Basel – Forschende des PSI erhalten eine Förderung durch das Nationale Gesundheitsinstitut der USA (NIH) im Rahmen der sogenannten «BRAIN Initiative». Ziel ist die umfassende Kartierung des Mäuse-Gehirns.
Die Geheimnisse des Gehirns, insbesondere seine Architektur und Verschaltungen, zu lüften, ist eine der grossen Herausforderungen der modernen Biowissenschaften. Deshalb hat sich dies die amerikanische Gesundheitsbehörde NIH (National Institutes of Health), eine der grössten Forschungsorganisationen der Welt, ins Programm geschrieben. Im Rahmen der NIH BRAIN Initiative wurde nun einem Schweizer Forscher eine Spitzen-Förderung über bis zu 2,6 Millionen US-Dollar zugesprochen: Der Neurobiologe Adrian Wanner, Gruppenleiter am Paul Scherrer Institut PSI, ist Hauptverantwortlicher für das Projekt. Ebenfalls beteiligt ist Andreas Schaefer vom Francis Crick Institute in London.
Die Entscheidung der NIH diese Summe in ein Projekt an einem Schweizer Institut zu investieren, belegt die ausserordentliche Wettbewerbsfähigkeit Schweizer Forscher und bestätigt das PSI als Zentrum für weltweite Spitzenforschung. «Eine solche Zuwendung als junger Arbeitsgruppenleiter zu erhalten und noch dazu aus dem Ausland, ist keineswegs alltäglich und zeugt von seinem grossen wissenschaftlichen Talent und dem Vertrauen, das die internationale Gemeinschaft in den Forschungsstandort Schweiz hat», freut sich Gebhard Schertler, Leiter des Bereichs für Biologie und Chemie über die gute die Nachricht aus den USA. Schaefer ergänzt: «Diese Förderung wird die bestehende Zusammenarbeit unserer Gruppen und Institute weiter stärken.»
Eines der komplexesten Gebilde der Natur erforschen
Das Gehirn gehört zu den komplexesten Gebilden der Natur. So enthält das menschliche Denkorgan etwa 100 Milliarden Gehirnzellen und ein Vielfaches an Verknüpfungen, den sogenannten Synapsen. Wie das Gehirn komplexe Informationen aus der Umwelt verarbeitet und in Gedanken, Entscheidungen und Handlungen verwandelt, lässt sich nach Ansicht der Forschenden nur erklären, wenn die Verschaltungsmuster der Gehirnzellen bekannt sind. Die Wissenschaft spricht vom Konnektom, einer Art Schaltplan des Gehirns. Daraus können detaillierte Informationen über die Verknüpfungsmuster der unterschiedlichen Zelltypen im Gehirn extrahiert werden, was insbesondere für das Verständnis von Gehirn-Krankheiten wie Alzheimer fundamental ist.
Der Weg dahin ist mühsam, wie bereits die Entschlüsselung des Konnektoms des Fadenwurms Caenorhabditis elegans zeigte, die 1986 nach jahrelangen Forschungen abgeschlossen war. Das Gehirn des Wurms enthält zwar nur 302 Nervenzellen mit 5000 Synapsen, seine Kartierung gilt dennoch als ein Meilenstein der Hirnforschung. Um das Konnektom eines Gehirns oder einer Gehirnprobe zu erhalten, schneiden Forschende das Gewebe in winzig kleine Scheiben. Anschliessend färben sie diese ein und analysieren die ultradünnen, 30 bis 40 Nanometer dicken Scheibchen mit hoher Auflösung im Elektronenmikroskop.
In den so gewonnenen Bildern lassen sich die Nervenzellen und deren Verknüpfungen, den sogenannten Synapsen, rekonstruieren sowie die unterschiedlichen Zelltypen ermitteln. Beim Fadenwurm konnten die Nervenzellen noch von Hand rekonstruiert werden. Für grössere Gehirne ist dies nicht mehr möglich. So würde die händische Rekonstruktion des Konnektoms eines Fliegengehirns bereits um die 2000 Personenjahre erfordern. Das heisst: 50 Menschen müssten während ihres gesamten Berufslebens von 40 Jahren nichts anderes tun.
Mit künstlicher Intelligenz das Denkorgan entschlüsseln
In den vergangenen Jahren gelang es Forschenden jedoch, diesen Rekonstruktions-Prozess zu automatisieren. Fortschritte bei der Bildgebung und der Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) verringerten den menschlichen Einsatz um den Faktor 50. «Es ist beinahe verrückt, wie gut die KI funktioniert», freut sich Wanner. So haben seine Kollegen an der Princeton University kürzlich tatsächlich das Konnektom einer Fliege fast vollautomatisch rekonstruiert – es waren «nur» noch rund 50 Personenjahre für die händische Korrektur durch Menschen nötig. Gelingt es, den Prozess weiter zu automatisieren, rückt sogar die Aufklärung des Konnektoms kleiner Säugetiere, etwa einer Maus, in greifbare Nähe. Darauf zielt die Strategie und die Förderung der NIH im Rahmen der BRAIN Initiative ab.
Noch hat das beschriebene Verfahren einen Haken. Ultradünne Schnitte im Bereich von 30 bis 40 Nanometern sind schwer zu handhaben. Beim Aufbringen auf den Objektträger passieren Fehler, einzelne Schnitte gehen verloren, brechen, werfen Falten oder das Messer hinterlässt Kerben. Mehr als 50 Prozent der Fehler der Analyse-Algorithmen der KI lassen sich auf Makel in den Serienschnitten zurückführen. Das bedeutet, dass im Moment die Resultate der KI noch immer von Hand überprüft werden müssen. Das dauert im Schnitt für eine einzelne Nervenzelle im Mäusegehirn immer noch rund eine Arbeitswoche – und damit viel zu lange.
Verfahren aus der Mikrochip-Herstellung hilft
Das PSI-Crick-Team verfolgt daher einen anderen Ansatz, der die Bildgebung robuster machen soll und so für die Erforschung des Mäuse-Konnektoms entscheidend sein kann: Es stellt zunächst Schnitte mit einer Dicke zwischen 250 und 500 Nanometern her, da dickere Schnitte viel einfacher zu handhaben sind. Danach werden von den Schnitten mit einem Mehrstrahl-Rastertransmissionselektronenmikroskop Bilder aufgenommen. Anschliessend fräst ein Breitband-Ionenstrahl eine Schicht von wenigen Nanometern von der Probe ab, woraufhin die gesamte Prozedur wiederholt wird. «Das Verfahren haben wir uns bei Mikrochip-Herstellern abgeschaut», erläutert Wanner. Nach 25 bis 50 Polierschritten ist der gesamte Schnitt analysiert und der Computer kann aus den Differenzwerten der einzelnen Schritte ein hochaufgelöstes 3-D-Bild ermitteln.
Weniger Fehler beim Schneiden und die höhere Auflösung durch das Polieren mit dem Breitband-Ionenstrahl liefern den KI-Algorithmen bessere Informationen zur Rekonstruktion der Nervenzellen. Da die Schnitte nicht nur mit einem Elektronenstrahl, sondern mit 64 parallelen Strahlen abgerastert werden, ist die Bildgebung zudem sehr schnell und zuverlässig. Dass der neue methodische Ansatz funktioniert, zeigen bereits erste Vorab-Versuche, die Teil des Forschungsantrags bei den NIH waren. Ob die Erforschung des Maus-Konnektoms dadurch entscheidende Einsparungen und Beschleunigungen erfahren wird, soll in den kommenden drei Jahren geklärt werden. Für diese Zeitspanne ist das PSI-Crick-Projekt durch die NIH finanziert. (PSI/mc)