Bern – Für 2022 fordert der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) zwei Prozent oder 100 Franken mehr Lohn in allen Branchen. Die Wirtschaft sei wieder auf Vor-Pandemie-Niveau. Nach den grossen Anstrengungen in der Covid-19-Pandemie müssten die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nun am Aufschwung teilhaben.
Die überragende Mehrheit der Branchen befindet sich in einer günstigen Lage, wie der SGB am Dienstag vor den Medien feststellte. Die Unternehmensgewinne sprudelten. Die Teuerung beläuft sich in den Monaten der Lohnverhandlungen auf etwa ein Prozent oder mehr.
Nach Jahren der stagnierenden Löhne ist für die dem SGB angeschlossenen Gewerkschaften ein Nachholbedarf ausgewiesen. Die Lohnerhöhungen von 2 Prozent oder 100 Franken im Monat seien zum einen durch die Inflation gerechtfertigt und zum anderen durch die Notwendigkeit, Produktivitätssteigerungen in den Reallöhnen widerzuspiegeln.
Pandemie-Einsatz honorieren
Während der Pandemie hätten die Arbeitnehmenden einen grossen Teil der durch die Pandemie verursachten Unsicherheiten getragen. Dieser Einsatz müsse bei den Lohnverhandlungen für 2022 berücksichtigt werden, verlangte SGB-Präsident Yves Maillard gemäss Communiqué.
«Angesichts steigender Lebenshaltungskosten und um die Nachfrage zu unterstützen, müssen die Einkommen der Arbeitnehmenden erhöht werden», sagte er.
SGB-Chefökonom Daniel Lampart hielt fest, die Krisenmassnahmen hätten ihre Wirkung entfaltet. Bereits vor der Pandemie habe es einen Lohnrückstand gegeben. Die Reallöhne seien in der Erholungsphase 2017/18 nicht gestiegen, die Firmengewinne und Produktivität aber wuchsen.
Da in der zweiten Hälfte 2021 und 2022 mit einem Wachstum zu rechnen ist, haben viele Branchen Spielraum für höhere Löhne. «Corona-Krise»: Dieses Gejammer der Arbeitgeberschaft sei unbegründet, erklärte Vania Alleva, die Präsidentin der Gewerkschaft Unia. Das Staatssekretariat für Wirtschaft rechne für 2021 mit einem BIP-Wachstum von 3,6 Prozent. Vor diesem Hintergrund seien Lohnerhöhungen unabdingbar.
Mindestlöhne anheben
Besonders grossen Bedarf für eine Erhöhung ortet der Gewerkschaftsbund bei den niedrigsten Löhnen. Seinen Angaben zufolge stiegen in den Gesamtarbeitsverträgen die Durchschnittslöhne während der letzten Jahre stärker als die Mindestlöhne. Damit der Schutz vor Lohndumping weiter wirkt, müssten alle Mindestlöhne auf mindestens 4000 Franken im Monat steigen, fordert der Dachverband.
Weiter müssten die Berufe, die vorwiegend von Frauen ausgeübt werden, ernsthaft aufgewertet werden. Das gilt laut SGB namentlich für das Gesundheitswesen mit seinen niedrigen Löhnen.
Beim ausgebildeten Pflegepersonal gleicht der Lohn die täglichen Opfer nicht mehr aus, wie Beatriz Rosende, Zentralsekretärin für den Gesundheitssektor bei der Gewerkschaft im Service public (VPOD), sagte. Bei Pflegenden mit geringen oder keinen Qualifikationen liege selbst ein 100-Prozent-Lohn nahe am Existenzminimum.
Dass weniger Männer als Frauen aus Pflegeberufen aussteigen, ist für Rosende ein Hinweis, dass die Frage der Löhne geschlechterspezifisch ist. (awp/mc/ps)