Nürnberg – Wenn am Sonntag in Melbourne mit dem Grossen Preis von Australien die neue Formel-1-Saison beginnt und neben leicht bekleideten Damen die neuesten Rennfahrzeuge der internationalen Automobilindustrie zu bewundern sind, fragt sich manch einer: Was ist das – die Spitze der Ingenieurkunst oder eine reine Glamour-Show? Was von der Formel-1-Technik beim gemeinen Autofahrer ankommt und wie wir sonst vom Formel-1-Zirkus profitieren, kommentiert Prof. Dr. Michael Wensing vom Lehrstuhl für Technische Thermodynamik, der das Thema Verbrennungsmotoren an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) erforscht:
«Um es gleich zu Beginn zu sagen: Kaum ein Bauteil aus einem Formel-1-Boliden wird Eingang in ein Serienfahrzeug finden. Trotzdem nutzt die in Rennfahrzeugen auf die Spitze getriebene Technik auch dem normalen Autofahrer.
Extremwerte geben Orientierung in technischen Entwicklungsprozessen Der technische Nutzen der Formel 1 liegt im Erreichen von Extremwerten, die dazu notwendige Technik stellt in vielen Bereichen das heute technisch Machbare dar. Beispielsweise begrenzt in Ottomotoren die Steuerung der Gaswechselventile – der so genannte Ventiltrieb – die maximale Drehzahl, die ein Motor erreichen kann.
Bei den extrem hohen Drehzahlen in der Formel 1 von bis zu 20.000 Umdrehungen pro Minute müssen die Bauteile des Ventiltriebs extrem leicht sein. Für die in der Formel 1 verwendeten Federn, die die Bewegung der Gaswechselventile kontrollieren und sie auch wieder schliessen, wird Luft anstelle von Stahl verwendet: Ein abgeschlossenes Luftpolster fungiert als eine optimal leichte Feder, die auch in ihren Eigenschaften noch Vorteile gegenüber herkömmlichen Federn hat. Allerdings ist so ein Luftventil nie ganz dicht und deshalb wird während eines Rennens von etwa 300 Kilometern verlorene Luft aus einer Gasflasche automatisch nachgefüllt, danach muss diese ersetzt werden. Für Alltagsfahrzeuge taugt eine solche Lösung nicht.
Ingenieure wollen Maximalwerten nahe kommen
Jeder Ingenieur, der Komponenten eines Autos entwickelt, sieht aber, was mit welchem technischen Aufwand erreichbar ist und wird versuchen diesen Maximalwerten näher zu kommen. Diese Annäherung findet tatsächlich statt. Besonders in Klein- und Kompaktfahrzeugen finden wir aktuell erstmals besonders leistungsfähige, aufgeladene Motoren mit 120 PS/Liter Hubraum. Bei dieser Technik wird die Leistung oder Effizienz von Verbrennungsmotoren mit Hilfe zugeführter Druckluft gesteigert. Bis vor kurzem waren solche spezifischen Leistungen noch teuren Supersportwagen vorbehalten. Auch die Ladedrücke aufgeladener Motoren, die in der kurzen „Turbo-Ära“ der Formel 1 Leistungen von über 1.000 PS aus 1,5 Liter-6-Zylinder-Motoren ermöglicht haben, werden in naher Zukunft in Serienfahrzeugen wiederzufinden sein.
Formel 1 als Identifikations-Plattform
Neben der technischen Entwicklungsplattform, die die Formel 1 darstellt, ist sie jedoch ein sportlicher Wettbewerb auf höchstem Niveau. Dieser sportliche Wettbewerb schafft eine Identifikation innerhalb der teilnehmenden Unternehmen und eine Identifikation für die bereits vorhandenen oder potenziellen Kunden. Als Techniker interessiert mich dabei der Effekt innerhalb der beteiligten Unternehmen mehr als der sicher genauso wichtige Werbeeffekt im Markt. Den positiven Effekt, den ein sportlicher Wettbewerb für die Identifikation und das Engagement in einem Unternehmen haben kann, erleben wir seit ein paar Jahren auch bei einer kleinen Gruppe Studierenden an der FAU. Sie konstruiert und fertigt in jedem Jahr einen Rennwagen und nimmt mit diesen Rennwagen an nationalen und internationalen Wettkämpfen im Rahmen des weltweiten Formula Student-Wettbewerbs teil. Seit Ende 2011 baut eine zweite Gruppe ausserdem noch eine Elektro-Version.
Die Studenten investieren erhebliche Zeit in den Rennwagenbau und lernen dort technisch sehr viel am praktischen Beispiel. Ausserdem betreiben sie die Projektorganisation sowie das komplette Marketing völlig eigenständig. Ihre Leistungen werden ihnen nicht für das Studium angerechnet, sie verlieren in der Regel sogar Studienzeit. Und doch gewinnt jeder für sich: durch die praktische Arbeit und noch mehr durch das Erleben von Teamwork und Sportgeist – eine praxisnahe Ausbildung wie ich sie mir für viel mehr Studierende wünschen würde, aber wie wir sie gar nicht für die grosse Masse gar leisten könnten. Jedem Studierenden möchte ich mitgeben: Tun Sie so etwas, Sie bekommen dafür zwar keine Noten oder Punkte, aber Sie gewinnen persönlich. Und genau solch motivierte Absolventen sind in Industrie und Wissenschaft gesucht.» (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg/mc/pg)