Zürich – Die amtierende deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel geht als Siegerin aus der Bundestagswahl vom Wochenende hervor und steht damit vor ihrer vierten Amtszeit. Allerdings muss sie erhebliche Verluste hinnehmen. Das Wählervotum zementiert zwar Deutschlands Position als Stabilitätsanker in Europa. Das starke Ergebnis der Populisten und der Absturz der SPD sind aber eine Überraschung. Nun richtet sich das Augenmerk auf die Koalition, die Angela Merkel schmieden muss.
Die Wähler in Deutschland haben Angela Merkel im Amt bestätigt. Nach Konrad Adenauer und Helmut Kohl ist sie ist damit erst die dritte Kanzlerin, die viermal in Folge an die Spitze des Landes gewählt wurde. Den Prognosen bei Redaktionsschluss zufolge hat Merkels CDU/CSU 32.9% der Stimmen gewonnen. Auf die SPD, die Partei des Herausforderers Martin Schulz, entfallen 20.8%, während das Ergebnis der Antiimmigrationspartei Alternative für Deutschland (AfD) mit 13.1% über den Erwartungen liegt. Die grösste Überraschung ist die Stärke der rechtsgerichteten AfD.
Ohne eigene Mehrheit fällt Angela Merkel nun die Aufgabe zu, eine Regierungskoalition zu bilden. Nach aktuellem Stand halten wir eine Koalition aus CDU/CSU, den wirtschaftsliberalen Freien Demokraten (FDP) und den Grünen für das wahrscheinlichste Szenario. Gleichwohl könnte sich das Schmieden eines solchen Regierungsbündnisses als langwierig erweisen. Nach der letzten Wahl 2013 dauerte es neun Wochen, bis die Koalition stand. Dieses Mal könnten sich die Verhandlungen noch mehr in die Länge ziehen, da durch den Wiedereinzug der FDP in den Bundestag für einen Koalitionsvertrag ein Kompromiss von insgesamt vier Parteien gefunden werden muss. Mit Details zu den politischen Schwerpunkten der nächsten Koalitionsregierung ist daher kaum vor Jahresende zu rechnen. Die Tatsache, dass die AfD erstmals im Bundestag vertreten sein wird, dürfte sich erheblich auf die Koalitionsgespräche auswirken.
Stärkung der deutsch-französischen Allianz
Ihren Wahlsieg verdankt Kanzlerin Merkel vor allem der starken Wirtschaft des Landes in den letzten Jahren. Hinzu kommt, dass sie trotz Kritik an ihrer «Politik der offenen Tür» für Flüchtlinge im Jahr 2015 insgesamt als Anker der Stabilität angesichts vieler globaler und regionaler Herausforderungen und Krisen gilt. Was die Wirtschaft angeht, so verbessert sich die Beschäftigungslage in Deutschland seit der Finanzkrise kontinuierlich, was eine starke Expansion im Inland zur Folge hat. Deutschlands Wirtschaft wächst daher nun schon das zwölfte Quartal in Folge (Stand: 2. Quartal 2017). Darüber hinaus floriert der Aussenhandel, was allerdings zum Teil auf die Schwäche des Euros zurückgeht. Die starke wirtschaftliche und politische Position dürfte Deutschland auch in Zukunft weiter zugutekommen.
Die Wiederwahl Angela Merkels ist möglicherweise von noch grösserer Bedeutung für die Zukunft Europas. Die Stärke der AfD macht zwar deutlich, dass zu hohe Erwartungen an eine vertiefte Integration auf europäischer Ebene übertrieben sein könnten. Dennoch dürfte der Wahlsieg Angela Merkels die wichtige Allianz zwischen Frankreich und Deutschland weiter stabilisieren in einer Zeit, in der sich die USA mehr auf ihre eigenen Stärken besinnen wollen. Zudem schafft sie eine vielversprechende Grundlage zur Umsetzung von Reformen, allen voran in der Eurozone. Zu den zentralen Bereichen, auf die sich die Reformbemühungen konzentrieren dürften, gehören die Zusammenarbeit in der Sicherheits- und Infrastrukturpolitik, das Finanzsystem sowie Investitionen in Technologie und Bereiche mit hoher Wertschöpfung zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit.
Kein wesentliches Ereignis für die Märkte
Trotz der eher schwachen Ergebnisse der führenden Parteien und der Unsicherheit in Bezug auf die Koalitionsbildung stellt der Wahlausgang kein wesentliches Ereignis für die Märkte dar. Es erscheint unwahrscheinlich, dass die verbleibende politische Risikoprämie in Europa kurzfristig zurückgehen wird. Der Einzug der europafeindlichen AfD in den Bundestag mit 13% der Stimmen könnte das Risiko verstärkter politischer Gegensätze in Deutschland zwar noch etwas erhöhen. Allerdings ist nicht so bald mit einem Bündnis der etablierten Parteien mit der extremen Rechten zu rechnen. Nachdem der Euro in den letzten Monaten trotz der zunehmend auseinanderlaufenden Geldpolitik von Europäischer Zentralbank (EZB) und US-Notenbank deutlich aufgewertet hat, ist eine gewisse Abschwächung möglich. Wir halten an unserer neutralen Einschätzung zum USD gegenüber EUR und CHF auf Sicht der kommenden drei Monate fest. Das GBP könnte vom schlechteren Abschneiden Merkels und der Stärke der AfD profitieren.
Ausblick für deutsche Aktien positiv, für deutsche Anleihen neutral
Mit Blick auf die Aktienmärkte halten wir an unserer positiven Einschätzung zu Aktien aus Europa und vor allem aus Deutschland fest. Die wahrscheinliche neue «Jamaika-Koalition» unter Beteiligung der unternehmerfreundlichen FDP ist für die Anlageklasse insgesamt vorteilhaft. Deutsche Aktien mit Inlandsfokus dürften sich in Erwartung steigender Staatsausgaben und einer nachfragefördernden Politik gut entwickeln – insbesondere Infrastrukturaktien und Titel aus dem Verteidigungssektor. Abgesehen vom politischen Umfeld gründet unsere positive Einschätzung zum deutschen Aktienmarkt auf der Erwartung, dass erstens von wachsenden Gewinnen und den Bewertungen weitere Unterstützung ausgeht und sich zweitens die soliden gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen fortsetzen. Was Anleihen angeht, so werden sich die Risikoaufschläge in der Peripherie angesichts der Stärke der AfD möglicherweise etwas weiten. Die unter der künftigen Regierung erwarteten höheren Staatsausgaben und die geringfügigen Steuersenkungen könnten sich als Belastung für deutsche Anleihen erweisen. Zu starken Ausschlägen werden sie vermutlich jedoch nicht führen.
Wesentlich grössere Bedeutung für Bundesanleihen werden in den nächsten Monaten die Diskussionen in der EZB um die weitere Entwicklung ihres Wertpapierkaufprogramms haben. Bei den gegenwärtig schon fast teuren Bewertungen sind wir bei Bundesanleihen in unseren europäischen Portfolios neutral positioniert und halten daran in Anbetracht des Wahlausgangs in Deutschland fest. Im Einklang mit unserer globalen Fixed-Income-Strategie sehen wir vereinzelt gute Anlagechancen an den Kreditmärkten, insbesondere bei Finanz- und Hybridanleihen. Investment-Grade-Anleihen favorisieren wir gegenüber High-Yield-Titeln. (CS/mc)
Michael Strobaek, Global Chief Investment Officer Credit Suisse