Bern – Zu hohe Chlorothalonil-Rückstände im Trinkwasser hatten im Sommer für Schlagzeilen gesorgt. Nun wird das Fungizid in der Schweiz verboten. Der Bund entzieht die Zulassung für das Inverkehrbringen des «wahrscheinlich krebserregenden» Produktes mit sofortiger Wirkung.
Ab dem 1. Januar 2020 dürfen die Produkte nicht mehr verwendet werden. Das teilte das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) am Donnerstagmorgen mit. Die Prüfung der zusätzlichen Informationen durch das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) ergab laut Mitteilung, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass gewisse Abbauprodukte dieses Fungizids im keine langfristigen negativen Auswirkungen auf die Gesundheit haben.
Das Verfahren zum Verbot des Fungizids war im Sommer eingeleitet worden. Nach der Ankündigung des Widerrufs der Bewilligung konnten Hersteller und Umweltschutzorganisationen ihre Meinung kundtun. Die Industrie legte neue Daten von anerkannten Laboratorien betreffend der Toxizität gewisser Abbauprodukte vor.
Mehrere Umweltverbände begrüsste das Verbot auf Twitter als «längst überfälligen Schritt», darunter WWF, BirdLife und Greenpeace Schweiz. Der Schweizer Bauernverband hatte die Bauernbetriebe anfangs November aufgerufen, keine Pflanzenschutzmittel, die Chlorothalonil enthalten, einzusetzen.
Wahrscheinlich krebserregend
Weiter teilt das BLV die Einschätzung der EU-Kommission, dass Chlorothalonil als wahrscheinlich krebserregend eingestuft werden muss. Somit seien auch alle Grundwassermetaboliten als relevant anzusehen. Weil zu erwarten sei, dass diese Produkte über den gesetzlichen Normen für Trinkwasser liegen, sei es notwendig, schnell zu handeln, um ihr Vorkommen im Grundwasser zu reduzieren.
Die EU hat den Wirkstoff bereits länger als vermutlich krebserregend eingestuft. Ende April 2019 entschied die EU-Kommission, die Bewilligung für den Wirkstoff zu widerrufen. Die Frist für die Anwendung endete am 20. Mai 2020.
Im Sommer hatte der Bund eine Weisung für den Umgang mit Risiken durch Chlorothalonil-Rückstände erlassen. Wird bei bestimmten Abbauprodukten der Höchstwert von 1 Mikrogramm pro Liter überschritten, müssen Massnahmen ergriffen werden. Innerhalb eines Monats müssen Massnahmen wie Mischen mit nicht belastetem Wasser umgesetzt werden. Können damit die Höchstwerte nicht eingehalten werden, haben die Wasserversorger zwei Jahre Zeit, um mit weitergehenden Massnahmen den Höchstwert einzuhalten.
Während dieser Zeit müssen belastete Wasserfassungen nicht geschlossen werden. Ein solches Verbot wäre als reine Vorsichtsmassnahme unverhältnismässig und könnte zu Versorgungsengpässen führen, schrieb der Bundesrat Ende November. Wie viele Personen Wasser aus Fassungen beziehen, bei denen es bisher nicht möglich war, die Einhaltung der Höchstwerte sicherzustellen, ist dem Bund nicht bekannt.
Aktuell werden noch 30 Mittel überprüft
Früher war die Beurteilung der Toxizität von Abbauprodukten keine Anforderung für die Zulassung eines Mittels. Die aktuellen Anforderungen an eine Bewilligung für Pflanzenschutzmittel seien jedoch höher als vor zwanzig Jahren, wie das BLW schreibt. Produkte, die in den 1970er- und 1980er-Jahren bewilligt wurden, würden heute nicht mehr unbedingt eine Zulassung erhalten.
Im Jahr 2010 führte der Bund ein Programm zur Überprüfung von alten Pflanzenschutzmitteln ein, um zu gewährleisten, dass diese die aktuellen Anforderungen immer noch erfüllen. Aktuell sind laut dem Bundesrat noch dreissig Pflanzenschutzmittel in Überprüfung. Der Bundesrat sei bereit zu prüfen, ob künftig Wirkstoffverbote aus der EU ohne weitere Überprüfung übernommen werden können, hiess es Ende November.
Im Rahmen dieser Überprüfung wurde festgestellt, dass bestimmte Abbauprodukte von Chlorothalonil im Grundwasser als relevant erachtet werden müssen. Seit Beginn der Überprüfung wurden fast hundert Wirkstoffe getestet. Zum ersten Mal führt die Frage der Relevanz eines Abbauprodukts im Grundwasser dazu, dass Pflanzenschutzmitteln die Zulassung entzogen wird.
Der Wirkstoff Chlorothalonil wird in der Landwirtschaft seit den Siebzigerjahren als Fungizid eingesetzt, etwa beim Anbau von Kartoffeln, Getreide und Gemüse.
Auch andere Mittel verboten
Das BLW hatte im Juni bereits alle zwölf Bewilligungen für Pestizide mit den Wirkstoffen Chlorpyrifos und Chlorpyrifos-methyl widerrufen. Das Mittel zählt bis heute zu den am häufigsten eingesetzten Insektiziden. Damit wurden seit den 1960-er Jahren unter anderem Kartoffeln, Gemüse, Beeren und Weintrauben gespritzt. In der Schweiz wurde der Wirkstoff in den letzten fünf Jahren in Mengen von 10’000 bis 15’000 Kilogramm pro Jahr in die Umwelt gebracht.
Chlorpyrifos und Chlorpyrifos-methyl seien äusserst giftig für Menschen, Vögel, Säugetiere, Fische, Amphibien, Insekten und namentlich auch alle Arten von Bienen und Hummeln, argumentierte das BLW.
Die Trinkwasser- und Pestizidinitiative fordern unterdessen, dass nur noch Bauernbetriebe Direktzahlungen erhalten, die keine Pestizide einsetzen und ohne prophylaktischen Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung auskommen. Die Initiativen sind noch im Ständerat hängig, dessen Wirtschaftskommission drängt auf verbindliche Massnahmen für eine Reduktion der umstrittenen Mittel. Der Nationalrat lehnt beide Initiativen ab. (awp/mc/ps)