EY: Pharmaunternehmen wachsen 2019 deutlich
Zürich – Die grössten Pharmaunternehmen der Welt haben 2019 nach einer Wachstumspause im Vorjahr wieder Fahrt aufgenommen und insbesondere ihre Innovationsanstrengungen verstärkt. So steigerten die 21 untersuchten Konzerne ihre Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F&E) um 14,2 Prozent – nach einem Minus von 1,9 Prozent in 2018.
An diesem Zuwachs hatten fast alle Unternehmen ihren Anteil – 16 der 21 Konzerne erhöhten ihre F&E-Ausgaben. Auch beim Betriebsgewinn auf Stufe EBIT gelang es den Unternehmen, 2019 den Wachstumsrückgang von 3,2 Prozent aus dem Vorjahr wieder ins Positive zu drehen: Sie steigerten den EBIT um 11,9 Prozent.
Mit 12,3 Prozent erzielten die Unternehmen auch beim Umsatz einen zweistelligen Zuwachs. Insbesondere Takeda steigerte die Erlöse nach der Übernahme von Shire von 15,6 Milliarden Euro auf 25,8 Milliarden Euro. Doch auch ohne die Shire-Übernahme fiel das Umsatzwachstum der Top-Pharma-Unternehmen dank der Markteinführung neuer Wirkstoffe mit 10,1 Prozent zweistellig aus. Das sind Ergebnisse einer Analyse der Finanzkennzahlen aus den Geschäftsjahren 2017, 2018 und 2019 der 21 grössten Pharmaunternehmen der Welt, die die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft EY erstellt hat. 49 Prozent dieser 21 Unternehmen haben ihren Hauptsitz in den USA, 42 Prozent in Europa und neun Prozent in Japan.
Starke Branchenschwergewichte aus der Schweiz
Mit Roche und Novartis sind in der Untersuchung von EY auch zwei Branchenschwergewichte aus der Schweiz vertreten. Roche übernahm 2019 gleichzeitig die Spitze bezüglich Gesamtumsatz, Umsatz der Blockbuster-Medikamente, EBIT sowie F&E-Ausgaben. «2019, im Jahr vor Corona, hat sich die Pharmaindustrie in der Schweiz und weltweit positiv entwickelt», kommentiert Jürg Zürcher, Partner und Biotech Sector Leader bei EY in der Schweiz. «Einige grosse Übernahmen haben die Zahlen ein Stück weit beeinflusst – allen voran die Übernahme von Shire durch Takeda. Insgesamt hat die Branche ihren Fokus darauf gerichtet, Forschung und Entwicklung zu stärken. Ihre Innovationskraft und Flexibilität beweisen die Unternehmen derzeit in der Corona-Krise.»
Zürcher ergänzt: «Big Pharma stand im Vergleich zu den ohnehin forschungsstarken Big-Biotech-Unternehmen unter einem hohen Innovationsdruck. 2019 sind die Top-Pharma-Unternehmen dem in allen Bereichen nachgekommen: Sie haben ihre internen Anstrengungen weiter vorangetrieben, Zukäufe getätigt und sind Allianzen eingegangen.»
Pipeline mit zahlreichen Therapeutika und Impfstoffen gegen Covid-19
Die Life-Science-Branche hat sich so als Innovator in Stellung gebracht. Eine Eigenschaft, die ihr derzeit in der Corona-Krise zugutekommt. Innerhalb kürzester Zeit hat die gesamte Branche bis Anfang Juni laut einer EY-Recherche 161 Impfstoff-Kandidaten und 242 therapeutische Wirkstoffkandidaten hervorgebracht sowie über 700 Tests entwickelt oder bereits auf den Markt gebracht. Die Zahlen ändern sich aber fast täglich und es gibt auch keine Garantie für einen sicheren und wirksamen Impf- beziehungsweise Wirkstoff. Bei der Suche wird auch viel Entwicklungsgeld umsonst investiert werden – 97 Prozent der derzeit erprobten Impfstoffe werden das Licht der Welt nicht erblicken.
Schwerpunkte weiter auf der Onkologie – Verschiebung durch Corona?
2019 haben die Top-Pharmaunternehmen ihren Schwerpunkt wie auch schon in der Vergangenheit auf Krebswirkstoffe gelegt. 2’586 Wirkstoffe befanden sich dazu in der klinischen Entwicklung. Zum Vergleich: Gegen Infektionskrankheiten befanden sich zum gleichen Zeitpunkt 605 Wirkstoffe in klinischen Studien.
In der Onkologie erzielen die Unternehmen allerdings auch die grössten Umsätze. Im vergangenen Jahr steigerten sie die Erlöse in dem Bereich um ein Fünftel auf 174 Milliarden Euro – auch getrieben durch grosse Blockbuster-Medikamente mit einem Umsatz von mindestens einer Milliarde US-Dollar. Mit Infektionskrankheiten erzielten sie dagegen «nur» 46 Milliarden Euro Umsatz – eine Steigerung von 5,1 Prozent im Vergleich zu 2018.
«Es ist zu erwarten, dass die Themen Infektionen und Antibiotika-Resistenzen vor dem Hintergrund der aktuellen Corona-Krise stärker in den Fokus rücken», sagt EY-Experte Jürg Zürcher. «Allerdings werden die grossen Firmen ihre langfristigen Programme nicht stoppen und ihre Hauptaktivität auch nicht auf Covid-19 verschieben.» Der Grund: Pandemien seien als Businessfaktor nicht planbar –weil man nicht wisse, wann und in welcher Form sie auftreten.
Corona-Krise bremst M&A-Aktivitäten
Einen Effekt hat Covid-19 schon jetzt: Viele Fusionen und Übernahmen werden ausgesetzt. «Die Konzerne warten derzeit eher ab, wie es nach der Sommerpause aussieht. Im Moment gibt es zu viel Unsicherheit und dadurch auch viel Uneinigkeit über den Preis sowohl auf Käufer- als auch auf Verkäuferseite», so Zürcher. Langfristig könne die Pharmaindustrie aber von Lerneffekten aus der aktuellen Krise profitieren, erwartet er: «Die Unternehmen lernen derzeit viel über ihre Prozesse. Das wird einen nachhaltigen Effekt haben.»
Ebenso erwartet Jürg Zürcher, dass sich der Umgang mit Daten ändert: «Die Zukunft liegt darin, genügend Daten zu erfassen. Zum einen lassen sich so Prozesse besser abstimmen. Zum anderen kann man Patienten dadurch aber auch zielgerichteter und wirksamer helfen.» (EY/mc)