Gabor Székely, Kommissionsmitglied KTI und Head CTI Medtech. (Foto: zvg)
von Patrick Gunti
Moneycab.com: Herr Székely, Innovation ist eine zentrale Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Medtech-Branche. Wie leistungsfähig ist das Innovationssystem im Medtech-Bereich aus nationaler Sicht – wie auch im internationalen Vergleich?
Gabor Székely: Die Schweiz verfügt im Medtech-Bereich sicher über ein leistungsfähiges Innovationssystem, zumindest was die Frühphasen der Innovationstätigkeit betrifft. In dieser Hinsicht ist die Schweiz auch international stark kompetitiv, wenn nicht sogar führend. Leider hat das System enorme Schwierigkeiten, dieses grossartige Potential auf dem Markt tatsächlich umzusetzen. Während die Schweiz bei Patentanmeldungen Weltspitze ist, befindet sie sich, was erfolgreiche Neuprodukte anbelangt, im Mittelfeld.
In den vergangenen 15 Jahren haben die Hochschulen und einige Forschungsinstitutionen eine sehr starke Rolle als Innovationstreiber übernommen und prägen die Szene deutlich. Allerdings wäre es wünschenswert, wenn etablierte KMU hier noch mehr Zugang dazu erhalten würden. Zudem sind ihre internen Ressourcen oft zu stark begrenzt, um international voll mithalten zu können. Nachdem die Grossindustrie grösstenteils Innovationen extern einkauft, muss man die tatsächliche Leistungsfähigkeit des gesamten Schweizer Innovationssystems deshalb etwas hinterfragen.
Welches sind denn die besonderen Stärken?
Die wichtigsten Stärken sind die offene, international führende Forschungsszene und eine starke, leistungsfähige, öffentliche Förderung der Grundlagenforschung und Frühinnovation.
Und wo sehen Sie die Schwächen?
Am störendsten ist für mich die fehlende Ausdauer, Ideen in Produkte umzusetzen. Erstaunlicherweise ist die wichtigste Ursache dafür der Mangel an ausreichenden finanziellen Ressourcen. Nach politischen Willen beschränkt sich der Staat ja auf die Unterstützung in der Frühphase, was wohl der wichtigste Grund für die erwähnten Erfolge ist. Leider wird der Finanzmarkt (Risikokapital, Bankensystem) seiner postulierten Rolle in diesem Prozess nicht ganz gerecht, was sehr viele vielversprechende Initiativen entweder abwandern oder sterben lässt.
Eine andere Bremse ist die beschränkte Bereitschaft der etablierten Industrie Risiken einzugehen. Dies ist nicht nur auf den fehlenden Zugang zu notwendigen finanziellen Mittel zu vernünftigen Konditionen zurückzuführen: Einerseits machen die zunehmend strengen regulatorischen Hürden die Markteinführung neuer Produkte auch bei kleineren Produktanpassungen zu teuer, und deshalb nicht rentabel, anderseits ist eine oft zu konservative Haltung zu beobachten, was eine Abkehr von bewährten Lösungen erschwert.
«Am ehesten können mittelgrosse Betriebe einen gut strukturierten und bewusst gesteuerten Innovationsgeist etablieren, wenn sie über die dafür notwendigen finanziellen und personellen Ressourcen verfügen.»
Gabor Székely, Kommissionsmitglied KTI und Head CTI Medtech
Innovationen können nur in einer nachhaltigen Innovationskultur gedeihen. Welches sind dabei die entscheidenden Faktoren?
Innovationskultur ist nur nachhaltig, wenn Innovation vollständig und organisch in die gesamte Wertschöpfungskette integriert ist und nicht als externe Komponente in die Prozesse eingreift. Das bedeutet auch, dass dabei nicht nur Innovationen gefördert werden sollten, die potentiell zu völlig neuartigen Produkten (Produktinnovation) führen, sondern auch solche, die (eventuell inkrementelle) Verbesserungen von existierenden Erzeugnisse anpeilen oder andere Komponenten der Wertschöpfungskette (wie Produktionsprozesse, Vermarktung, usw.) adressieren. Eine bewusste Planung von der Implementierung bis zur Markteinführung ist ebenso entscheidend, wie dass diese auf möglichst realistischen finanziellen und zeitlichen Bedingungen aufgebaut ist.
Wie lässt sich eine entsprechende Innovationskultur einerseits in Unternehmen, andererseits in der Branche insgesamt am besten implementieren?
Es gibt kein allgemeingültiges Rezept, um eine effiziente Innovationskultur in einem Unternehmen zu etablieren. Grossbetriebe sind üblicherweise aufgrund ihrer sehr schwerfälligen Kommunikationswege und Entscheidungsmechanismen sowie den komplexen Strukturen immun gegen interne Innovationsprozesse. Startups können zwar eine Brutstätte von aufregenden Ideen sein, sind aber selten in der Lage, diese richtig in eine bewusste, nachhaltige Innovationskultur umzusetzen. Am ehesten können mittelgrosse Betriebe einen gut strukturierten und bewusst gesteuerten Innovationsgeist etablieren, wenn sie über die dafür notwendigen finanziellen und personellen Ressourcen verfügen. Dafür gibt es in der Schweiz einige überzeugende Beispiele. Es ist wichtig, eine motivierende Umgebung zu kreieren, welche einen möglichst breiten Teil der Belegschaft in den Prozess aktiv miteinbezieht.
Wie erfolgreich sind entsprechende Massnahmen in der Medtech-Branche?
Ich habe in dieser Hinsicht nur anekdotische Informationen, meistens basierend auf persönlichen Erfahrungen, zumal diese Informationen gemäss meinem Wissenstand nicht systematisch erfasst werden. Viele eigentlich vielversprechende Innovationsprozesse scheitern unterwegs, meistens weil ihnen die Luft frühzeitig ausgeht. Man muss jedoch auch festhalten, dass es gar nicht begrüssenswert wäre, wenn alle angestossenen Innovationsprozesse bis zu Ende geführt wären. Das wäre ein klarer Indikator für eine fehlende Risikobereitschaft. In den meisten Fällen kann man aber Risiken weder vollständig voraussehen noch umfassend unter Kontrolle halten. Wichtig ist deshalb, dass ein Abbruchsentscheid bewusst und wohlüberlegt gefällt wird, was natürlich kein ganz einfaches Unterfangen ist. Um das Gelassenheitsgebet von Reinhold Niebuhr zu zitieren:
„God, grant me the serenity to accept the things I cannot change,
Courage to change the things I can,
And wisdom to know the difference.”
Was steht im Zentrum, wenn es darum geht, Patienten, Versicherungen, den Staat und Investoren vom Nutzen und dem Mehrwert einer Innovation zu überzeugen?
Ich befürchte, dass die Interessen dieser Akteure fast vollständig divergieren. Der Patient möchte möglichst schnell gesund werden oder wenigstens eine wesentlich verbesserte Lebensqualität haben. Dabei will er möglichst wenig finanziell belastet werden. Der Löwenanteil dieser Belastung übernehmen heute der Staat und die Versicherungen, die selbstverständlich (wenn auch aus unterschiedlichen Gründen) an einer effizienten Kostenkontrolle interessiert sind. Die meisten Investoren hingegen wollen möglichst schnell möglichst viel Geld verdienen und üblicherweise danach aus dem Geschäft aussteigen. Die eierlegende Wollmilchsau, die all diesen Erwartungen gleichzeitig gerecht wird, muss noch erfunden werden. Im Zeitalter der partizipativen Medizin spielen die Medien (insbesondere das Web) jedoch eine zunehmend wichtige Rolle in der Meinungsbildung über neue Technologien. Durch die oft bewusst gesteuerten öffentlichen Kampagnen können sich so, insbesondere in den USA, Behandlungsmethoden durchsetzen ohne (oder sogar entgegen) der früher obligatorischen Überzeugung einer massgebenden Teil der Ärzteschaft.
Bedarf es auch einer partizipativen Innovationskultur, die alle Akteure frühzeitig in die Prozesse der Entstehung einer Innovation einbindet?
Das ist eine klare Vorbedingung. Man muss aber wissen, dass es hier sich um eine sehr breite Palette von internen und externen Akteuren handelt, mit oft diametral entgegensetzten Eigeninteressen. Dementsprechend kann der optimale Zeitpunkt für eine Einbindung stark variieren. Die idealen Bedingungen zur Integration von betriebsinternen Akteuren müssen die Unternehmen selber sichern und organisieren. Was ich allerdings diesbezüglich schmerzlich vermisse, ist eine durchdachte und nicht mehr von wenig zeitgemässen politischen Regulierungen eingeschränkte Zusammenarbeit der externen staatlichen und privaten Akteure. Diese soll eine berechenbare, verlässliche Umgebung für die Unterstützung der Firmen bieten, und zwar für alle Formen und Phasen der Innovation.
«Die zunehmende Personalisierung der Medizin untergräbt die Grundsätze der evidenzbasierten Medizin, wobei die Wirkung von Behandlungen durch Vergleichsstudien quantifiziert ist. Je spezifischer die Behandlung ist, desto schwieriger wird es sein, genügend viele Patienten und repräsentative Probanden für solche Untersuchungen zu finden.»
Sie haben die zunehmende Regulierung angesprochen. Auf was ist diese zurückzuführen?
In der Medtech Branche muss man hier klar zwischen zwei unterschiedlichen Aspekten unterscheiden, nämlich zwischen Produktzulassung und Rückerstattung. Was die Zulassung betrifft, ist es eine grundlegende Aufgabe des Staates, die Sicherheit der Patienten optimal zu schützen. Daran darf man grundsätzlich nicht rütteln. Man kann aber durchaus die Effizienz und Effektivität der dabei heute verwendeten Standardverfahren hinterfragen. Die Technologieentwicklung der letzten 15 Jahre weckt Hoffnungen, dass man in der nicht so weiten Zukunft auf zuverlässige Testverfahren (wie Zellkulturen, künstliche Gewebe oder Organe aber auch Simulationsplattformen) zurückgreifen kann, die einen wesentlichen Teil der heute erforderlichen Erprobung an Tieren und Menschen ersetzen. Dies erlaubt eine wesentlich schnellere und billigere Zulassung, ohne die Sicherheit zu gefährden (oder sogar diese zu erhöhen).
Betreffend der Rückerstattung bin ich wesentlich pessimistischer. Die zunehmende Personalisierung der Medizin untergräbt die Grundsätze der evidenzbasierten Medizin, wobei die Wirkung von Behandlungen durch Vergleichsstudien quantifiziert ist. Je spezifischer die Behandlung ist, desto schwieriger wird es sein, genügend viele Patienten und repräsentative Probanden für solche Untersuchungen zu finden. Deshalb ist es zu erwarten, dass die schon heute besorgniserregende Situation sich zunehmend verschlechtern wird. Eine Lösung kann man hier nur von einer vollständig revidierten Strategie für die kassenpflichtige Anerkennung neuer Wirkstoffe, Geräte und Behandlungsmethoden, oder von einem grundlegend neuen Ansatz für die Deckung der Gesundheitskosten (was aus anderen Gründen auch notwendig werden kann) erwarten.
«Das Patentwesen (…) ist inzwischen vollständig pervertiert und von einem Innovationsschutz zu einer der grössten Innovationshemmer mutiert.»
Wie können Schweizer Medtech-Unternehmen den Innovationsschutz am besten sicherstellen?
Der Innovationsschutz ist heute in einer tiefen Krise. Das Patentwesen, die klassische Lösung diesbezüglich, ist inzwischen vollständig pervertiert und von einem Innovationsschutz zu einer der grössten Innovationshemmer mutiert. Spezialisierte Firmen (Patenthaie oder auf Englisch Patent Trolls) erwerben Patentrechte nur, um Firmen auf Schadenersatz zu verklagen und dadurch enorme und klar unverdiente Einnahmen zu erzielen. Das hat mit Innovationsschutz gar nichts zu tun. Dagegen sind nicht einmal Unternehmensgiganten immun. Für kleine Firmen kann dies das Ende bedeuten, auch falls die Klage nicht berechtigt ist. Die enormen Gerichtskosten brechen ihr Genick, lange bevor sie Recht bekommen würden. Der einzige Schutz dagegen ist, dass es sich bei kleinen Unternehmen nicht lohnt, diesen Prozess zu starten, da viel zu wenig zu holen ist. Obwohl diese Exzesse neuerdings etwas Bewegung in die Szene gebracht haben (wie z.B. die Einführung des IPR – Inter Partes Review – in den USA, was eine wesentlich vereinfachte Möglichkeit für die Aufhebung bereits erteilter Patente bietet), ist eine nachhaltige Verbesserung der Lage kurzfristig kaum zu erwarten.
Patente sind deshalb heute eher Schutzschilder gegen ähnlichen Attacken und als solche sind sicher sehr wichtig und relevant. Für den richtigen Schutz gegen Nachahmer bleibt nur noch der alte Rat von Branco Weiss: schneller sein als die Kopierer folgen können.
Für Startups und junge KMU sind die komplexen Vorgänge auf dem Weg einer Innovation zu einem serienmässig hergestellten Produkt häufig eine grosse Herausforderung. Wie können die Unternehmen diesbezüglich unterstützt werden?
Wie bereits erwähnt, ist externe Unterstützung für die Marktimplementierung von Innovationen unerlässlich. Dies beinhaltet einerseits die Sicherstellung von optimalen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel eine innovationsfreundliche Steuerpolitik, eine qualitativ hochstehende, breite Fachausbildung, freier Zugang zu den notwendigen Arbeitskräften, oder ein berechenbares und effizientes Regulierungsumfeld. Die ist wiederum eine staatliche Aufgabe. Auf der anderen Seite müssen die notwendigen Finanzen rechtzeitig und zu vernünftigen Bedingungen zur Verfügung stehen. Während sich in der Frühphase der Staat sich hier schon heute stark engagiert, soll er sich nach der heute herrschenden Lehrmeinung in der Schweiz (und fast nur in der Schweiz) aus der späteren Finanzierung vollständig heraushalten.
Diese zu hinterfragende Haltung ist heute aufgrund des aktuellen Zustands des Finanzsystems, welches seine Rolle als Drehscheibe für die Versorgung der Realwirtschaft durch die Feinverteilung der ihnen angetrauten finanziellen Mittel kaum mehr erfüllt, nicht mehr zeitgemäss. Weder die Investoren noch die Banken sind bereit, die in der Medizintechnik zumindest in der Zulassungsphase teilweise sehr massiven Geldmengen zu gerechten und zielführenden Bedingungen zur Verfügung zu stellen. Falls die Schweizer Innovationsszene nicht vollständig verkümmern soll, würde dies ein regulierendes, oder eventuell direktes Eingreifen von öffentlichen Institutionen notwendig machen.
Am Swiss Medtech Day wurde die Intento SA ausgezeichnet, die mit ihrem System nach einem Hirnschlag gelähmte Personen in ihrer Rehabilitation unterstützt. Handelt es sich dabei um ein Paradebeispiel nachhaltiger Innovationkultur in der Schweizer Medtech-Branche?
Keineswegs. Intento SA ist ein Paradebeispiel für die sehr erfolgreiche Frühinnovation in der Schweiz. Von Nachhaltigkeit kann man noch nicht reden, dazu ist das Projekt viel zu jung. Es wird Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern, um ihre Nachhaltigkeit beurteilen zu können.
Herr Székely, besten Dank für das Interview.
Zur Person:
Gabor Szekely is member of CTI since 2010 and responsible for MedTech since 2013. He is Professor for Medical Image Analysis and Visualization at ETH Zurich, heading the research group Medical Image Computing at the Computer Vision Laboratory. Between 2001 and 2013 he was Director of the National Center of Competence in Research on Computer Aided and Image Guided Medical Interventions (NCCR Co-Me).