Zürich – Wie sind Sprache und Genetik in der Menschheitsgeschichte miteinander verbunden? Eine Studie der Universität Zürich und des Max-Planck-Instituts hat mithilfe einer globalen Datenbank erstmals entsprechende Daten verknüpft. Sie zeigt: Es gibt viele Übereinstimmungen bei der sprachlichen und genetischen Entwicklung, aber weltweit auch 20 Prozent Abweichungen, etwa auf Malta, in Ungarn oder Namibia.
Auf der ganzen Welt werden mehr als 7000 Sprachen gesprochen und von einer Generation zur nächsten weitergegeben – ähnlich wie biologische Merkmale. Aber entwickelten sich Sprache und Gene über die Jahrtausende parallel, so wie es Charles Darwin ursprünglich vermutete? Zum ersten Mal hat ein interdisziplinares Team der Universität Zürich dies zusammen mit dem Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig auf globaler Ebene untersucht. Unter dem Namen GeLaTo (Genes and Languages Together) stellten die Forschenden eine Datenbank mit genetischen und linguistischen Informationen zu 4000 Personen zusammen, die 295 Sprachen sprechen und 397 genetische Populationen repräsentieren.
Jede fünfte Gen-Sprach-Beziehung verweist auf einen Sprachwechsel
In ihrer Studie untersuchen sie, inwieweit die sprachliche und die genetische Geschichte dieser Populationen übereinstimmen. Menschen, die verwandte Sprachen sprechen, sind oft auch genetisch verwandt, aber nicht immer. «Wir haben uns auf diejeningen Fälle konzentriert, bei denen sich die beiden Muster unterscheiden und untersucht, wie oft und wo dies vorkommt», sagt Studienleiterin und UZH-Genetikerin Chiara Barbieri, welche die Studie als Postdoktorandin am Max-Planck-Institut gemeinsam mit anderen Forschenden begonnen hatte.
Das Fazit: Etwa jede fünfte Gen-Sprach-Beziehung weltweit ist ein Sprachwechsel. Daraus ergeben sich Hinweise auf die Menschheitsgeschichte. «Sobald wir wissen, wo welche Sprachverschiebungen stattgefunden haben, können wir viel besser als bisher die Geschichte rekonstruieren, wie sich Sprachen und Populationen auf der Welt verbreitet haben», sagt Balthasar Bickel, Direktor des Nationalen Forschungsschwerpunkts (NFS) Evolving Language und einer der Letztautoren der Studie.
In die lokale Sprache wechseln
In den meisten Fällen wechseln Populationen zur Sprache von Nachbar-Populationen, die sich genetisch jedoch unterscheiden. So sprechen einige Völker am tropischen Osthang der Anden ein Quechua-Idiom, das typischerweise von Menschen mit dem Gen-Profil der Hochgebirgler gesprochen wird. Die mit den Bantu verwandten Damara in Namibia kommunizieren in der Khoe-Sprache ihrer Umgebung. In den Regenwäldern Zentralafrikas benutzen Jäger und Sammler vorherrschende Bantu -Sprachen, ohne jedoch genetisch von diesen Nachbar-Populationen abzustammen.
Daneben gibt es typische Fälle von Migranten, die dazu neigen, eine lokale Sprache zu übernehmen: So drückt sich die jüdische Bevölkerung in Georgien in einer südkaukasischen Sprache aus, diejenige aus Cochin in Indien in einer dravidischen. Auf Malta spiegelt sich die Geschichte der Insel zwischen den Kontinenten wider: Die Bevölkerung ist der sizilianischen sehr ähnlich, spricht aber eine afroasiatische Sprache mit Einflüssen aus verschiedenen türkischen und indogermanischen Sprachen.
Eigene sprachliche Identität bewahren
«Offenbar ist es nicht schwer, seine Sprache aufzugeben, auch aus praktischen Gründen», sagt Letztautor Kentaro Shimizu vom Universitären Forschungsschwerpunkt (UFSP) «Evolution in Aktion: vom Genom zum Ökosystem». Dass Menschen trotz genetischer Assimilation ihr ursprüngliches Idiom beibehalten, ist dagegen selten. «Ungarinnen und Ungarn zum Beispiel haben sich ihrer unmittelbaren Umgebung genetisch angepasst. Ihre Sprache bleibt jedoch mit den Sprachen Sibiriens verwandt.»
Damit pflegen die Ungarisch-Sprechenden eine kulturelle Andersartigkeit inmitten der in Europa und Teilen Asiens am weitesten verbreiteten indogermanischen Sprachfamilie, zu der Französisch, Deutsch, Hindi, Farsi,Griechisch und viele andere mehr gehören. Indogermanisch ist nicht nur bestens wissenschaftlich untersucht, sondern hat auch eine besonders hohe genetische und linguistische Kongruenz. «Dies hat bis anhin den Eindruck erweckt, dass Übereinstimmungen zwischen Genen und Sprachen die Norm sind – was sich in unseren Daten aber nicht widerspiegelt», schliesst Chiara Barbieri. Sie plädiert dafür, dass in Zukunft vermehrt auch weltweite Daten berücksichtigt werden müssten. (Universität Zürich/mc/ps)
Literatur:
Chiara Barbieri et al. A global analysis of matches and mismatches between human genetic and linguistic histories. PNAS, 21. November, 2022. DOI: 10.1073/pnas.2122084119