Silvano Grimaldi von Grimaldi & Partners gibt Ihnen die Roadmap zum sicher navigieren über das neue Börsenjahr – Intakte Chancen für Anleger trotz zunehmender Risiken.
Risiken für die wirtschaftliche Entwicklung
Es zeichnet sich immer deutlicher ab, dass in den für weltwirtschaftliche Entwicklung wichtigsten Wirtschaftsräumen die konjunkturelle Erholung an Schwung verloren hat. Zudem wird der abrupte Anstieg der an den Konsumentenpreisen gemessenen Teuerungsraten mit Sicherheit die Notenbanken früher oder später zu geldpolitischen Reaktionen zwingen, deren Auswirkungen auf die gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen gegenwärtig noch nicht zuverlässig einschätzbar sind.
Die Anstiege der Teuerungsraten und die realwirtschaftlichen Entwicklungen wurden 2021 vor allem von Basiseffekten bestimmt, die nun allmählich auslaufen dürften. Die Weltwirtschaft wird 2022 dennoch mit einer Rate von knapp 5 Prozent wachsen. Nach wie vor werden die konjunkturellen Erholungsprozesse in den einzelnen Ländern aber recht unterschiedlich verlaufen. Nicht nur die Wachstumsbeiträge vieler Schwellenländer, sondern auch die der für das Wachstum des Welt-BIP entscheidenden Wirtschaftsräume – USA, Euro-Zone, China und Indien – werden geringer ausfallen. 2022 ist z.B. für die USA eine BIP-Wachstumsrate von etwa 5 Prozent (nach knapp 6 Prozent in 2021) zu erwarten, für die Euro-Zone ein Zuwachs in Höhe von rund 4 Prozent (2021 knapp 4 Prozent), für China eine Wachstumsrate von etwa 5.5 Prozent (2021 knapp 7.5 Prozent) und für Indien eine Wachstumsrate von gut 7 Prozent (2021 rund 8 Prozent).
Die Teuerungsraten dürften aufgrund auslaufender Basis- und Sondereffekte im Laufe von 2022 wieder zurückgehen. Im laufenden Jahr ist mit einiger Sicherheit von kaum noch steigenden oder möglicherweise sogar sinkenden Preisen für fossile Energieträger, von Anpassungen der Produktionen an die Nachfrageentwicklungen und einer allmählichen Verbesserung der Situation in den Lieferketten auszugehen. Die Teuerungsraten werden jedoch nur allmählich sinken und z.B. in der Euro-Zone in der ersten Jahreshälfte noch deutlich über 2 Prozent liegen. Erst gegen Ende 2022 dürfte sich die Teuerungsrate dem von der EZB angestrebten 2-Prozent-Ziel annähern. In den USA wird die Zielmarke der US-Notenbank von 2 Prozent auch 2022 nicht erreicht werden können. Neue massive Fiskalimpulse und auch die Ausweitung der breiten Geldmengenaggregate werden zu einer durchschnittlichen Teuerungsrate zwischen 3.5 und 4 Prozent führen.
Zwischenfazit
Der Fortgang der Pandemie aufgrund neuer Virus-Mutationen, nicht völlig auszuschliessende politisch motivierte Handelshemmnisse oder andere Beeinträchtigungen der Lieferketten könnten sich zwar im vergangenen Jahr bemerkbar machen, das Gesamtbild einer sich 2022 weiter erholenden Weltwirtschaft aber nicht grundlegend verändern.
Auswirkungen auf die Aktienmärkte
Die Aktienmärkte sind aktuell mit einigen negativen Einflussfaktoren konfrontiert. In vielen Ländern sind zunehmende Corona-Infektionen und neue Virus-Mutationen zu beobachten. Zweit- und Drittrundeneffekte der weltweit hohen Teuerungsanstiege, noch nicht vollständig beseitigte Lieferkettenprobleme, usw. werden den Unternehmenssektor noch einige Zeit belasten.
Die Preisdynamik bei vielen Vorprodukten und Rohstoffen ist zwar nach wie vor ein Risiko für die Margen der Unternehmen. Vielen Unternehmen dürfte es aber gelingen, durch effizientere Produktionsprozesse und/oder mit einer zumindest teilweisen Überwälzung der gestiegenen Kosten, die Margen aufrecht zu erhalten oder eventuell sogar noch zu erhöhen. Die immer noch relativ gute weltwirtschaftliche Lage bleibt ein positives Umfeld für Aktien. Die Anleger haben praktisch kaum noch Alternativen. Die Märkte haben zu Recht auch praktisch nicht auf die erfolgten bzw. angekündigten Leitzinsanhebungen reagiert. Leitzinsen beeinflussen zwar die Kapitalmarktsätze, bestimmen diese aber nicht. Die längerfristigen Inflationserwartungen und das Verhältnis von Kapitalangebot und Kapitalnachfrage sind für die Kapitalmarktsätze die entscheidenden Faktoren.
Aktienanleger müssen sich allerdings auf höhere Kursschwankungen einstellen, da die erreichten Kursniveaus auch zu Gewinnmitnahmen genutzt werden dürften. Die aktuellen Bewertungen von Aktien sind nicht generell unangemessen, da Staats- und die meisten Unternehmensanleihen – insbesondere für private Investoren aufgrund der überwiegend negativen realen Renditen – in absehbarer Zeit unattraktiv bleiben werden. Steigende Vermögenspreise und damit auch steigende Aktienkurse schützen die Anleger dagegen vor den Folgen möglicher anhaltender Teuerungsanstiege. Die hohe Attraktivität von Aktien gegenüber zinstragenden Anlageinstrumenten dürfte immer noch nicht vollständig in den Kursen abgebildet sein.
Fazit
In einem Szenario – mit einer nur leichten Straffung der Zinspolitik in den USA – spricht viel für eine stärkere Gewichtung zyklischer Value-Aktien – vor allem für Titel von Unternehmen mit einer gewissen Preissetzungsmacht, d.h. Unternehmen, die höhere Kosten an ihre Kunden weitergeben können – zu Lasten von Aktien aus dem Growth-Sektor. Zu überprüfen sind dabei in erster Linie Anlagen in Technologieunternehmen, die bis dato nicht wirklich dauerhaft Gewinne erwirtschaftet haben und deshalb ungerechtfertigt extrem hohe Kurs-Gewinn-Verhältnisse ausweisen. Für defensive Aktienanleger, Dividendenwerte – Titel von Unternehmen mit hohen Dividendenrenditen, einem stabilen Geschäftsgang und Wachstumschancen, einer relativ günstigen Bewertung und die ihr Geschäftsfeld weitgehend unangefochten dominieren – sollten dabei weiterhin bevorzugt werden. (Grimaldi & Partners/mc/ps)