Gletscherrückgang schafft neue, schützenswerte Ökosysteme

Gletscherrückgang schafft neue, schützenswerte Ökosysteme
Matthias Huss bohrt eine Messstange zur Bestimmung der Schmelze nach. Die Daten helfen den Massenverlust der Gletscher besser zu dokumentieren und zu verstehen. (Bild: Clara Streule)

Davos – Der vom Menschen verursachte Klimawandel lässt die Gletscher weltweit besorgniserregend schmelzen. Eine kürzlich in der renommierten Fachzeitschrift Nature veröffentlichte Studie mit Beteiligung der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL modelliert und erforscht die Entwicklung der Gletscher und der schmelzenden Gebiete auf der Erde zwischen 2020 und 2100.

Gemäss der Studie eines französisch-schweizerischen Forschungsteams wird sich mit dem Klimawandel die von Gletschern bedeckte Fläche bis zum Ende des jetzigen Jahrhunderts halbieren – die antarktischen und grönländischen Eisschilder ausgenommen, da dort andere Prozesse am Werk sind. Durch diesen Rückzug könnten bis zum Jahr 2100 neue Ökosysteme entstehen, deren Gesamtfläche zwischen der von Nepal und Finnland liegen könnte. Das Verständnis dieser nacheiszeitlichen Ökosysteme bildet einen neuen Ansatzpunkt für die Forschung, die Hand in Hand mit den laufenden Bemühungen geht, den weiteren Gletscherrückgang aufzuhalten.

Rascher ökologischer Wandel
Das Schrumpfen der Gletscher führt zu einem raschen ökologischen Wandel, da sich neue Ökosysteme entwickeln, die den entstandenen Lebensraum ausfüllen. Wie sich diese Veränderungen global auswirken werden, ist jedoch noch unbekannt. Die durch die Gletscherschmelze freigelegten Gebiete könnten kälteangepassten Arten, die durch die Erwärmung an anderer Stelle verdrängt wurden, Zuflucht bieten. Dies legt den Schutz dieser neuen Lebensräume nahe – die meisten liegen indes ausserhalb von Schutzgebieten.

Jean-Baptiste Bosson von der Naturschutzbehörde der Haute-Savoie in Frankreich und Matthias Huss von der WSL verwenden ein globales Gletscherevolutions-Modell, um die für das 21. Jahrhundert vorhergesagte Entwicklung von 650’000 km2 Gletschern ausserhalb der antarktischen und grönländischen Eisschilde zu untersuchen. Gletscherumrisse, digitale Höhenmodelle des Geländes unter den Gletschern und Klimadaten werden verwendet, um die Reaktion jedes einzelnen Gletschers auf Klimaszenarien bis 2100 vorherzusagen. Darüber hinaus ist das Modell in der Lage, neu entstehende Ökosysteme in entgletscherten Gebieten in marine, Süsswasser- oder terrestrische Kategorien einzuteilen.

Verlust der Hälfte der Gletscherfläche
Diese Modellierung sagt voraus, dass der Gletscherverlust bei allen Klimaszenarien bis 2040 mit der gleichen Geschwindigkeit voranschreitet, danach weichen die Schätzungen je nach der Entwicklung der globalen Emissionen voneinander ab. Bei einem Szenario mit hohen Emissionen könnte bis 2100 etwa die Hälfte der Gletscherfläche von 2020 verloren gehen. Bei einer Reduktion der globalen Emissionen verringert sich der Verlust um etwa ein Fünftel.

Die Autorenschaft plädiert dafür, nicht nur den Gletscherschwund zu begrenzen, sondern auch Ressourcen und Aufmerksamkeit auf den Schutz dieser neu entstehenden Ökosysteme zu richten, um ihre Zukunft zu sichern. (WSL/mc/pg)

WSL

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