Fleischfressende Pflanzen sind Rechenkünstler

Fleischfressende Pflanzen sind Rechenkünstler

Gefangen: Insekt in einer Venusfliegenfalle.

Würzburg – Die fleischfressende Venusfliegenfalle zählt, wie oft sie ein Insekt berührt, woraus sie wiederum den Aufwand für die Verdauung berechnet. Das haben Pflanzenwissenschaftler der Universität Würzburg entdeckt. Das ganze bewerkstelligt die Pflanze mit ihren empfindlichen Blattspitzen, die zu tellerförmigen Fallen ausgebildet und mit Sensoren versehen sind. Damit kann sie Fliegen und andere schnelle Insekten erkennen, fangen und verdauen.

Pflanze kann weiterzählen
Wird ein Sinneshaar auf der Venusfliegenfalle nur leicht bewegt, meldet es den ersten Beutekontakt über ein bioelektrisches Signal. «Ein einzelnes Signal löst aber noch keine Reaktion aus – es könnte sich ja um einen Fehlalarm handeln», sagt der Würzburger Biophysiker Rainer Hedrich. Doch schon bei der zweiten Bewegung klappt die Falle blitzschnell zu. Würde ein Beutetier nun ruhig bleiben, gäbe es kein weiteres Signal. In diesem Fall öffnet sich die Falle nach einem halben Tag wieder. Weil die gefangenen Tiere sich aber heftig wehren, lösen sie dadurch ein wahres Signalfeuer aus, das ihr Schicksal endgültig besiegelt.

Hedrichs Mitarbeiter Sönke Scherzer fand zudem heraus, dass die Venusfliegenfalle geschickt weiterzählen kann. Er hat gemessen, dass ein gefangenes Insekt rund 60 Signale pro Stunde auslöst. Um die Berührungsreize nachzuahmen, stiess Scherzer einzelne Sinneshaare ein bis 60 Mal pro Stunde an. Ergebnis: Zwei oder mehr Reize setzen den Signalweg des Berührungs- und Wundhormons Jasmonat in Gang. Bei fünf und mehr Signalen aktiviert die Pflanze zusätzlich in all ihren 37.000 Drüsen die Gene für Verdauungsenzyme. Diese Aktivierung bleibt aus, wenn vor der mechanischen Stimulierung der Jasmonat-Signalweg unterdrückt wird.

Vier Stunden Merkfähigkeit
«Damit haben wir belegt, dass das elektrische Signal in den Drüsen in ein hormonelles Signal umgewandelt wird», so Hedrich. Fünf und mehr Signale kurbeln zusätzlich die Transportmoleküle an, die für die Aufnahme der verdauten Insekten in die Pflanze sorgen. Auf der Suche nach diesem Mechanismus fiel der Würzburger Doktorandin Jennifer Böhm ein Gen auf, das sowohl durch die Berührung der Sinneshaare als auch durch das Hormon Jasmonat aktiviert wird. Sie konnte nachweisen, dass es sich um einen Ionenkanal handelt, der Natrium transportiert. Dieses Nährsalz fällt beim Verdauen der Insekten in grossen Mengen an.

Die Experten fragten sich dann noch, ob die Falle berechnen kann, wie viele Kanäle sie für den Abtransport von Natrium bereitstellen muss. Offenbar kann sie das: Denn je üppiger ein Beutetier ist, umso heftiger ist die Gegenwehr und umso häufiger werden die Sinneshaare gereizt. Die Venusfliegenfalle produziert dann entsprechend mehr Ionenkanäle als bei einer zaghaften Gegenwehr. Laut Hedrich kann sich die Venusfliegenfalle die Zahl der Berührungen wenigstens vier Stunden lang merken. Nun wollen die Forscher die molekularen Grundlagen der Merkfähigkeit erkunden und ob diese ähnlich wie bei Tieren funktioniert. (pte/mc/ps)

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