Genf – Trotz Energiekrise und einer drohenden Rezession blieb der deutsche Leitindex bisher von grösseren Einbrüchen verschont. Esty Dwek von FlowBank analysiert die Gründe dafür und sagt, dass sich daran bis auf weiteres nichts ändern sollte.
Deutschland steht vor ungewissen Monaten. Im Winter droht die Energie knapp zu werden, dazu kommt eine mögliche Rezession. Trotzdem hält sich der Leitindex des Landes, der Dax 40, gut. Für Esty Dwek, CIO von FlowBank, stellt sich deshalb die Frage, ob der Index auf steigende Kurse an den Weltmärkten hindeutet oder ob es nur eine Frage der Zeit ist, bis die harte Realität der deutschen Wirtschaft auch im Dax reflektiert wird.
Reiz der tiefen Volatilität
Obwohl der Index im letzten Quartal rückläufige Kurse verzeichnete, hielten sich die Aktien auf Einzeltitelebene relativ gut. Merck gehörte zu den grössten Gewinnern, ebenso wie die Deutsche Telekom und Beiersdorf. Am anderen Ende des Spektrums befanden sich Allianz, BASF und E.ON, die alle relativ grosse Wertverluste hinnehmen mussten.
«Es gab zwar nur wenige bemerkenswerte Gewinne, aber ebenso wenige grosse Verluste. In einer Zeit massiv erhöhter Unsicherheit hat sich der Dax 40 als eine Art sicherer Hafen für Aktienanlegerinnen und -anleger erwiesen», sagt Dwek. Besonders im Vergleich zum S&P 500 werde das deutlich, welcher nicht nur während der Pandemie, sondern auch seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine durch weitaus grössere Kursausschläge geprägt sei.
In diesem unsicheren Umfeld wenden sich Anlegerinnen und Anleger vermehrt Aktien mit geringerer Volatilität zu, während sie insbesondere Wachstums- und Tech-Aktien meiden. Dieser Paradigmenwechsel komme dem stärker Value-orientierten Dax 40 zugute. Auch andere europäische Indizes profitierten. Dwek geht davon aus, dass der deutsche Leitindex auch während des weiteren Zinserhöhungszyklus profitieren sollte.
Währungseffekte stützen europäische Aktien
«Internationale Investoren können es sich nicht leisten, Wechselkurseffekte zu ignorieren – und in diesem Jahr war Europa gegenüber den USA klar im Vorteil», erklärt die Anlagestrategin weiter. Der US-Dollar hat gegenüber dem Euro seit Anfang 2022 um mehr als 10% zugelegt, wodurch europäische Exporte relativ gesehen billiger werden und auch der Wert der von europäischen Unternehmen im Ausland erzielten Gewinne steigt, wenn sie in abgewertete Euros umgerechnet werden.
Sollte die US-Notenbank ein Ende der Zinserhöhungen ankünden, würden einige der positiven Währungseffekte in Europa allerdings wieder wegfallen. Das hätte laut Dwek auch einen belastenden Effekt auf den Dax. Vorerst scheine die Fed allerdings den Kurs beizubehalten, womit europäische Aktien weiterhin vergleichsweise attraktiv sein sollten.
Die positiven Währungseffekte könnten allerdings auch verpuffen, sollte die Europäische Zentralbank dazu übergehen, die Zinsen aggressiver anzuheben. Das könnte der Fall sein, wenn die Treibstoffkosten hoch bleiben und damit die Inflation weiter befeuern sollten.
Energieversorgung als entscheidender Faktor
«Im Moment ist die grösste Unbekannte die selbst zugefügte Wunde einer Energiekrise in Deutschland und Europa», sagt Dwek. Das für Ende des Jahres geplante vollständige Verbot von russischem Öl und Gas bei bereits geringen Vorräten infolge der Sanktionen könnte die europäische Wirtschaft lähmen und eine Rezession auslösen. Auch die Politik der Energierationierung, die einige europäische Regierungen bereits angedroht haben, könnte dem Vertrauen der Anleger und Konsumenten so kurz nach der Covid-Pandemie einen weiteren schweren Schlag versetzen, warnt Dwek.
Die weitere Entwicklung des Dax 40 dürfte gemäss ihr vor allem davon abhängen, ob der Preis unter die in der Grafik grün eingefärbte Zone von 13’500 bis 13’800 Punkten fällt oder ob er darüber steigt. Sollte ersteres Szenario eintreten, geht die Expertin von einem Kurszerfall auf rund 11’500 Punkte aus. In zweiterem Szenario dürfte der Dax wieder auf über 15’000 Punkte klettern. (FlowBank/mc)