Franklin Templeton: Die Märkte rennen der FED davon
Viele Anleger lassen sich wieder einmal von ihren optimistischen Erwartungen im Hinblick auf eine weniger restriktive Geldpolitik davontragen. Die Fed hat für dieses Jahr Zinssenkungen im Umfang von 75 Bp. signalisiert, und das scheint angesichts der Fortschritte bei der Bekämpfung der Inflation realistisch. Die Märkte begannen jedoch irgendwann, Zinssenkungen von etwa 150 Bp. einzupreisen, zudem gehen sie davon aus, dass die Zinsen bereits ab März gesenkt werden, und dazu wird es meiner Ansicht nach nicht kommen.
von Dr. Sonal Desai, CIO Franklin Templeton Fixed Income
Die Märkte haben der Fed bei der Lockerung bereits viel Arbeit abgenommen: Die Finanzierungsbedingungen haben wieder das gleiche Niveau erreicht, als der US-Leitzins noch bei gerade mal 1,75 % lag. Die Wirtschaft ist nach wie vor robust, daher dürfte die Fed keine Eile haben, die Zinsen zu senken. Allerdings kann man nur schwer vorhersagen, ob und wie der Wahlkalender den Zinssenkungskalender beeinflussen könnte.
Meiner Meinung nach wird immer deutlicher, dass der neutrale Zinssatz höher ist als die Märkte glauben und die Fed nach wie vor andeutet. Nur so lässt sich erklären, dass die US-Wirtschaft so stark bleiben konnte, obwohl der US-Leitzins seit vergangenem Mai über 5 % liegt. Meines Erachtens liegt der natürliche Zinssatz nominal wahrscheinlich bei 4 % oder etwas darüber, und nicht bei den 2,5 %, die der Offenmarktausschuss der Fed in seinen langfristigen Prognosen angibt.
Üppige Liqudität
Ich bin auch etwas beunruhigt darüber, dass die US-Notenbank angedeutet hat, ihre Bilanz weiterhin extrem gross halten zu wollen. Oft heisst es, die Menge an Währungsreserven einer Zentralbank habe nichts mit der Kreditvergabe von Banken zu tun. Hier werden meines Erachtens wichtige Punkte verwechselt. Es stimmt, dass eine Ausweitung der Bilanz der Fed die Banken nicht automatisch zwingt, mehr Kredite zu vergeben. Es stimmt aber auch, dass ein hoher Bestand an Währungsreserven, der einer grossen Bilanz der Fed entspricht, grossen Spielraum für eine verstärkte Kreditvergabe und Kreditaufnahme schafft, falls die Banken dies wünschen. Und es stimmt auch, dass eine grosse Bilanz durch ihre Auswirkung auf die Liquidität zu lockeren Finanzierungsbedingungen beiträgt. Das ist schliesslich genau der Grund, warum die Fed die quantitativen Lockerungsmassnahmen überhaupt auf den Weg gebracht hat.
Die Fed mag verschiedene Gründe haben, warum sie eine grössere Bilanz vorzieht (unter anderem möglicherweise aufgrund der fiskalischen Dominanz und der finanziellen Repression), doch meines Erachtens ist das riskant. Indem die Fed dafür sorgt, dass weiterhin erheblicher Spielraum für die Kreditvergabe und Kreditaufnahme vorhanden ist, schafft sie eine weitere Möglichkeit für volatile Anpassungen im Wirtschafts- und Finanzsystem – und bestärkt die Märke in ihrer Einschätzung, dass das Umfeld üppiger Liquidität, das nach der globalen Finanzkrise herrschte, sich wieder einstellen wird.
Die US-Wirtschaft präsentiert sich zu Beginn des Jahres 2024 widerstandsfähig, unterstützt durch starke Aktienmärkte, eine lockere Fiskalpolitik und einen robusten Arbeitsmarkt, auf dem das Lohnwachstum weiterhin deutlich über dem Inflationsziel liegt. Daher komme ich zu dem Schluss, dass eine Rückkehr zu der sehr lockeren Geldpolitik, die sich die Märkte nach wie vor wünschen, in keiner Weise gerechtfertigt ist.
All diese Punkte sorgen für ein sehr anspruchsvolles Investitionsumfeld, denn die Märkte haben die Fed weit hinter sich gelassen, sie haben bereits mehr geldpolitische Maßnahmen eingepreist als in diesem Jahr realistisch zu erwarten sind. Ich rechne daher in den kommenden Quartalen mit mehr Volatilität, die Rendite 10-jähriger US-Staatsanleihen könnte sich wieder der Marke von 4,50 % annähern. In den kommenden Quartalen dürfte eine Verlängerung der Duration immer attraktiver erscheinen. Meines Erachtens werden festverzinsliche Wertpapiere wieder zunehmend als Diversifikationsmöglichkeit in einem Portfolio dienen. Sie werden letztendlich von einer geringeren Volatilität profitieren, wenn die Märkte wieder weniger stark auf die Reaktionen der Fed achten. (Franklin Templeton/mc)