Block 1 des Kernkraftwerks Beznau.
Zürich – Das AKW Beznau würde einem schweren Erdbeben nicht standhalten. Die beiden Reaktoren sind nur noch in Betrieb, weil die nukleare Aufsichtsbehörde ENSI die Strahlenschutz-Grenzwerte falsch anwendet. Diese gravierende Sicherheitslücke haben heute der Trinationale Atomschutzverband TRAS, Greenpeace Schweiz und die Schweizerische Energie-Stiftung SES an einer Medienkonferenz in Bern erläutert. Zusammen mit AnwohnerInnen des AKW leiten sie ein Rechtsverfahren ein und verlangen die endgültige Ausserbetriebnahme der Anlage.
Im Nachgang der Fukushima-Katastrophe 2011 musste die Betreiberin Axpo überprüfen, ob das Atomkraftwerk Beznau einem schweren Erdbeben widerstehen würde. Im Rahmen der durchgeführten Störfallanalyse zeigte sich, dass unzulässige Mengen Radioaktivität freigesetzt würden. Der Ingenieur Markus Kühni, der die fachliche Grundlage für diesen Befund erarbeitet hat, sagt: «Bei einem starken Erdbeben würde die Bevölkerung gefährlichen Strahlendosen ausgesetzt. Dabei ist die Gesetzeslage klar, und Beznau muss unverzüglich ausser Betrieb genommen werden.»
Weil aber das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI die Bestimmungen der Strahlenschutzverordnung systematisch falsch anwendet, liess es im Juli 2012 einen Weiterbtrieb zu. Hätte die Aufsichtsbehörde die korrekten Grenzwerte für seine Beurteilung herangezogen, hätte das AKW Beznau sofort abgeschaltet werden müssen. Rudolf Rechsteiner, Vizepräsident von TRAS, sagt dazu: «Die Erkenntnisse unserer Recherche sind erschreckend. Das ENSI schützt die AKW-Betreiber statt die Bevölkerung.»
Richtige Strahlenschutz-Grenzwerte anwenden
Nun leiten 15 AnwohnerInnen des AKW, unterstützt von den drei Umweltorganisationen, rechtliche Schritte ein und verlangen, dass das ENSI seinen damaligen Entscheid korrigiert und die richtigen Strahlenschutz-Grenzwerte anwendet. Das würde zur Abschaltung des AKW Beznau führen. Die Vorarbeiten zur Lancierung des Verfahrens (Expertise und juristische Begutachtung) haben die Organisationen TRAS, Greenpeace und SES finanziert.
Zur Unterstützung des Vorhabens wurde der Verein «Beznau Verfahren» gegründet, damit jede interessierte Person innerhalb und ausserhalb des Kantons Aargau die Rechtsschritte mittragen kann. Irène Kälin, Aargauer Grossrätin und Präsidentin der Trägervereins, sagt: «Das älteste AKW der Welt steht im Aargau – gut behütet von der Kantonsregierung und der schlafenden Atomaufsichtsbehörde ENSI in Brugg. Die Bevölkerung soll sich wehren und ihr Recht auf nukleare Sicherheit einfordern.»
Die heute dokumentiere Sicherheitslücke hat nichts zu tun mit den jüngst entdeckten Materialfehlern im Reaktordruckbehälter von Beznau 1. Sie reiht sich aber ein in die lange Liste von Defiziten, die dem Altreaktor anhaften. «Was braucht es noch, damit dieses völlig veraltete AKW endlich abgeschaltet wird?», fragt Florian Kasser, Atomexperte bei Greenpeace Schweiz.
Die Verfahrensschritte
Am 19. August 2015 hat die Anwohnergruppe ein formales Gesuch an das ENSI abgeschickt und verlangt, dass die Aufsichtsbehörde ihren Entscheid vom Juli 2012 zum Weiterbetrieb des AKW Beznau korrigiert und dessen Ausserbetriebnahme anordnet. Das Gesuch wird gestützt auf Artikel 25a des Verwaltungsverfahrensgesetzes eingereicht. Diese Bestimmung ermöglicht Betroffenen, eine Behörde aufzufordern, widerrechtliche Handlungen zu widerrufen und deren Folgen zu beseitigen. Hält das ENSI an seiner bisherigen Haltung fest, muss es eine entsprechende Verfügung erlassen. Gegen diese kann dann die Anwohnergruppe Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht erheben (mit Weiterzugsmöglichkeit an das Bundesgericht). (Greenpeace/mc/ps)