Von Beat Thoma, CIO bei Fisch Asset Management in Zürich
„Die Vereinigten Staaten nähern sich derzeit wieder einmal dem so genannten ‚Tag X‘, also dem Tag, an dem der Regierung das Geld ausgeht. Man könnte das regelmässig wiederkehrende Gezerre um die Schuldenobergrenze fast schon als Ritual bezeichnen, in der Spieltheorie ist es als ‚Game of Chicken‘ bekannt, wobei zwei Autos aufeinander zufahren. Beide Parteien hoffen, dass die andere zuerst nachgibt beziehungsweise ausweicht, doch falls sie sich verkalkulieren, kommt es zur Katastrophe. Es steht also viel auf dem Spiel und die Finanzmärkte bereiten sich daher auf eine potenziell turbulente Marktentwicklung vor. Finanzministerin Janet Yellen warnte davor, dass der Tag X schon am 1. Juni eintreten könnte, früher als die meisten Analysten erwartet hatten. Präsident Biden traf sich am Dienstag, den 9. Mai, mit führenden Vertretern des Kongresses, um die Dringlichkeit der Verhinderung eines Zahlungsausfalls und den Beginn der Aushandlung eines Haushaltsplans zu besprechen. Das Treffen endete jedoch ohne greifbare Ergebnisse.
Das Risiko eines Zahlungsausfalls wird zwar immer noch als ‚Tail Risk‘ betrachtet, also prinzipiell als sehr unwahrscheinlich, aber die Befürchtungen der Märkte nehmen mit dem Näherrücken des Stichtags zu. Wir gehen davon aus, dass die politische Debatte über die Schuldenobergrenze aufgrund des stark polarisierten politischen Klimas in den Vereinigten Staaten dieses Mal noch umstrittener sein wird als bisher. Es bleibt unklar, ob eine Partei nachgeben wird und wie weit die Politiker in dieser Frage zu gehen bereit sind, im Wissen, dass die Schätzung des Tag X eine konservative Schätzung sein dürfte.
Das aus unserer Sicht erwartbarste Ergebnis ist eine kurzfristige Aussetzung oder Erhöhung der Schuldenobergrenze, wenn die Republikaner entscheiden, dass eine Einigung vor dem 1. Juni unwahrscheinlich ist. Eine Überschreitung des Tag X, bei der das US-Finanzministerium den Zins- und Tilgungszahlungen für Staatsanleihen Vorrang einräumt, aber andere Zahlungen – etwa die Gehälter von Bundesangestellten – aufschiebt, gilt als fast ausgeschlossen. Das noch unwahrscheinlichere Szenario einer tatsächlichen Staatsinsolvenz würde zu heftigen Marktreaktionen führen und relativ sicher eine tiefe Rezession auslösen.
Bislang spiegelten die Finanzmärkte die Risiken der Schuldengrenze nur begrenzt wider. In der Vergangenheit haben die Märkte zwei bis vier Wochen vor dem voraussichtlichen Tag X begonnen, sich ernsthafte Sorgen über einen Zahlungsausfall wegen des Schuldenlimits zu machen. Allerdings gibt es auch Ausnahmen, die schon jetzt auf eine gewisse Nervosität hindeuten: Die Rendite für 1-Monats-T-Bills stieg nach einer Auktion am 4. Mai auf 5,76 %, was einem Anstieg von 240 Basispunkten in nur zwei Wochen entspricht. Die 1-Jahres-CDS-Prämie stieg ebenfalls stark auf 166 Basispunkte an, was darauf hindeutet, dass die Anleger eine geringe, aber steigende Ausfallwahrscheinlichkeit befürchten.
Dieses Spiel mit dem Feuer könnte zu erheblicher Volatilität an den Aktienmärkten führen, was sich auf auch auf andere Risikoanlagen negativ auswirken würde. Der US-Dollar könnte sich weiter abschwächen, was zu verstärkten Investitionen in andere sichere Häfen wie Staatsanleihen und Währungen der Eurozone oder Japans führen dürfte. Paradoxerweise wäre aber auch eine Flucht in sichere US-Staatsanleihen möglich, analog zu 2011, als die USA mit einer ähnlichen Krise konfrontiert waren. Auch der Goldpreis dürfte im Falle einer schweren Schulden- oder Haushaltskrise weiter zulegen.
Bei der Haushaltskrise 2011 kam es an den Finanzmärkten um den Tag X (erst kurz davor wurde ein Kompromiss gefunden) zu erheblicher Volatilität und einer Verschlechterung des finanziellen Umfelds. Die Kreditwürdigkeit der USA wurde von S&P um eine Stufe vom perfekten Triple A auf AA+ herabgestuft und der Volatilitätsindex (VIX) schnellte in die Höhe, während der S&P 500 einbrach. Auch der Goldpreis zog stark an.
Anleger sollten in den kommenden Wochen die weiteren Entwicklungen sowie Marktreaktionen genau beobachten und ausserdem darüber nachdenken, ihre Portfolios entsprechend zu positionieren und sich gegen mögliche Marktschwankungen absichern.“ (Fisch Asset Management/mc/ps)