu bangen: «Die USA können dieses hart verdiente Renommee nicht als selbstverständlich betrachten.»
US-Regierung begrüsst internationalen Druck
Die mangelnde Abwehr der Amerikaner verwundert nicht. Die Regierung betrachtet es als dienlich für ihre Verhandlungsposition gegen die oppositionellen Republikaner, wenn der internationale Druck auf das Land so hoch wie möglich ist. Präsident Barack Obama selbst beschwört die katastrophalen Folgen für die Welt, sollte die Schuldengrenze nicht erhöht werden. Selbst die Wall Street hatte er schon mit ungewöhnlich düsteren Worten gewarnt.
Dass Europa den Schwarzen Peter nun auf ewig los sein wird, ist unwahrscheinlich. Für den einstigen israelischen Notenbank-Chef Stanley Fischer bleibt die Lage in der Eurozone kompliziert und gefährlich für die Weltwirtschaft: Die USA würden ihre Probleme vielleicht sehr schnell überwinden, aber «die europäischen Themen müssen noch gelöst werden», sagte der heutige Mitarbeiter beim renommierten Aussenpolitik-Institut Council on Foreign Relations. (awp/mc/ps)