Zürich – Nach dem Rekordjahr 2016 geht die Anzahl der Transaktionen chinesischer Unternehmen in Europa wieder zurück. Im ersten Halbjahr 2017 wurden noch 117 Übernahmen, Beteiligungen und Fusionen verzeichnet, im zweiten Semester 2016 waren es 133, im Vorjahressemester 176 Deals. Das Volumen im ersten Halbjahr 2017 erreichte 26,3 Milliarden US-Dollar, wie die halbjährliche Auswertung des Beratungsunternehmens EY zeigt. Das ist zwar der zweithöchste Stand für ein Halbjahr überhaupt – im Vorjahreszeitraum wurde aber mit dem Rekordwert von 73 Milliarden Dollar beinahe dreimal so viel investiert.
Die Entwicklung in der Schweiz folgt dem allgemeinen Trend in Europa: Im ersten Halbjahr 2016 wurden neun Deals verzeichnet, im zweiten Semester waren es noch fünf, gleich viel wie im ersten Halbjahr 2017. In fast allen Märkten gingen vom ersten Semester 2016 zum ersten Semester 2017 die M&A-Aktivitäten chinesischer Firmen zurück: in Deutschland von 35 auf 25, in Grossbritannien von 27 auf 24 und in Italien von 18 auf 12.
Deutschland liegt bei der Anzahl der Deals weiter an erster Stelle in Europa, auch wenn der Abstand zum zweitplatzierten Grossbritannien zusammengeschrumpft ist. Beim Wert hat Grossbritannien Deutschland dagegen überholt: Das Transaktionsvolumen dort stieg von 2,7 Milliarden US-Dollar im ersten Halbjahr 2016 auf nun 15,8 Milliarden US-Dollar. Allerdings lag dieser enorme Anstieg vor allem an einem einzigen Mega-Deal: dem Kauf der Blackstone-Tochter und Logistikplattform Logicor durch den chinesischen Staatsfonds China Investment Corporation für etwa 13,7 Milliarden US-Dollar.
Fünf Schweizer Deals
Von den fünf Schweizer Deals im ersten Halbjahr 2017 sind drei bereits abgeschlossen: Das in Hongkong ansässige Investment-Unternehmen Phoenix Green hat sich massgeblich am Neuenburger Uhrenhersteller Ernest Borel beteiligt. Der chinesische Internetkonzern Alibaba leistete bei der Finanzierungsrunde des Waadtländer Startups WayRay einen wesentlichen Beitrag, und Cedar Lake Capital Partners hat die Mehrheit des im solothurnischen Gerlafingen angesiedelten und zur deutschen Schmid Gruppe gehörenden Hightech-Unternehmens Montratec erworben.
Der grösste schweizerisch-chinesische Deal des ersten Semesters ist hingegen noch nicht in trockenen Tüchern: Die im Bergbau und im Rohstoffhandel tätige Glencore bringt ihre Erdöllager-Sparte in ein Joint Venture mit der chinesischen HNA-Gruppe ein. Der Deal hat einen Wert von 775 Millionen US-Dollar. Auch der Einstieg der HNA beim Basler Reisedetailhändler Dufry ist noch nicht unter Dach und Fach.
Bei drei der fünf Deals konnte EY eine Summe ermitteln, diese beläuft sich auf 806 Millionen US-Dollar. Im Vorjahressemester sorgte die Übernahme des Basler Agrochemie-Unternehmens Syngenta durch ChemChina über 44 Milliarden US-Dollar für einen einmaligen Ausschlag, so dass ein massiver Einbruch resultiert.
Chinesen schauen viel genauer hin
«Die Shoppingtour chinesischer Firmen in Europa geht weiter», kommentiert Ronald Sauser, Leiter M&A bei EY Schweiz. «Allerdings pendeln sich die Aktivitäten langsam wieder auf Normalmass ein. Chinesische Unternehmen schauen sich Übernahmekandidaten heute viel genauer an. Spekulative Investitionen gehören eher der Vergangenheit an. Vor allem Unternehmen mit zukunftsträchtigen Technologien sind in den Fokus gerückt. Deswegen ist das chinesische Interesse an europäischen und auch an Schweizer Firmen nach wie vor hoch.»
Yi Sun, Leiterin der China Business Services Deutschland, Österreich und Schweiz bei EY, ergänzt: «Chinesische Unternehmen wollen durch Übernahmen in Europa Zugang zu den westlichen Märkten und zu konkurrenzfähigen Spitzentechnologien erhalten. Auf dem Heimatmarkt sind die Wachstumsperspektiven begrenzt. Für chinesische Manager bleiben Deutschland und die Schweiz gleichermassen Premium-Standorte und zumindest im industriellen Bereich die attraktivsten Investitionsziele in Europa. Zusätzlich rücken auch Unternehmen aus dem Energie- und Life-Sciences-Sektor in den Fokus. China hat dort grossen Nachholbedarf.»
Industrieunternehmen stark im Fokus
In der ersten Jahreshälfte waren vor allem Industrieunternehmen im Fokus der chinesischen Käufer: In Europa kauften sie 41 davon, und auch vier der fünf Schweizer Deals betrafen Industrieunternehmen. Europaweit gingen zudem 18 Technologieunternehmen sowie 16 Finanzgesellschaften häufig in chinesische Hände über. Der europaweit grösste Deal betraf mit Logicor allerdings ein Logistikunternehmen.
Sauser geht davon aus, dass das Interesse chinesischer Unternehmen an Schweizer Übernahmezielen nach wie vor hoch bleiben wird: «Hierzulande gibt es nach wie vor viele potenzielle Akquisitionsobjekte für chinesische Unternehmen. Dabei dürften auch grosse Unternehmen, die derzeit noch im Besitz von Finanzinvestoren oder Teilbereiche von Grosskonzernen sind, an Adressen aus China gehen. Der Brexit könnte das chinesische Interesse zusätzlich befeuern.»
Nachdem Deutschland vergangene Woche erst sein Vetorecht gegen die Übernahme strategisch wichtiger Unternehmen erweitert hat, erwartet Sun vorerst keine neuen Rekorde. «Es gibt inzwischen eine Reihe limitierender Faktoren. Auf der europäischen Seite werden chinesische Offerten für Technologieführer kritisch begleitet. So wird in Deutschland und Frankreich ein Ausverkauf wichtiger Technologien befürchtet. Auf chinesischer Seite wird versucht, durch verschärfte Kontrollen die Kapitalflucht aus dem Land zu verhindern. Zudem sind die Interessenten aus China vorsichtiger und professioneller geworden. Daher wird es erstmal zu weniger Abschlüssen kommen, diese dürften in der Regel aber auch deutlich nachhaltiger als manche vergangene Deals sein.» (EY/mc/ps)
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