Zürich – Nach dem Tief im September fragen sich Anleger, ob es nicht Zeit wäre, die Aktienanlagen zu reduzieren. Werden sich die Aktienmärken nachhaltig erholen oder stehen wir am Ende einer Bärenmarktrallye? Silvano Grimaldi, CEO der unabhängigen Vermögensverwaltung Grimaldi & Partners AG, gibt Ihnen Antwort auf diese Fragen.
Rückblick auf die ersten 9 Monate im Jahr 2023
Nach Jahresbeginn sind die Kurse der an den Börsen in den USA, der Euro-Zone und der an der Schweizer Börse gehandelten Aktien zunächst sukzessive angestiegen. Kurskorrekturen aufgrund von Problemen einiger Regionalbanken in den USA führten aber dazu, dass seit Ende April die Aktienindizes in den eingangs genannten Wirtschaftsregionen sich mit abwechselnden Ausschlägen nach unten und oben überwiegend seitwärts bewegten. Die Aktienindizes liegen dennoch aktuell immer noch über den zu Jahresbeginn erreichten Werten.
Die Sommermonate August und September sind für die Aktienanleger erfahrungsgemäss selten erfreuliche Börsenmonate. In diesem Jahr verhinderten anhaltend hohe Teuerungsraten – die weitere Zinserhöhungen befürchten liessen – sowie sich immer mehr abzeichnende konjunkturelle Schwächephasen in Ländern der Euro-Zone und auch in der Schweiz eine anhaltende Erholung der Aktienmärkte. In den USA belebten neben guten gesamtwirtschaftlichen Daten bislang – trotz den teilweisen bereits schon recht hohen Bewertungen – vor allem Titel von Unternehmen aus dem Technologiesektor, die vom Hype rund um die künstliche Intelligenz (KI) profitieren konnten, den Aktienmarkt insgesamt.
Wie wird es weiter gehen?
In Bezug auf die von den Notenbanken Fed, EZB und SNB in den nächsten Monaten zu erwartenden geldpolitischen Massnahmen gibt es vorerst nun eine gewisse Sicherheit.
Die EZB hat den Hauptrefinanzierungssatz um weitere 25 Basispunkte angehoben. Er liegt nun 4.5 % und der Zinssatz für Einlagen der Banken bei der EZB ist von 3.75 % auf 4.5 % gestiegen. Im Euro-Raum sinken die Teuerungsraten tendenziell und die BIP-Wachstumsraten gehen zurück. Mit einem nächsten Zinsschritt der EZB ist – wenn überhaupt – erst im Dezember zu rechnen. Angesichts der in den einzelnen Mitgliedsländern recht unterschiedlich hohen Teuerungsraten und BIP-Wachstumsraten bleibt der Zielkonflikt zwischen den von der Notenbank erhofften Auswirkungen einer anhaltend restriktiven Geldpolitik und den daraus unvermeidlich resultierenden gesamtwirtschaftlichen Eintrübungen jedoch weiterhin ein Problem.
Der gegenwärtig gegenüber dem US-Dollar schwache Euro sowie die aktuell hohen Notierungen auf den Rohölmärkten könnten erneut zu Teuerungsimpulsen führen und die EZB – trotz der damit einhergehenden konjunkturellen Risiken – zu einer weiteren Anhebung der Leitzinssätze zwingen. Die Nachfrage nach Rohöl wird aufgrund eines zu erwartenden schwächeren Wachstums der Weltwirtschafft in den nächsten Monaten zwar nur wenig zunehmen. Saudi-Arabien und die Russische Föderation haben aber ihr Ölangebot spürbar reduziert. Die USA und der Iran erhöhten allerdings ihre Ölförderungen in jüngster Zeit deutlich. Es ist deshalb kaum zuverlässig einzuschätzen, ob und inwieweit der Ölpreis in den kommenden Monaten zu merklichen Teuerungsimpulsen in der Euro-Zone führen wird. Abgesehen von der ungewissen Lage auf den Ölmarkt gibt es jedoch klare Anzeichen, dass der Preisdruck auf den vorgelagerten Stufen (Import-, Grosshandels- und Produzentenpreise) bereits spürbar nachgelassen hat und diese Entwicklungen sich bald auch in den Verbraucherpreisen spürbar niederschlagen werden.
Die US-Notenbank Fed hat aktuell auf eine Zinsanhebung verzichtet und will den Leitzinssatz vorerst in einer Spanne von 5.25 % bis 5.5 % halten. Sie signalisierte allerdings, dass in diesem Jahr eine weitere Zinserhöhung durchaus noch möglich sei. Die weiterhin sinkenden Teuerungsraten (CPI, Kernteuerung und PCE-Inflation) sprechen eigentlich gegen eine weitere Straffung der Geldpolitik. Neben den Teuerungsraten werden jedoch weiterhin vor allem die Daten zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (insbesondere BIP-, Arbeitsmarkt- und Lohndaten) für die Entscheide der US-Notenbank wesentliche Faktoren sein.
In der Schweiz hat sich die SNB aufgrund der nun auf unter 2 % gesunkenen Teuerungsraten (LIK, Produzentenpreise, usw.) ebenfalls für eine Pause bei den Zinserhöhungen entschieden. Die noch zu erwartenden neuen Teuerungsimpulse (Mieten, Strom- und Spitaltarife, Mehrwertsteuer, usw.) könnten aber eine weitere Straffung der Geldpolitik mit Zinssatzerhöhungen nahelegen. Die SNB könnte zwar auch weitere Devisenverkäufe (ein stärkerer CHF senkt die Preise der importierten Güter) in Betracht ziehen, die allerdings – trotz der teilweise vorhandenen Produktivitätsvorteile – die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der in der Schweiz produzierenden Unternehmen beeinträchtigen dürften.
Die Lage aus Anlegersicht
Auf absehbare Zeit werden die Zinssätze in den USA, der Euro-Zone und in der Schweiz mit einiger Sicherheit auf einem hohen Niveau bleiben. Die vielfach erhofften Zinssenkungen werden deshalb noch etwas länger auf sich warten. Die bereits erfolgten Zinsanstiege haben dazu geführt, dass in der letzen Zeit nicht nur von institutionellen, sondern vermehrt auch von privaten Anlegern in Anleihen investiert wurde, obwohl die Anleiherenditen meist geringer sind als die mit Aktien möglichen Renditen (Kursgewinne und Dividenden-Ausschüttungen). Noch bestehende Befürchtungen über weitere Zinsschritte der Notenbanken; diese könnten die Anleihekurse weiter fallen und die Renditen steigen lassen.
Die nominalen Renditen von US-Staatsanleihen sind z.B. seit Jahresbeginn sukzessive angestiegen. Sogar die realen Renditen werden aufgrund der abnehmenden Teuerungserwartungen bald positiv sein. Die Kosten einer Absicherung des Wechselkursrisikos machen den Zinsvorteil dieser Anleihen für heimische Anleger aber eigentlich ziemlich uninteressant. Diese Einschätzung gilt auch für Staatsanleihen von Ländern aus der Euro-Zone. Unternehmensanleihen ermöglichen jedoch meist noch deutlich höhere Renditen; die Kosten für eine Absicherung der Wechselkursrisiken bleiben aber bestehen und manchmal werden auch die damit einhergehenden Ausfallrisiken unterschätzt. Anleger sollten deshalb Anleihen schweizerischer Unternehmen präferieren, da die Renditen für langlaufende schweizerische Staatsanleihen trotz der deutlichen gesunkenen Teuerungsraten real immer noch negativ sind.
Viele Anleger stecken gegenwärtig trotzdem ihre liquiden Mittel lieber in Bargeld und in den kurzlaufenden Geldmarkt. Nicht wenige Unternehmen in den USA, in der Euro-Zone und insbesondere auch in der Schweiz bieten jedoch den Anlegern aktuell gute Möglichkeiten für Aktienanlagen. Erfahrungsgemäss sollten Aktien immer gerade dann gekauft werden, wenn die meisten Anleger wenig Interesse zeigen in Aktien zu investieren. Gute Zeitpunkte sind deshalb Phasen mit temporär sinkenden Kursen, da erwartete weitere Zinsanstiege oder konjunkturelle Abschwächungen bereits in den Kursen eingepreist sind.
Nicht wenige Unternehmen in der Schweiz sind gut diversifiziert und haben oft auch starke Positionen auf ihren Absatzmärkten. Die Weltwirtschaft bestimmt – selbst wenn sich in 2024 die BIP-Wachstumsraten nur unwesentlich verändern werden – die Entwicklung dieser Unternehmen mehr als die Lage in der heimischen Volkswirtschaft. Für die kommenden Monate sind die Gewinnprognosen für viele dieser Unternehmen weiterhin ausserordentlich gut, nicht zuletzt aufgrund der starken Margen (Einkaufspreise sind vielfach stärker gesunken als die Verkaufspreise). Hohe Dividenden-Ausschüttungen dürfen deshalb erwartet werden. Es gibt in der Schweiz nach wie vor eine grosse Anzahl von Unternehmen, deren Aktien hohe Dividendenrenditen dank der Cashflows ausrichten können. Die Aktien solcher Unternehmen sollen deshalb von Anlegern bevorzugt werden.
Fazit: Mix von Aktien und Anleihen je nach Anlagestrategie
Die relative Attraktivität der Aktien von Qualitätsunternehmen mit guter Profitabilität und hohem Cashflow bleibt trotz etwas höher Zinsen unangetastet. Aktienanleger können weiterhin auf Aktien von starken Unternehmen und guter Dividenden-Ausschüttungen setzten. Konservative Anleger können dagegen zurzeit dank etwas höheren Zinsen in Unternehmensanleihen investieren. Vor allem Qualitäts-Schweizer Franken-Unternehmensanleihen sind zurzeit besonders attraktiv mit Verfallrenditen von ca. 3% p.a.