Germanwings. (Foto: Lufthansa)
Das Drama um den Absturz des Germanwings Airbus A320 in den französischen Alpen hat zu einer neuen Stufe medialer Hyper-Erregung geführt. Und zwar nicht durch das Publikum in den Sozialen Medien, sondern durch die professionellen “Qualitäts-Journalisten”.
Kommentar von Helmuth Fuchs
Führte ein Unglück solchen Ausmasses früher in den Boulevardmedien zu einem Überfluss an teils verstörenden Bildern, wilden Spekulationen und verschwörungstheoretischen Irrläufen, haben bei der Katastrophe um den Flug 4U9525 Mitarbeiter der Medien mit erhöhtem Qualitätsanspruch alle Hemmungen fallen lassen und die Schranken erwünschter Zurückhaltung ungerührt und mit Vehemenz durchbrochen.
Umkehr der Rolle, Leser mahnen zur Zurückhaltung
Auf praktisch jeder Webseite auch ernst zu nehmender Titel lieferte ein fiebriger Ticker im Minutentakt vermeintlich Neues zum Unglück. Wer auf seinem Mobiltelefon wichtige Push-Meldungen seiner Newslieferanten zuliess, bekam Spekulatives, Unsinniges, Verstörendes in einer solchen Fülle aufgedrängt, dass es zum schlichten Ärgernis verkam. Zum ersten Mal in meiner Wahrnehmung wurde es einem beachtlichen Teil der Benutzer der Sozialen Medien zu viel. Es mehrten sich die Stimmen, dass die Journalisten sich ihrer Aufgabe nach Recherche und zuverlässiger Information zuwenden sollten, statt die Erregungsmaschinerie zur Überhitzung zu bringen.
Cui bono?
In den Redaktionsräumen wurde das Thema verwundert aufgenommen und (zu Recht) als Angriff auf die Journalistenehre gewertet. Kodizes wurden zitiert, wonach Namensnennung oder bildliche Darstellung auch bei unsicherer Faktenlage erlaubt, ja sogar Pflicht sei. Chefredaktoren begannen sich zu rechtfertigen, dass sie unter Druck der Leser, der Klickzahlen, der neuen Medien oder sonstigen Gegebenheiten stünden. Nur wenige fragten sich, wem das ganze Tempo, die vagen Verdächtigungen und die teils stündlich ändernden “100 Prozent” sicheren Erkenntnisse Nutzen bringen sollten. Das simple “cui bono” konnte in der Hektik niemand beantworten.
Der Verlust von Glaubwürdigkeit
Was immer am Schluss bleiben wird, wenn die sprechenden, aber nichts sagenden Köpfe vor den rauchenden Trümmerteilen verschwunden sind, all die Experten in den eiligst zusammen gewürfelten Talkshows sich am nächsten Thema abarbeiten: Viele Medien werden auf den Tag zurückblicken, an dem sie einen spürbaren Teil ihrer Glaubwürdigkeit preisgegeben haben, um schneller als andere die vermeintlichen Gelüste des Publikums zu befriedigen. Der kurzfristige Gewinn an Klicks hat weder mit Relevanz noch mit nachhaltigem Gewinn zu tun. Geschwindigkeit alleine ist auch in den neuen Medien kein Qualitätsmerkmal. Die Benutzer der Sozialen Medien wissen es, einige Medienvertreter werden es noch lernen müssen.