Zürich – Wie werden die Notenbanken auf die Teuerungsentwicklung reagieren? Welche Auswirkungen sind auf die Anleihen- und Aktienmärkte zu erwarten? Silvano Grimaldi, CEO der unabhängigen Vermögensverwaltung Grimaldi & Partners AG, gibt Ihnen Antwort auf diese Fragen.
Wiedererwachen von Inflationsängsten
Die Teuerungsraten sind in den letzten Monaten im Vorjahresvergleich auf seit Jahren nicht mehr erreichte Werte gestiegen. Obwohl diese Teuerungsanstiege im Wesentlichen auf pandemiebedingte Basiseffekte, temporär gestörte Lieferketten, Versorgungsengpässe und auf der wieder zunehmenden Nachfrage nach Rohstoffen nicht rasch genug erfolgenden Angebotsausweitungen zurückgehen, führte diese Entwicklung nicht nur zu Inflationsängsten bei vielen Anlegern, sondern auch zur Ankündigung von möglichen Reaktionen der US-Notenbank (FED) und der Europäischen Zentralbank (EZB) auf die Teuerungsentwicklung.
Ursachen der gegenwärtigen Teuerungsanstiege
Ein Grossteil der gegenwärtigen Teuerungsanstiege resultiert aus den Preisveränderungen in einigen wenigen Wirtschaftsbereichen. Der noch anhaltende Aufwärtsdruck in der Preisentwicklung kommt dabei hauptsächlich von der Angebotsseite aufgrund von temporären Engpässen. Die Auswirkungen dieser Engpässe waren jedoch stärker und hielten länger an als dies zu Jahresbeginn allgemein erwartet wurde. Auf der Nachfrageseite ist jedoch der Preisdruck bereits wieder merklich schwächer geworden. Die meisten Notenbanken gehen deshalb auch nach wie vor davon aus, dass die aktuell zu beobachtenden Teuerungsraten vorübergehende Phänomene sind. Aufgrund der aufgetretenen und teilweise noch anhaltenden Beeinträchtigungen der konjunkturellen Aufholeffekte nach der Corona-Pandemie – z.B. bei der Rekrutierung qualifizierter Arbeitskräfte, Engpässe bei der Beschaffung von Vorprodukten für die industrielle Produktion, zunehmenden protektionistischen Tendenzen, usw. – könnten diese Beeinträchtigungen der wirtschaftlichen Entwicklungen zusammen mit möglichen Zweitrundenfeffekten (z.B. höhere Lohnforderungen) zwar dazu führen, dass die Teuerungsraten noch etwas länger hoch bleiben als dies von Notenbanken und den Akteuren auf Finanzmärkten bisher erwartet wurde.
Reaktionen der US- und Europäischen Notenbanken
Die Fed und EZB haben angekündigt ihre Käufe von Anleihen, Schritt für Schritt (Tapering) zu reduzieren. Sie hat aber noch keinen Termin für den Beginn und das Ausmass dieser Massnahmen genannt. Nicht wenige Akteure auf den Finanzmärkten erwarten jedoch, dass der Offenmarktausschuss der US-Notenbank bereits in der ersten Sitzung, nach der am 8. Oktober erfolgenden Publikation des Arbeitsmarktberichts für den Monat September eine sukzessive Reduktion des Anleihekaufprogramms einleiten wird. Mit Leitzinssatzerhöhungen ist allerdings erst nach Ende der Anleihekäufe – d.h. sicher nicht vor Ende Frühjahr 2022 – zu rechnen, sofern in den USA dann wirklich Vollbeschäftigung herrschen sollte. Die EZB wird der US-Notenbank mit vergleichbaren geldpolitischen Massnahmen folgen. Aber auch sie dürfte aus den 2011 gemachten Fehlern – zwei rasch aufeinander folgende Erhöhungen der Leitzinssätze in der Erwartung dauerhaft steigender Teuerungsraten aufgrund einer erhofften deutlichen konjunkturellen Erholung, die dann zu einem erneuten wirtschaftlichen Einbruch in der Euro-Zone führten – gelernt haben und deshalb die Hauptursachen des gegenwärtigen Teuerungsanstiegs in ihre Entscheidungen einbeziehen.
Auswirkungen auf die Anleihen- und Aktienmärkte
Die aktuelle Entwicklung der Renditen auf den Rentenmärkten zeigt, dass die Zins- und Inflationssorgen der Anleger etwas geringer geworden sind. Die Anleger greifen wieder zu Anleihen, die Kurse steigen und die Renditen gehen zurück. Sollte sich herausstellen, dass die Teuerungsraten wider Erwarten nicht zurückgehen und die Notenbanken sich zu Leitzinssatzerhöhungen gezwungen sehen, wird es zunächst vor allem bei Staatsanleihen zu Kursverlusten kommen. Allerdings, die Inflationserwartungen, das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage von Kapital sind die wesentlich entscheidenderen Bestimmungsfaktoren für die längerfristigen Zinssätze. Der globale Sparüberhang wird jedoch nicht rasch abgebaut werden und die langfristigen Sätze werden deshalb niedrig bleiben.
Gemessen an historischen Bewertungen gelten Aktien meist als teuer, doch für praktisch alle Vermögenswerte sind die Preise in den letzten Jahren massiv angestiegen. In Zeiten mit steigenden Preisen können in der Regel aber auch Unternehmen ihre Gewinnmargen verbessern. Die zu erwartenden wieder moderateren Teuerungsraten werden die Aktienkurse zudem weiter stützen und sprechen für die Beibehaltung hoher Aktienquoten. Aktien werden noch lange attraktiver bleiben als Anleihen, da die Geldpolitiken noch länger locker und die Kapitalmarktzinsen niedrig bleiben werden. Die tiefen nominalen Zinssätze und die daraus resultierenden Diskontfaktoren sprechen daher weiterhin für „Growth-Aktien, d.h. Aktien von Unternehmen, die stark auf künftiges Wachstum fokussiert sind. (Grimaldi & Partners/mc/ps)